Schweiz ist noch nicht so weit: Während der digitale Euro kommt, muss der E-Franken warten

Der Kollaps der Kryptobörse FTX erschüttert die Finanzwelt. Einmal mehr werden Kryptowährungen infrage gestellt und digitale Plattformen auf den Prüfstand. Um eine andere Revolution im Bereich der digitalen Währungen ist es hingegen still geworden: digitales Zentralbankgeld oder Central Bank Digital Currencies, kurz CBDC. Dabei handelt es sich um eine digitale Alternative zum heute von den Notenbanken ausgegebenen Bargeld. Diese neuen digitalen Zentralbankwährungen basieren in der Regel wie Bitcoin auf der Blockchain-Technologie, es ist aber keine Grundvoraussetzung. Auch wenn es still geworden ist, laufen die Arbeiten an CBDC weiter. Weltweit beschäftigen sich über hundert Länder damit. Es wird experimentiert und getestet. Nigeria und einige kleinere Staaten wie Jamaika oder die Bahamas haben bereits digitales Zentralbankgeld eingeführt. Ebenfalls weit fortgeschritten ist die Entwicklung in China, wo der seit Ende 2020 laufende Pilotversuch mit dem E-Yuan nächstes Jahr ausgeweitet werden soll. In Europa macht vor allem Schweden mit seiner E-Krona schnell voran und prüft derzeit, wie sie für Überweisungen ins Ausland genutzt werden kann. Die Euro-Zone will den digitalen Euro Mitte des Jahrzehnts als Ergänzung zum Bargeld unter die Leute bringen. Kein Kryptofranken für Herr und Frau Schweizer Auch die Schweiz testet seit 2020 mögliche Anwendungsformen von Kryptogeld der Zentralbank. Technisch gesehen ist vieles bereits voll entwickelt. Im Gemeinschaftsprojekt «Helvetia» der Schweizerischen Nationalbank (SNB), der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und der Schweizer Börse SIX wurde gezeigt, dass der Handel tokenisierter Vermögenswerte mit einer digitalen Währung im vorgegeben Rahmen effizient funktioniert. Unter Tokenisierung ist die Schaffung eines digitalen Abbilds eines Vermögenswertes auf der Blockchain gemeint. Im Folgeprojekt mit dem bezeichnenden Namen «Jura» wurden die Möglichkeiten von CBDC zum grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr mit Frankreich untersucht. Noch einen Schritt weiter geht das neuste Projekt «Mariana» der BIZ, an dem sich wiederum die SNB und andere Notenbanken beteiligen. Darin wird der Einsatz von dezentralen Finanzprotokollen (Defi) zur Automatisierung von Devisenmärkten und -abrechnungen erforscht. Konkret wird untersucht, ob automatisierte Market-Maker die Transaktionen in CBDC effizient bepreisen könnten. Dass es der SNB ernst ist, davon zeugen auch Markeneinträge: Sie hat beim Patentamt sowohl die Begriffe «Digitaler Franken» und «Digitaler Schweizer Franken» wie auch «E-Franken» als Marken eintragen lassen. Im Unterschied zu anderen Zentralbanken beschränken sich die SNB-Projekte jedoch auf sogenannte Wholesale-CBDC. Diese Art von digitalem Zentralbankgeld ist nur für Finanzinstitute vorgesehen und unterscheidet sich damit wesentlich von den Retail-CBCD fürs breite Publikum, wo die Bürgerinnen und Bürger direkt ein Konto bei der Zentralbank haben könnten. Dass der Kryptofranken für alle kein Thema ist, betont die Nationalbank bei jeder Gelegenheit. Sie bleibt damit dem Stufenmodell treu: Die SNB bedient die Banken, die Banken bedienen das Publikum. Mit den Wholesale-CBDC erhoffen sich die Zentralbanken Effizienzgewinne. Denn sie ermöglichen auch grenzüberschreitende Transaktionen zwischen Finanzinstituten und Notenbanken ohne den Umweg über ihre nationalen Währungen, was Kosten und Zeit spart. Sie sind weniger umstritten als Retail-CBDC, weil sie kaum Auswirkungen auf unseren Alltag haben dürften. Fabian Schär hält die Vorteile von solchen CBDC für Grosskunden für überschaubar. «Da muss man sich eher fragen, weshalb es sie überhaupt braucht», sagt der Professor für Blockchain und Fintech an der Universität Basel. Schliesslich gebe es bereits Abwicklungssysteme, und diese könne man auch ohne CBDC und Blockchain effizienter gestalten. Das wichtigste Argument für Blockchain-basierte CBDC ist laut Schär die potenziell neutrale Infrastruktur und die Programmierbarkeit. Spannender sind aus seiner Warte die Fragen rund um digitales Zentralbankgeld fürs breite Publikum. «Wenn Bargeld weiter an Stellenwert verliert, wäre Retail-CBDC die letzte Möglichkeit, als Privatperson Geld ohne Gegenparteirisiko zu halten», sagt der Blockchain-Professor, der auch das Center for Innovative Finance der Uni Basel leitet. Was vielen nicht bewusst ist: Das Geld, das wir unterdessen am häufigsten brauchen, unterliegt einem Gegenparteirisiko. Wenn wir mit Karte bezahlen oder Geld überweisen, findet eine Transaktion von Buchgeld statt. Dabei handelt es sich um privates Geld der Banken. Sie garantieren für die Werthaltigkeit, bis sie dafür Bargeld ausliefern. Bei Bargeld und Notenbankgeld hingegen garantiert die Zentralbank für den Wert. Banken droht Bedeutungslosigkeit Unter dem Gesichtspunkt der Finanzstabilität wäre eine digitale Zentralbankwährung laut Schär sehr spannend, doch sie birgt auch neue Risiken: So müsste etwa die Rolle der Geschäftsbanken neu erfunden werden. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von Disintermediation. Gemeint ist, dass es die Banken als Mittelsmänner zwischen Einlegern und Kreditnehmern immer weniger braucht. Das könnte in Krisenzeiten Bank-Runs beschleunigen, weil Sparer potenziell in sicheres Zentralbankgeld flüchten. Letztlich hängen die Effekte laut Schär von der konkreten Implementierung ab – insbesondere davon, welche Dienstleistungen von der Zentralbank angeboten werden und inwieweit digitale Zentralbankwährung eine Ergänzung oder ein Ersatz zu den Angeboten der Geschäftsbanken darstellt. Angriff auf die Privatsphäre in Geldangelegenheiten Das andere grosse Thema ist der Umgang mit dem Datenschutz und dem Erhalt der Privatsphäre. Bargeld ist anonym. Beim digitalen Zentralbankgeld aber lässt sich jede Transaktion aufzeichnen und nachweisen. «Je nach Implementierung steigert eine zentrale Digitalwährung die Effizienz, sie kann aber auch in die totale Überwachung führen», sagt Schär. Für die Regulatoren steht die Gefahr von Geldwäscherei und Terrorfinanzierung im Vordergrund, sie wollen deshalb eine zentrale Instanz, die das System kontrolliert. Die Bedenken sind berechtigt, allerdings droht durch die Kontrolle die Gefahr, dass es dann gar keine Privatsphäre in Geldangelegenheiten mehr gibt. «Kommt eine falsche Person an die Macht, könnte ein solches System zur Durchsetzung von Verboten, Zensur bis hin zur Enteignung genutzt werden. Das ist gesellschaftspolitisch gefährlich», warnt Schär, der von den Zentralbanken als Experte herangezogen wird. Für den Professor ist klar: Man kann nicht alle Formen von digitalem Notenbankgeld in einen Topf werfen, es kommt stark darauf an, wie sie aufgesetzt werden. Die Einführung sollte nicht überstürzt werden, viele Fragen seien noch zu klären, warnt er. Etwa: Was wird konkret unter Programmierbarkeit verstanden, sind zum Beispiel Negativzinsen oder zweckgebundene Mittel eine Option? Wie wird die Privatsphäre gewährleistet? Auch hinsichtlich der Technologie ist noch nichts entschieden: Es müsse nicht unbedingt eine Blockchain sein, man könnte das auch mit einer zentralen Datenbank lösen, erklärt Schär. Die entscheidende Frage sei jeweils, wer diese Datenbank kontrolliert und wie unilaterale Anpassungen verhindert werden. «Auch wenn das System über die Blockchain läuft, heisst das nicht automatisch, dass es dezentral ist», sagt Schär. Bei vielen zugangsbeschränkten Blockchains legt eine zentrale Instanz exklusiv den Zustand dieser Blockchain fest. In diesem Fall gehen laut Schär die eigentlichen Vorteile der Technologie verloren, und man sei näher bei einer normal zentral verwalteten Datenbank. Bis zur Einführung dauerte es noch ein paar Jahre Ab wann Banken und Zentralbanken ihre Devisengeschäfte mit einer eigenen Kryptowährung abwickeln und in Europa der digitale Euro in Umlauf kommt, ist schwer abzuschätzen. Nach der Untersuchungsphase soll nächstes Jahr der definitive Entscheid gefällt werden. Bis zur Einführung des digitalen Euro wird es aber noch mindestens drei Jahren dauern. Die Bundesbank rechnet frühestens Ende 2026 damit. Klar sei, dass im Euro-Raum mit Hochdruck daran gearbeitet werde, sagt Schär. Das berge aber auch die Gefahr, dass es zu schnell gehen könnte und die Konsequenzen möglicherweise nicht vollständig berücksichtigt werden. Eine digitalisierte Version des Dollar dürfte hingegen noch einiges länger auf sich warten lassen. Zwar arbeitet das Innovationszentrum der Distriktsnotenbank New York mit den Banken an einem digitalen Dollar-Pilotprojekt. Aber insgesamt sind die USA eher zögerlich unterwegs. Erst Anfang Jahr publizierte das Fed ein erstes Diskussionspapier über die Vor- und Nachteile einer digitalen Zentralbankwährung. Ein Entscheid ist aber noch nicht gefallen, und es gibt kritische Stimmen innerhalb der Notenbank. Ähnlich wie die SNB sind viele Fed-Vertreterinnen und -Vertreter der Meinung, dass es keine Retail-CBDC braucht und man das Feld privaten Anbietern überlassen kann. Stablecoins etwa, deren Wert an eine nationale Währung wie den Dollar oder an einen Währungskorb gebunden ist, könnten die Lücke füllen. Das Debakel um den vermeintlichen stabilen – und im vergangenen Mai zusammengebrochenen – Stablecoin Terra hat aber gezeigt, dass die Mechanismen zur Wechselkursanbindung noch Verbesserungspotenzial haben.

Schweiz ist noch nicht so weit: Während der digitale Euro kommt, muss der E-Franken warten

Der digitale Euro kommt, aber der E-Franken muss warten