Tipps von Bankerlegende Oswald Grübel: «Selber zu investieren, macht Sie zu einem besseren Menschen»

Welches Thema beschäftigt Sie im Moment? Der Ukraine-Russland-Krieg. Es macht mir Angst, dass wir scheinbar nichts aus der Geschichte gelernt haben. Vor allem wenn ich die EU sehe, wie kriegstreiberisch die Politiker und Politikerinnen geworden sind. Es wird mehr und mehr aufgerüstet, auf beiden Seiten, anstatt Verhandlungen zu führen. Menschlich und wirtschaftlich bahnt sich ein Desaster an. Was sagen Sie zur Credit Suisse? Überrascht hat mich in erster Linie die Kapitalerhöhung im Dezember. Diese hätte man meines Erachtens vermeiden sollen. Kapitalerhöhungen bei einem Viertel des Buchwertes sollte man nicht machen – und wenn dann noch das Geld dafür verwendet wird, um erneut Boni oder Abfindungen auszuzahlen, obwohl das Unternehmen einen Verlust schreibt, ist das für Aktionäre und Aktionärinnen ein Hohn. Besitzen Sie selbst CS-Aktien? Ja, ich habe Aktien gekauft, als der Kurs sehr schnell von 6 auf 4 Franken fiel. Damals wurden alle möglichen Gerüchte kolportiert. Um das Unternehmen publikumswirksam zu unterstützen, habe ich Aktien beim Kurs von 4 Franken gekauft und habe auch die Kapitalerhöhung mitgemacht. Wird sich der Kurs erholen? Das wird einige Zeit dauern. Allein schon, um auf 5 oder 6 Franken zurückzukehren. Ein Verlust von 50 Prozent erfordert einen nachfolgenden Anstieg von 100 Prozent, damit man wieder dort ist, wo man vorher war. Mir ist unklar, was der Plan der CS-Führung ist, um den Aktienkurs zu erhöhen. Wenn sie das nicht können, werden die Aktionäre andere Vertreterinnen in den VR wählen. Das ist Oswald Grübel Bankerlegende Oswald Grübel (79) ist die einzige Person, die beide Schweizer Grossbanken geleitet hat. 1943 im Osten Deutschlands zur Welt gekommen, machte ihn der Krieg bald zum Waisenkind. Er absolvierte eine Banklehre bei der Deutschen Bank in Mannheim. 1970 wechselte er zur Credit Suisse. Dem passionierten Händler gelang ein steiler Aufstieg. Von 2002 bis 2007 war er CEO der Credit Suisse. 2009 holte ihn die UBS als Sanierer aus der Pension zurück. 2011 trat er nach Milliardenverlusten eines betrügerischen Händlers zurück. Er hat eine Tochter und drei Enkelkinder, ein Mädchen, sechs Jahre alt, und zwei Jungen, acht und zehn Jahre alt. Wen sollte sich die CS als Vorbild nehmen, wer ist aktuell Bankenprimus? US-Banken sind ironischerweise wieder Vorbilder. Die sechs grössten US-Banken, JPMorgan, Bank of America, City Group, Goldman Sachs, Morgan Stanley und Wells Fargo, haben in den letzten zehn Jahren 1 Billion Gewinn gemacht. So ein hoher Profit wurde vorher noch nie erreicht. Hauptsächlich das Investmentbanking trug viel dazu bei. Es ist das profitabelste Geschäft einer Bank, wenn man es richtig macht. Wenn man es aber nicht kann, verliert man natürlich sehr viel. Und die Schweizer Banken können es nicht ... Wir haben das Investmentbanking in den 1980er Jahren von den Amerikanern gekauft, die damals Probleme damit hatten. Wir haben es eine Zeit lang besser gemacht und es dann wieder an die Amerikaner verloren. Wir haben uns in der Schweiz schwergetan, Mitarbeitende zu finden, die dieses Geschäft profitabel führen können. Heute sind unsere Grossbanken nirgendwo führend darin. Künstliche Intelligenz, wie Chat GPT, ist aktuell in aller Munde. Sollte man die Verwaltung des Vermögens lieber der Intelligenz eines Computers überlassen? Ich gehe davon aus, dass die Verbreitung der Computerberatung wohl zunehmen wird. Meine Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass die Performance, die durch Computersoftware generiert wird, nur dem Marktgeschehen entspricht. Wenn sie nicht besser ist als der Markt, benötigt man keine künstliche Intelligenz, sondern kann den Markt auch ganz einfach mit ETF nachbauen. Woran liegt es, dass künstliche Intelligenz den Menschen scheinbar nicht zu schlagen vermag? Ein Computer handelt logisch, doch Auktionsmärkte wie Börsen sind nicht logisch. An den Börsen sehen wir eine Zusammenfassung unseres menschlichen Handelns, und wir Menschen handeln eben nicht immer logisch. Aus Computersicht handeln wir oft unlogisch, und daran scheitert er. Was empfehlen Sie: das Vermögen von einem Profi verwalten zu lassen oder lieber selbst zu machen? Einige wenige Anlageberatende sind gut, andere schlecht. Als die Börse vergangenes Jahr um 20 Prozent fiel und die meisten Anlageberatenden falsch lagen, sagten sie, man müsse das langfristig sehen. Das ist die häufigste Ausrede, die es gibt. Jeder Anlageberater sagt das, wenn er die Marktwende verpasst hat. Wie will er dann langfristig wissen, wohin es geht? Dann zeigt der Anlageberater einen Chart und erwähnt, dass in den vergangenen hundert Jahren die Aktienmärkte immer gestiegen sind. Ja, wenn man ewig lebt, ist das ok. Aber selbst dann werden in dieser Zeitspanne Firmen pleitegehen, und wer zum Beispiel im Jahr 2007 Aktien gekauft hat, musste bis 2013 warten können, um wieder zum Einstandspreis zu gelangen. Auf wen oder was sollte man hören? Hören Sie auf das eigene Gespür. Hören Sie nicht auf andere, hören Sie auf sich selbst. Informieren Sie sich, das ist heute leichter denn je, lernen Sie aus eigenen Fehlern. Sie werden einige Verluste erleben, aber die werden sie auch mit professionellen Anlageberatenden haben. Selber zu investieren, macht Sie noch dazu zu einem besseren Menschen. Es zwingt Sie, selbst Entscheide zu treffen, darüber nachzudenken, wenn etwas schiefgelaufen ist, wie Sie es besser machen können. Man fühlt sich viel besser, wenn man durch eigene Entscheide Geld verliert, als wenn andere für Sie Geld verlieren, die Sie auch noch dafür bezahlen müssen. Brauche ich Gold in meinem Depot? Wenn man ein grösseres Vermögen hat, macht ein kleinerer Prozentsatz von circa 10 Prozent Sinn. Das kann man dann für längere Zeit behalten. Es lohnt sich nicht, Gold ständig zu kaufen oder zu verkaufen, ausser für den Händler. Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um an den Aktienmärkten einzusteigen? Es war schon lange nicht mehr so unklar wie dieses Jahr, wohin sich der Markt bewegen wird. Vieles hängt davon ab, ob wir die Inflation wieder auf 2 Prozent reduzieren können, denn Aktienmärkte reagieren sensitiv darauf. Also aktuell Hände weg? Wenn man jetzt kauft, muss man überzeugt sein, dass die Inflation besiegt ist. Der Markt scheint das derzeit zu glauben. Allerdings warnen die Zentralbanken, dass die Zinssätze noch viel länger hoch bleiben werden. Daher erst mal abwarten. Kriegt man die Inflation im Griff? In den USA ist die Inflation sehr schnell von 9 auf 6 Prozent gefallen. Die Zinsen liegen bei 4,5 Prozent. A la longue jedoch müssen die Zinssätze, um die Inflation bekämpfen zu können, höher sein als die Inflationsrate, ausser die Wirtschaft geht in eine Rezession. Wie man in der EU die Inflation unter Kontrolle bringen will, ist mir ein Rätsel. Die Zinssätze sind im Vergleich zur Inflation viel zu tief. Ohne Rezession werden wir noch lange Inflation haben. Abgesehen davon lieben Staaten Inflation. Staaten lieben Inflation? Sie werden sehen. Alle Länder werden bald damit angeben, dass sie höhere Steuereinnahmen haben. Nicht, weil sie etwas Gutes gemacht hätten. Einfach aufgrund der höheren Preise sind auch die Steuereinnahmen höher, Mehrwertsteuer und so weiter. Das gibt den Staaten die Gelegenheit, noch mehr Geld auszugeben. Sind Aktien gut in Zeiten der Inflation? Bei lang anhaltender Inflation schon. Aber nicht zu Beginn der Inflation. Dann sind die Regierungen noch in der Lage, die Zinssätze anzupassen, und die Aktienkurse fallen. So gesehen am Beispiel der Türkei. Der Aktienmarkt war vergangenes Jahr mit einem Kursanstieg von über 100 Prozent (in Dollar) der stärkste Aktienmarkt der Welt, die Firmen haben sich auf eine Dollar-Wirtschaft umgestellt. Man hat realisiert, dass die Regierung kein Interesse daran hat, die Zinssätze der Inflation anzupassen. Im Jahr zuvor, bis klar war, was die Regierung machen würde, war der Markt noch um 30 Prozent gefallen.. Welche Trends beobachten Sie an den Märkten? Nachhaltigkeit wird eines der grossen Investmentthemen der Zukunft sein. Heute schon fliessen jedes Jahr circa 3000 Milliarden Dollar in diese Sparte. In Sachen Nachhaltigkeit sind wir heute dort, wo die Computerindustrie vor vierzig Jahren war. Wir machen Fehler, die ganz offensichtlich sind, aber uns nicht hindern werden, weiter zu investieren. Man muss allerdings sehr gut informiert sein, um die richtigen Firmen zu finden – und wie bei jedem neuen Markt wird es auch grosse Verluste geben. Zum Beispiel? Wir bringen in aller Eile Elektroautos auf den Markt, um jetzt feststellen zu müssen, dass wir nicht genügend sauberen Strom haben. Wir hätten es andersrum machen müssen und zuerst das nachhaltige Stromnetz ausbauen sollen. Auch können wir in der Schweiz nicht Zehntausende Windräder aufstellen, sondern müssen andere Lösungen finden. Investoren, die gerne in Nachhaltigkeit investieren möchten, haben oft ein Problem. Denn viele Fonds beinhalten nicht das, was sie vorgeben. Was tun? Viele Unternehmen haben sich unter dem Druck von aussen schnell als nachhaltig erklärt. Da ist noch vieles unausgegoren. Abgesehen davon sollte man aus einem anderen Grund investieren. Der wäre? Man investiert, um Geld zu verdienen, nicht um Geld zu verlieren. Deshalb ist es die Aufgabe eines Investors, zu analysieren, wo man Geld verdienen kann. Investieren ist nicht unbedingt ein ethischer Vorgang. Da werden einige widersprechen. Investieren nützt nichts, wenn Sie ihr ganzes Vermögen verlieren. Sie waren vielleicht ethisch korrekt, aber sind pleite. Leider gibt es viele Produkte auf dem Markt, die ökonomisch keinen Sinn machen. Würden Sie selbst in unethische Fonds investieren? Das kommt darauf an, was man als unethisch bezeichnet. Wenn Sie Ölgesellschaften als unethisch bezeichnen, dann würde ich sagen, dass Sie zu früh sind, denn wir brauchen sie noch – und wie steht es mit der Ethik bei Windrädern, Solarpanels oder Batterien? Wie unterstützen Sie Nachhaltigkeit? Zum Beispiel achten wir beim Einkauf sehr genau auf die Verpackung und darauf, woher die Lebensmittel kommen. Wir kaufen keine aufwendigen Verpackungen oder Lebensmittel, die von weit her eingeflogen wurden. Wir fahren so wenig wie möglich mit dem Auto. Wir alle sollten einen Schritt zurückgehen und naturverbundener werden. Es wird unsere Städte grundlegend verändern. Der Verkehr und das Gewerbe werden zunehmend herausgedrängt, und Geisterstädte entstehen. Das könnte dazu führen, dass viele aufs Land ziehen werden. Sie besitzen in diesem Fall kein Elektroauto? Bei aller Ernsthaftigkeit – sich aufgrund des Umweltschutzes jetzt ein Elektroauto zu kaufen, das mit nicht nachhaltigem Strom betrieben wird, ist verfrüht. Abgesehen von den enormen Umweltproblemen, die mit der Herstellung der E-Autos verbunden sind. Wie sind Sie persönlich zum Thema Nachhaltigkeit gekommen? Meine liebe Frau hat mich schon früh darauf aufmerksam gemacht und gezeigt, wie wir unser Verhalten ändern können. Es wird darüber diskutiert, Oligarchengelder zum Aufbau der Ukraine zu verwenden. Was halten Sie davon? Moralismus hat aktuell Hochkonjunktur, und im Zuge dessen haben wir unsere Neutralität negiert – jedenfalls sehen das die Menschen im Ausland so. Und leider ist das, wie andere uns sehen, ausschlaggebend, und nicht das, was wir glauben. Es scheint mir merkwürdig, wenn heute Personen sanktioniert werden, mit denen die Staaten, die heute die Sanktionen aussprechen, noch vorher gross geschäftet haben. Sie sind 1970 in die Schweiz gekommen. Wie viel Schweizer steckt in Ihnen? Ich fühle mich als Schweizer. Mir gefällt es sehr gut hier. Obwohl ich nie den Schweizer Akzent gelernt habe, aber natürlich verstehe. Haben Sie einen Schweizer Pass? Nein. In meinem Alter mache ich keine Prüfung, um einen Pass zu bekommen. Welchen Luxus gönnen Sie sich heute? Heutzutage brauche ich ja fast nichts. Rauchen Sie eigentlich noch? Natürlich. Aber nur Zigarren. Das ist meine Unterstützung des Kommunismus auf Kuba. Dürfen es auch andere Zigarren sein? Nein, nur kubanische. Das sind die besten der Welt. Und nicht wegen der Kommunisten. Das hat mit dem Mikroklima zu tun. Der Tabak, der dort wächst, schmeckt einmalig. Man kann zwar denselben Tabaksamen irgendwo anders anpflanzen, aber er schmeckt dann auch ganz anders. Ähnlich wie Blue Mountain Kaffee? Ja, ich unterstütze auch Jamaika, in dem ich Blue Mountain Kaffee trinke. Ein wunderbarer Kaffee, mit wenig Säure. Er kostet leider 40 Franken die Packung. Sammeln Sie auch Wein, zur Geldanlage? Nein. Wein ist mir zu langweilig, um Geld damit zu verdienen, man sollte ihn lieber trinken. Was schenken Sie Ihren drei Enkelkindern? Nichts. Meine Tochter tut das bereits. Was wäre ein gutes Geschenk? Sinnvoll sind Geschenke, mit denen man etwas lernen kann. Was wollen Sie Ihren Enkeln später mal mitgeben? Ich habe gelernt, ohne Arbeit gibt es keinen Erfolg. Die Tätigkeit sollte etwas sein, das man gerne macht. Ich habe zwar nicht gewusst, dass ich einmal Freude am Banking haben werde, ich wollte ja immer Ingenieur werden. Aber nachdem ich die Banklehre gemacht hatte, merkte ich, wie interessant der Job ist. Was hat Ihnen an Ihrem ersten Bankjob Freude gemacht? Das Geldverdienen? Geld verdienen war zuerst eine Notwendigkeit. Wenn man 1943 geboren wurde, ist man in eine zerstörte Welt gekommen, und das änderte sich auch in den nächsten zehn Jahren nicht. Ich habe nach der Lehre, 1962, 280 Franken im Monat verdient. Es war auch damals schwer, mit so einem Betrag auszukommen. Mir wurde klar, dass man vom Gehalt allein nicht reich werden kann. Aber es war schlussendlich ein Glücksfall für mich, dass ich Angestellter einer Bank wurde und gelernt habe, wie man mit Geld Geld verdienen kann.

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