Corona, Niedrigzins: Ermottis Aufgaben bei Swiss Re

Wenn der Rückversicherer Swiss Re am Freitag die Zahlen präsentiert, wird einer ganz aufmerksam die Reaktionen beobachten: Sergio Ermotti. Zwar sitzt der frühere UBS-Chef schon seit letztem Jahr im Verwaltungsrat des SMI-Giganten. Die Zahlen sollten ihn also nicht mehr überraschen. Doch Ermotti übernimmt im April auch das Präsidium. Ab dann verantwortet er die Geschicke des Unternehmens. Sein Vorgänger, Walter Kielholz, übergibt das Ruder nach fast dreissig Jahren, in denen er – in verschiedenen Funktionen – die Firma prägte. Erst als Topmanager und CEO, zuletzt seit 2009 als Präsident. Alle sind gespannt, ob Ermotti das Steuer herumreisst oder ob er den Kurs übernimmt, den ihm Kielholz vererbt. Die Swiss Re fährt mitten durch einen Sturm. Wer daran schuld ist, darüber streiten sich die Beobachterinnen und Beobachter. Den letzten grossen Gewinn hat das Unternehmen 2016 präsentiert. Seither dümpelt das Ergebnis der Firma, die 24 Milliarden Franken wert ist, bei ein paar Hundert Millionen herum. Und für 2020 wird sie einen hohen Verlust präsentieren. Die Analysten sind sich erstaunlich uneinig. Ihre sonst eher homogenen Schätzungen liegen irgendwo zwischen einem Minus von 500 Millionen Dollar und 1 Milliarde. Der Treiber ist Corona. Angesichts ihrer Position als weltgrösste Rückversicherin – die Swiss Re streitet sich mit der Munich Re um diesen Titel – ist es wenig überraschend, dass ein grosser Teil der Covid-19--Schäden bei den Zürchern landet. Am Investorentag im November beliess Swiss-Re-CEO Christian Mumenthaler die Schätzung noch bei 3 Milliarden Dollar. Die Münchner haben seither jedoch bereits weitere Reserven gebildet, weshalb die Analysten bei der Swiss Re im Schnitt von 3,7 Milliarden Franken ausgehen. Das ist selbst für einen Rückversicherer ein stolzer Betrag. So funktioniert das Business halt, argumentieren die einen. Wenns so kracht, dass die Erstversicherer ihren Selbstbehalt überschreiten, kommen die Rückversicherer ins Spiel. Als Versicherer der Versicherer. Und 2020 hats gekracht. Die Verluste aus der Pandemie seien «nichts, wofür man sich schämen muss», sagte Mumenthaler im November. «Das gehört zum Geschäft.» Noch stehe die Swiss Re sogar besser da, als es ihr Marktanteil implizieren würde, sagt Vontobel-Analyst Simon Fössmeier. Hohe Schäden in Japan Doch es gab nicht nur Corona. Schon in den Jahren zuvor litt die Swiss Re unter den Kosten grosser Naturkatastrophen. Vor allem in Japan musste sie hohe Schadenssummen übernehmen, weil untypisch viele Stürme über die Insel zogen. Die Swiss Re ist am Pazifik überdurchschnittlich stark exponiert. Hat sie sich bei den Risiken verschätzt? Dem Management könne man das nicht anlasten, sagt ZKB-Analyst Georg Marti. Die Geschäftsausrichtung ist Teil der Unternehmensstrategie. Und die setzte stark auf Naturkatastrophen und Asien. Analyst Fössmeier ist etwas weniger gnädig. «Man hat sich bei den Naturkatastrophen wohl etwas verschätzt», sagt er. «In den gleichen Jahren hat die Konkurrenz Geld verdient. Also kann das nicht einfach an der Industrie liegen.» Unter dem Strich ist die Swiss Re etwas stärker abhängig von den ganz grossen Risiken. Da liegt man dann schnell mal ein paar Milliarden daneben, wenn sich die Realität nicht an die Modelle hält. Thierry Léger, Chef der Sparte Rückversicherung, sagt: «Wir sind nicht so arrogant, dass wir glauben, dass unsere Modelle immer die Wahrheit sagen.» Hinzu kommt: Das Geschäft ist zyklisch. In der Rückversicherung gibt es Phasen mit hohen Preisen und solche mit tiefen. Wer im richtigen Moment Policen abschliesst, kann gutes Geld verdienen. Ebenso verliert, wer sich in den Flauten verrennt. Und in der letzten Schwächephase wurde die Swiss Re offenbar ein wenig auf dem falschen Fuss erwischt. Gleichzeitig leidet die Swiss Re unter einem Problem, das Sergio Ermotti nur zu gut kennt: tiefe Zinsen. Ist es bei den Banken das Bilanzgeschäft, das kaum noch etwas abwirft, ist es für eine Versicherung immer schwieriger, im Anlageergebnis zu punkten. Und wer als Versicherer weniger mit der Bilanz verdient, muss die Prämien erhöhen. Früher seien 40 Prozent der Erträge aus dem sogenannten Underwriting gekommen, so Léger am Investorentag. Nun müssen es 60 sein. Das bedeutet nicht weniger als 50 Prozent mehr Einnahmen aus dem technischen Geschäft mit Prämien und Schäden. Die Swiss Re macht das Gleiche wie die UBS, wenn diese die Kontogebühren erhöht, weil die Zinsmarge nicht mehr stimmt. Nur geht es bei der Swiss Re um grössere Kunden. Versicherer versichern Versicherer. Doch nicht nur. Baustellen hat oder hatte die Swiss Re auch dort, wo sie anderen Geschäften nachgeht. Unrühmlich war der Ausflug ins Investment Banking, der ihr einst fast das Genick brach. Unter Multiverwaltungsrat Peter Forstmoser und dem Ex-Banker Jacques Aigrain als CEO verirrte sie sich in den amerikanischen Subprime-Sumpf. Die Swiss Re kostete das 6 Milliarden, Aigrain und Forstmoser kostete es den Job. Das machte Kielholz den Weg frei. Er, der frühere CEO, war und blieb der starke Mann. Unter ihm dienten in der Folge vor allem fleissige Schaffer. Baustelle Firmenkunden Wenig Glück in den USA hatte die Swiss Re auch später, als sie sich im Geschäft mit grossen Unternehmenskunden Risiken einkaufte, die in den vergangenen Jahren hohe Verluste verursachten. Die Sparte Corporate Solutions (Corso) ist bis heute eine Baustelle, auch wenn sich CEO Mumenthaler zuletzt zuversichtlich zeigte, den Rank gefunden zu haben. Insbesondere generiere man daraus Aufträge für die Digitalsparte Ipti Q, betont er. Diese produziert Versicherungen, die Kunden wie Ikea oder Mercedes-Benz unter eigenem Namen vertreiben können. Ein Geschäft der Zukunft, das sich einfach skalieren lasse. Man kann gespannt sein, wie sich die Swiss Re unter Ermotti verändern wird. Klar ist, dass mit Walter Kielholz einer geht, der die «Rück» während Jahrzehnten geprägt hat und damit für fast alles verantwortlich ist, was heute dasteht. Im Guten und im Schlechten. Er war immer auch eine kontroverse Person. Etwa als er gleichzeitig die Credit Suisse präsidierte und bei der Swiss Re als VR-Delegierter amtete – und so den Schweizer Filz verkörperte wie kaum ein anderer. Der Aktienkurs hat unter Kielholz kaum zugelegt, im Gegenteil. Dafür hält die Swiss Re ihre Anlegerinnen und Anleger seit Jahren mit hohen Dividenden bei der Stange. An ihre 8-Prozent-Dividendenrendite kommt kaum einer ran. Die Swiss Re ist solide und sitzt eher auf zu viel als zu wenig Kapital. Zumindest das ist für Ermotti ein neues Gefühl.

Corona, Niedrigzins: Ermottis Aufgaben bei Swiss Re

Corona-Schäden, Niedrigzins: Ermottis grosse Aufgaben bei der Swiss Re