Roger Hennig über Immobilien in der Schweiz und Europa

Die «Handelszeitung» stellt die Immobilienwirtschaft ins Schaufenster: Jeden Freitag kommt eine spannende Persönlichkeit aus der Branche zu Wort und schildert ihre Sicht auf den Markt. Diese Woche lesen Sie die Einschätzungen von Roger Hennig von Schroders Capital. Er ist Fondsmanager für einen börsennotierten Immobilienfonds mit Fokus Schweiz und eine Anlagestiftung für Schweizer Pensionskassen mit Investitionen in den europäischen Immobilienmarkt. Die zwei Produkte haben ein Anlagevolumen von rund 4 Milliarden Franken. Wie gehts den Immobilienmärkten in Europa? Die stark gestiegenen Zinsen und Kosten für Fremdkapital wirken sich auf die Immobilienmärkte in Europa aus. In Grossbritannien, wo sich die Immobilienbewertung nach den RICS-Vorgaben schneller an das Marktgeschehen angepasst hat, haben wir bereits Korrekturen von rund 10 Prozent seit Juli gesehen. Und im Gegensatz zu den Bewertungen in den Büchern finden auf den Transaktionsmärkten derzeit weitere Korrekturen statt. Wer Eigenkapital zum Investieren hat, wartet auf weitere Preisnachlässe, und wer nicht gezwungen ist zu verkaufen, hält an seinen Investments fest. Wie wird es künftig weitergehen? Wir haben die Spitze der Korrekturen sicherlich noch nicht erreicht. In Europa rechnen wir mit einer Korrektur von 50 bis 70 Basispunkten. Gewisse Segmente werden stärker davon betroffen sein als andere. Im Bereich Logistik sehen wir bereits deutlich Korrekturen. Bei Büroimmobilien hängt es von der Lage ab. Geschäftsliegenschaften an peripheren Lagen sind im Moment fast nicht zu verkaufen und wenn, dann nur mit Abschlägen. An guten Lagen ist es allerdings noch relativ stabil. Was heisst das für die Eigenheimbesitzer in Europa? Das hängt von der vorherrschenden Finanzierungssituation ab. In den Niederlanden oder in Deutschland werden in der Regel lange Laufzeiten mit festen Zinsen vereinbart. Anders in Grossbritannien, wo oft nur für zwei oder fünf Jahre feste Zinsen vereinbart werden. Hier werden die Hauspreise vermutlich unter Druck kommen. Man muss aber auch beachten, dass es in den meisten europäischen Ländern weiterhin eine sehr gute Beschäftigungssituation gibt. Zudem muss man auch hier zwischen den Lagen unterscheiden. In fast allen europäischen Ländern wachsen die grossen Städte weiter und es herrscht Wohnimmobilien-Knappheit. Dies sollte den Wertverlust begrenzen. Nächstes Jahr wird wegweisend sein, wie stark die Inflation und die Zinsen steigen werden. Und ob es in Europa zu einer Rezession kommen wird und wie stark diese ausfallen wird. Wohin steuert der Schweizer Immobilienmarkt? Die Schweiz ist im Moment noch ein Paradies. Wir haben ein deutlich besseres Umfeld für Immobilien als Europa oder die USA. Die Bewertungen haben hierzulande noch nicht korrigiert. Im Eigenheimbereich sind die Preise an attraktiven Lagen sogar noch einmal gestiegen. Mit ein Grund dafür ist die Inflation, die deutlich tiefer ist als in Europa. 2022 haben wir auch nach wie vor ein BIP-Wachstum von prognostizierten 2 Prozent sowie 1,1 Prozent im nächsten Jahr. In anderen Ländern sieht man ein Negativwachstum, wie in Deutschland und Grossbritannien. Hierzulande bekommt man nach wie vor Fremdfinanzierungen für Immobilien zu attraktiven Konditionen, da die Margen der Banken kompetitiv bleiben. So sind die gesamten Fremdfinanzierungskosten inklusive Margen und Zinsen für Schweizer Immobilien deutlich tiefer gegenüber dem Ausland. In Grossbritannien sind die Fremdfinanzierungskosten auf rund 5 bis 6 Prozent gestiegen, in Europa auf durchschnittlich 4 bis 5 Prozent. Stark unter Druck hingegen waren Schweizer Immobilienfonds und Aktiengesellschaften. Wird das so bleiben? Fonds und Aktiengesellschaften waren zum Teil unter massivem Druck. Das hat zu deutlichen Korrekturen geführt. Sie haben dieses Jahr rund 20 Prozent verloren. Viele institutionelle Investoren, aber auch private sind ausgestiegen, da man eine Korrektur erwartet hat. In gewissen Portfolios von Institutionellen ist die Immobilienquote gestiegen, da die Aktien- und Bondkurse zurückgekommen sind. Dadurch hatte man eine Überallokation im Immobilienbereich. Und so verkaufte man lieber börsennotierte Vehikel als eigene Immobilien am Markt. Nach den erfolgten Korrekturen bieten sich aber wieder attraktive Einstiegsmöglichkeiten und der Markt für indirekte Immobilienanlagen in der Schweiz erholt sich wieder etwas. Was wird uns nächstes Jahr erwarten? Das hängt stark davon ab, ob es gelingt, die Inflation einzufangen und die Raten zurück auf die Zielniveaus von rund 2 Prozent zu bewegen. Wir müssen uns aber kurzfristig auf weitere Preiskorrekturen einstellen. Die Schweiz wird sich davon nicht komplett abkoppeln können. Wir haben jetzt seit zwanzig Jahren einen Super-Zyklus in der Schweiz. Dass es wieder mal gewisse Korrekturen gibt, ist nicht falsch und sicherlich nicht ungesund für den Markt. Sollte die Inflation deutlich zurückgehen, sind sogar wieder niedrigere Zinsen eine Option. Welcher Bereich wird am stärksten leiden? Generell trifft es insbesondere die Sektoren, in denen die Preise zuletzt am höchsten waren. Hierzu zählen Logistikimmobilien, aber auch Büros. Im europäischen Büroimmobilienmarkt erwarten wir etwa eine Korrektur um rund 50 bis 70 Basispunkte, in der Schweiz um 20 bis 30 Punkte. Gerade bei Büroimmobilien wird sich weiter die Spreu vom Weizen trennen. Hier sind Qualität und Lage Trumpf, auch weil Unternehmen mittlerweile das Büro als ein Mittel sehen, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Gute Lagen mit einer optimalen Infrastruktur und Flexibilität sind daher gesucht. In der Schweiz und in Europa haben wir in diesem Bereich Leerstände, die historisch selten so tief waren, in den Innenstädten 2 bis 3 Prozent. Die peripheren Lagen hingegen werden es in Zukunft schwieriger haben. Trotz der aktuellen Krise und den Korrekturen im Logistikbereich wird dieser Sektor aber zukünftig dennoch erfolgreich bleiben, da mit dem weiteren Wachstum des Online-Handels neue Flächen benötigt werden. Wie reagieren institutionelle Anleger? Muss der Immobilienanteil in den Portfolios aufgrund von Bewertungsveränderungen abgebaut werden? Zum Teil waren die Reaktionen der Institutionellen und ihre Ausstiege aus den Immobilienfonds stark übertrieben. Die Kursverluste der Immobilienfonds hängen unter anderem auch daran, dass die Liquidität gering ist. Ich glaube nicht, dass man auf andere Assetklassen ausweichen wird. Immobilien sind für Institutionelle nach wie vor interessant. Man merkt das an gewissen Gegenbewegungen im Markt. Wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit bei Immobilien? Investoren verlangen immer häufiger Auskunft darüber, was Immobilienmanager betreffend ESG leisten. In der Schweiz gibt es noch keine Taxonomie mit einer klaren Regelung wie in Europa, sondern man versucht es mit Selbstregulierung. Gerade auch Fonds sind mittlerweile gezwungen, Kennzahlen über den CO2-Ausstoss und Nachhaltigkeit zu liefern. Das ist ein Trend, der die Immobilienszene langfristig beschäftigen wird. Die Asset-Management-Organisation AMAS hat kürzlich in Absprache mit der Finanzmarktaufsicht Finma verschiedene umweltrelevante Kennzahlen entwickelt, die zukünftig in den Geschäftsberichten der Schweizer Fonds publiziert werden müssen. Das Thema Nachhaltigkeit wird die Immobilienszene daher in Zukunft noch lange beschäftigen. Denn Immobilien sind mit rund 30 Prozent Anteil am gesamten CO2-Ausstoss in der Schweiz ein wichtiger Teil, um die ambitiösen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Denn der Klimawandel ist allgegenwärtig und die Schweiz hat sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Zudem wird das Thema Nachhaltigkeit ein echtes Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf den Wert einer Immobilie sein. Immobilien, die nicht modernen Standards entsprechen, laufen zunehmend Gefahr, nicht mehr vermiet- oder verkaufbar zu sein.

Roger Hennig über Immobilien in der Schweiz und Europa

«Die Schweiz ist im Moment noch ein Paradies»

Wie gehts den Immobilienmärkten in Europa?