Zwanzig Jahre strukturell fallende Zinsen und zehn Jahre des Gelddruckens haben eine «Bombe» in Form von kontinuierlich wachsender Verschuldung und Leverage in unserem Wirtschaftssystem scharf gestellt: Diese verlangt von den Notenbanken, den ständig steigenden Liquiditätsbedarf des Privatsektors und des Staates in einem ausreichenden Mass zu bedienen und gleichzeitig die Finanzierungskosten auf einem erträglichen Niveau zu halten.

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Eine zu starke Drosselung der Liquiditätsmassnahmen und ein zu hoher Leitzins würden mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kreditklemme verursachen und im schlimmsten Fall zu einer Implosion des Finanzsystems führen.    

Massive Staatsverschuldung  

Die Zentralbanken sind sich dessen bewusst und agieren nach dem Grundsatz, im Zweifel die geldpolitischen Zügel lieber zu locker als zu fest zu lassen. Die relativ geringe Inflation der letzten zehn Jahre hat diese Vorgehensweise bisher legitimiert.

Stanley Fischer, einer der Gründerväter der neuen aktiven Geldpolitik, warnte in seiner damaligen Funktion als Vize-Präsident der Fed vor den Gefahren einer langfristig zu lockeren Geldpolitik. Ein langfristig negativer Realzins begünstigt die Spekulation und die Kreditaufnahme mit der Folge von dynamisch steigenden Vermögenspreisen und Leverage im Finanzsystem.
 

Über den Autor

Tilmann Galler ist globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.

Vier Jahre nach Fischers Warnung haben sich seine Befürchtungen bestätigt: Die globale Staatsverschuldung ist im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (BIP) auf dem höchsten Stand der Neuzeit und die Vermögenspreise sind kräftig gestiegen. In den USA ist der Wert der Finanzvermögen auf das 5,5-Fache des BIP angeschwollen. Vor zwanzig Jahren lag das Verhältnis noch beim 3,5-Fachen.    

Geldpolitik bleibt zwangsläufig locker  

Die wachsende Grösse der Finanzvermögen ist gleichbedeutend mit zunehmender Relevanz für die Notenbanken. Geldpolitik wird daher immer mehr unter dem Aspekt der Vermeidung möglicher destabilisierender Wirkungen auf die Märkte treffen. Die Notenbanken sind letztlich zu Gefangenen der Märkte geworden.    

Das Erwachen der Inflation, gefördert durch die aktive Fiskalpolitik der Staaten, droht nun zu einem Zielkonflikt für die Notenbanken zu werden. Ein vorzeitiges Straffen der Geldpolitik birgt das Risiko von erhöhter Marktvolatilität. Für Investoren stellt sich jetzt die entscheidende Frage: Wenn es hart auf hart kommt, auf wessen Seite wird sich die Notenbank in diesem Zielkonflikt schlagen?

Verhältnis der Finanzwerte zum BIP in den USA (Stand: 30.06.21)

Verhältnis der Finanzwerte zum BIP in den USA (Stand: 30.6.2021)

Quelle: Administrative Office of the United States Courts, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management.

Der Wechsel der US-Notenbank zu einem durchschnittlichen Inflationsziel und damit das Tolerieren einer kurzfristig hohen Inflation, verbunden mit der Einschätzung, dass der aktuelle Anstieg der Verbraucherpreise nur vorübergehender Natur ist, deuten darauf hin, dass die Geldpolitik im Zweifelsfall in Richtung Kapitalmarktstabilität tendiert.  

Notenbanken werden Geldschleusen offenhalten    

Dies bedeutet, die Notenbanken treten geldpolitisch weiter kräftig auf das Gaspedal, weshalb uns die Nullzinspolitik für mindestens zwei weitere Jahre erhalten und die Liquidität üppig bleibt. Für reale Vermögenswerte – wie Aktien und Immobilien – sind das trotz erhöhten Bewertungen beruhigende Aussichten.

Gerade bei Immobilien sollten Anleger den Kassandrarufen eines bevorstehenden Crashs widerstehen. Anhaltend niedrige Finanzierungskosten, geringer Leerstand und ein begrenztes Angebot geben wenig Anlass zur Annahme, dass die jüngst stark gestiegenen Preise nachhaltig korrigieren.

 

 

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