Wein-Auktion: Tipps um edle Flaschen zu ersteigern

An den Wänden der edlen Zunftstube im ersten Stock des Fünfsternehotels Widder in Zürich blicken die ernsten Mienen der früheren UBS-Bosse in Öl auf etwa fünfzig Stühle herab. Noch 75 Minuten bis zum Start der ersten grossen Weinauktion von Denz Auktionen dieses Jahr. Die Vorbereitungen sind schon lange abgeschlossen, der Katalog mit den 922 Positionen ist gedruckt, die Schätzpreise sind festgelegt. Es kann losgehen. Was bleibt, ist die Anspannung vor dem Start. Ein bisschen wie vor einem Pferderennen, wenn die Pferde Publikum präsentiert und dann in die Startboxen geführt werden. Doch im «Widder» werden keine Weine gezeigt, da sind keine livrierten Menschen, die in weissen Handschuhen teure Weine herumreichen. «Es wäre sicher nicht gut für einen Wein, der siebzig Jahre lang kühl und dunkel gelagert wurde, bei 26 Grad im Saal über Stunden herumgereicht zu werden», sagt Andreas Dünner von Denz Auktionen. «Das würde dem Wein massiv schaden.» Die Weine bleiben, perfekt temperiert und sortiert, im Lager in Dietikon. Dort wurden die Weine fotografiert und katalogisiert. Keine Angst, dass da was untergeht oder verwechselt wird? «Auf keinen Fall, wir machen das ja nicht zum ersten Mal!» Genau zum 279. Mal. Denn der Weinunternehmer Silvio Denz übernahm 2004 vom Weinauktionator Franz Wermuth die Les Grands Vins Wermuth SA. Die Bereiche Handel und Auktionen wurden 2015 (nachdem Wermuth in Pension gegangen war) in zwei eigene Unternehmen aufgeteilt. Anfang 2021 dann wurde «Wermuth Auktionen» in «Denz Auktionen» umbenannt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der inzwischen 71-jährige Franz Wermuth es sich nach dem Verkauf noch einmal überlegte und unter «franzwehrmuth» weiter auktionierte. Schliesslich hat er nach eigenen Aussagen immer noch ein sehr gutes Netzwerk in der Branche. «Und nur wer Kunden und Weinbesitzerinnen kennt und deren Vertrauen hat, kann sich in diesem Geschäft halten», sagt Wermuth. Im «Widder» ist unterdessen Auktionator und Kunstexperte Georges De Bartha aus London eingetroffen. Der Auktionator hat eine absolut zentrale Funktion. Er bestimmt das Tempo der Auktion, muss jederzeit den Überblick haben, aufmerksam das Publikum beobachten und in strittigen Momenten für Klarheit sorgen. De Bartha setzt sich mit konzentrierter Miene an den Bietertisch und liest sich in den Katalog ein. Noch 45 Minuten bis zum Start. Der Auktionsmarkt geht Richtung Online Das Auktionsgeschäft in der Schweiz teilen sich sechs Unternehmen auf: das Auktionshaus Steinfels (als erstes im Geschäft in der Schweiz), die Weinbörse, Denz Auktionen und Dr. Spengler & Partner / Franz J. Wermuth. Dazu gesellen sich die beiden internationalen Auktionsriesen Sotheby’s und Christie’s, die in der Schweiz nur in Genf auktionieren. Die Weinbörse gehört René Gabriel, dem Weinimporteur Max Gerstl sowie Jürg Richter, der sich schon als Numismatiker und mit Münzauktionen einen Namen gemacht hat. Seine Auktionssoftware hat die Basis dafür gelegt, dass die Weinbörse sich heute immer mehr Richtung Online-Auktionen orientieren kann. «Wir haben im November die erste Online-Auktion durchgeführt und waren überwältigt davon, wie gross das Interesse war», sagt Max Gerstl. «Das hat uns einen gewaltigen Schub gegeben.» Sogar aus Singapur und Hongkong hätten sich Bieterinnen und Bieter eingeschaltet – ungeachtet der Zeitverschiebung. Auf Nachfrage bestätigt Gerstl, dass die Umsätze um mehr als 20 Prozent gestiegen seien. Um 16.15 Uhr trudeln die Kundinnen und Kunden im «Widder» ein. Einige davon besuchen seit Jahren Weinauktionen. Wie etwa Peter Züllig, 82, Bordeaux-Sammler und Besitzer der grössten Karl-May-Memorabiliensammlung Europas. Oder Markus Wanner, dem die wohl grösste Mouton-Rothschild-Sammlung der Welt gehört. Oder Reto Caviezel, legendärer «Art on Ice»-Organisator und begeisterter Weinsammler. Für ihn ist die seriöse Vorbereitung vor der Auktion absolut zentral: «Ich gehe vor jeder Auktion den Katalog minutiös durch.» Zeitaufwand? «Etwa zwei volle Tage.» Peter Züllig, früher Chef von «Schweiz aktuell» bei SRF und Lehrbeauftragter für Publizistik, hat eine Bordeaux-Sammlung mit etwa 4000 Positionen. Er führt einen eigenen Sammlerblog, Sammlerfreak.ch, und ist wohl der beste Kenner des Auktionsgeschäftes hierzulande. Kurz skizziert er die Weinauktionsbesucher: «Es gibt die Weinfreunde: Sie suchen sehr bewusst ganz bestimmte Weine und sind auch bereit, etwas auszugeben. Dann sind da die Schnäppchenjäger. Was sie kaufen ist sehr zufällig, Hauptsache, es ist günstig. Und dann sind da noch die Profihändlerinnen und Investorinnen. Sie arbeiten oft im Auftrag von Sammlern, Gastronominnen oder Wiederverkäufern.» Die Konzentration steigt Um 17 Uhr melden sich noch immer neue Besucherinnen und Besucher an, greifen sich ihre Auktionskarte und setzen sich auf die rarer werdenden freien Stühle. Mit einem Hammerschlag eröffnet der Auktionator pünktlich das Geschehen. Es wird ruhig, die Konzentration steigt, die Sammler beugen sich über ihre Kataloge. Der Auktionator peitscht das Geschäft gnadenlos durch. Teils im 15-Sekunden-Rhythmus wird Angebot um Angebot aufgerufen. Oft geht das Angebot an jemanden, der schriftlich geboten hat, ab und zu kommt es zu kleinen Bieterduellen im Saal, aber alles geht ruhig und konzentriert durch. Emotionen sind praktisch keine im Spiel. Ein Bieter in den hinteren Reihen hat eben für etwa 20'000 Franken sämtliche Lots an Château Palmer 2010 aufgekauft, geht danach seelenruhig ans Buffet, holt sich ein Wasser und schaut weiter zu. Fast alle Anwesenden wissen schon im Voraus, für was sie bieten wollen, für welche Lots, wie die einzelnen Angebote im Auktionsjargon genannt werden. Alexander Ulrich zum Beispiel, leidenschaftlicher Sammler und Trinker älterer Bordeaux-Weine, interessiert sich für alle Grand-Puy-Lacoste-Lots, nimmt dann aber nebenbei auch noch einige Flaschen Calon-Ségur 2000 nach Hause: «2000er geht immer …» Peter Züllig hat ein Auge auf eine Flasche Impérial (6 Liter) Château Monbrison von 2005 geworfen, aber er verzichtet, als der Preis über 300 Franken steigt. «Man muss wissen, wann man aussteigen muss.» Sich im Griff zu haben, ist das das A und O an Auktionen. «Man darf sich nicht provozieren lassen, muss cool bleiben», sagt Züllig. Dies auch im Wissen darum, dass fast jede Gelegenheit wiederkommt, weil es mindestens acht grosse Auktionen pro Jahr gibt, wo immer wieder etwa das Gleiche angeboten wird. «Man muss ausdauernd sein und fokussiert bleiben.» Wer sich eine Bietpreislimite setzt, muss beachten, dass der Zuschlagspreis natürlich nicht der wirkliche Verkaufspreis ist. Kauft eine Kundin einen Wein, kommt die offizielle Abwicklungsgebühr von rund 8 Franken pro Lot dazu und das Aufgeld, das in Prozent der Gesamtsumme berechnet wird. Es ist je nach Auktionshaus unterschiedlich hoch, beträgt aber zwischen 9 bis 12 Prozent. Bei den internationalen Häusern beträgt es bis zu 25 Prozent. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Mehrwertsteuer. Bei Denz und Steinfels wird sie auf Weine von Privatkunden und Privatkundinnen nicht erhoben. Wermuth und die Weinbörse verrechnen sie auf alle Lots. Überdies: Auch der Einlieferer, sprich der Verkäufer, zahlt eine Handelsgebühr von circa 15 Prozent (bei Denz 10 Prozent). Das heisst: Für einen Wein, der für 50 Franken ersteigert wird, erhält der Verkäufer etwa 42.50 Franken – und der Käufer zahlt ungefähr 65 Franken. Die Marge dazwischen teilen sich Staat und Auktionshaus. In der Pause edle Häppchen Trotzdem lassen sich günstige Weine finden, deutlich preiswerter als im normalen Handel. Es gibt immer mehr Leute, die sich von ihren riesigen Weinkellern trennen: Etwa jene, die Weinkeller geerbt haben und sie veräussern oder deren Interesse an guten Weinen schwindet. «Professionelle Händler schwören auf saubere Etiketten, nur diese können sie gut weiterverkaufen», sagt Züllig. «Nur: Die Qualität der Etikette hat meist nichts mit der Qualität des Weines zu tun. Wer darauf achte und bei einem Auktionator seines Vertrauens kaufe, könne hier gute Tropfen ergattern. Zudem: Die grossen Namen stehen immer mehr im Fokus als die kleinen Châteaux. «Gerade bei den kleineren Häusern aber sind die Preise noch viel realistischer», sagt Ulrich. Es ist 19 Uhr im «Widder». Nach 620 versteigerten Lots gibts eine Verschnaufpause. Edle Häppchen werden aufgefahren, feiner Champagner wird serviert. Es gilt, das Publikum bei der Stange zu halten, denn noch immer sind 300 Positionen ausstehend. Und ein animiertes Publikum sorgt für gute Preise und hohe Umsätze. Das Preisniveau bei Weinauktionen ist bei den sehr raren Weinen in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Die grossen Namen ziehen immer mehr Kundeninteresse auf sich. Mit absurden Folgen: So geht ein Grossteil des internationalen Geschäftes von Sotheby’s nur auf den Run auf die Weine der Domaine de la Romanée-Conti zurück. Die Schweiz gilt immer noch als ein Paradies für teure Weine, vor allem aus dem Bordeaux und dem Burgund. «Die Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen haben einfach ein aussergewöhnlich gutes Know-how in Sachen Wein», sagt Franz Wermuth, «sie wissen, was gut ist.» Und sie können es auch bezahlen, liesse sich anfügen. Doch die grossen Märkte liegen heute anderswo: Immer häufiger gehen die ersteigerten Weine nach Asien. Dort werden massive Weinkeller aufgebaut. Bei Sotheby’s etwa wurden im Jahr 2020 schon 65 Prozent der Umsätze von Kundschaft in Asien generiert, und auch beim globalen Marktleader, der amerikanischen Acker Merrall & Condit, war es mehr als jeder dritte Umsatzdollar. Auch von den in der Schweiz ersteigerten Weinen gehen immer mehr nach Asien. Live-Auktionen: Wer nicht mit der Zeit geht … Befördert wird das auch von der Digitalisierung. Sie wird die Live-Auktionen früher oder später aus dem Geschäft drängen, davon sind viele überzeugt. Auch Peter Züllig sagt: «Das klassische Live-Auktionieren ist ein Auslaufmodell für ein eher älteres Publikum.» Die Pandemie hat diesen Trend noch verschärft. Wer sich von den klassischen Anbietern nicht darauf einstellt, hat verloren. Auch die Weinbörse von Gabriel und Gerstl wird Live-Auktionen in Zukunft nur noch in Bad Ragaz organisieren und nicht mehr in Zürich. Und Steinfels, das älteste Auktionshaus der Schweiz, organisiert schon heute neben den zwei Live-Auktionen pro Jahr jeweils am letzten Tag jedes Monats eine Online-Auktion. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Im «Widder» ist es jetzt 20.25 Uhr. Es ist ruhig geworden im Saal. Einige Unentwegte harren bis zur letzten Kiste aus. Doch die Luft ist draussen. Obwohl unter den letzten zwanzig bis dreissig Lots noch einige sehr preiswerte Angebote zu finden wären, gehen fast alle zu Mindestpreisen an schriftliche Bieter. Andras Dünner ist mit der Auktion dennoch zufrieden: «Der Umsatz lag knapp unter 1 Million Franken.» Trotz Pandemie und Krieg in der Ukraine. Um 20.27 Uhr knallt der Hammer von Georges De Bartha zum 922. und letzten Mal auf die Platte. Und Peter Züllig nimmt lächelnd noch ein Schnäppchen mit: sechs Flaschen Tuvara von Alberto Loi für gerade mal 30 Franken. Wie sagte er vorher so bezeichnend: «Man muss ausdauernd und fokussiert sein.» Bis ganz zum Schluss eben.

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So ersteigern Sie edle Flaschen an einer Wein-Auktion