Hoher Verkaufsdruck, fortschreitende Digitalisierung, hybride Kundinnen und Kunden: Die Herausforderungen für den Vertrieb von Versicherungsleistungen steigen immer weiter. Das schlägt den Zigtausenden Beraterinnen und Beraterinnen in der Schweizer Assekuranz aber offensichtlich nicht aufs Gemüt, wie der «Pulse Check: Aktuelle Stimmung im Versicherungsvertrieb» des Instituts für Risk & Insurance der ZHAW School of Management and Law zeigt. Dafür wurden schweizweit 100 Mitarbeitende aus dem Vertrieb von Erstversicherern und Krankenversicherern per Onlineinterviews befragt.

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Hohe Zufriedenheit

Auch wenn die Umfrage keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt, zeigt sich doch ein deutliches Bild: Mit 78 Prozent zeigte sich die grosse Mehrheit der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Arbeitssituation, nur eine Minderheit (2%) ist unzufrieden. Interessant dabei: Die höchste Zufriedenheit findet sich bei den ab 45-Jährigen (38 %), während die 25–34-Jährigen eher in der neutralen oder kritischen Gruppe zu verorten sind (50 %). Und die Mitarbeitenden bei den Sachversicherungen sind mit rund 54 Prozent positiver Äusserungen tendenziell zufriedener als ihre Kolleginnen und Kollegen bei den Krankenversicherungen (40%). 

Der Daumen zeigt nach oben.

Der Daumen zeigt nach oben.

Quelle: ZHAW

Die grundsätzliche Zufriedenheit im Job spiegelt sich trotz in der Regel provisionsgetriebenem Einkommen auch bei der Vergütung wider: Weit mehr als die Hälfte der Befragten (56 %) bewerten die Zufriedenheit der Vergütung als positiv oder sehr positiv - gegenüber 14 Prozent, die nicht zufrieden mit ihren Lohnschecks sind. 

«Damit besteht ein Zusammenhang zwischen einer insgesamt höheren Gesamtzufriedenheit und einer positiven Einschätzung der Vergütung. Dies unterstreicht: Die Vergütung kann ein zentraler strategischer Hebel für Motivation und Bindung im Vertrieb sein», schlussfolgern die Studienautoren um Pirmin Mussak, Dozent am Institut für Risk & Insurance. 

Work-Life-Balance und Unternehmenskultur 

Das Handy ständig am Ohr und immer auf Achse - so sieht wahrscheinlich das typische Klischee eines Aussendienstmitarbeiters aus. In der Realität verhält es sich offensichtlich etwas anders: Denn fast zwei Drittel der Befragten (63 %) gaben positive Rückmeldung, was ihre persönliche Work-Life-Balance anbelangt. Lediglich 17 Prozent bewerteten die Work-Life-Balance als eher negativ, was die Studienautoren als Signal für moderaten Handlungsbedarf bewerten. Zudem spielen die Unternehmenskultur und die Unterstützung durch die Führungskräfte sowie Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten eine überaus wichtige Rolle für die Zufriedenheit.

Die Unterstützung ist offensichtlich gross.

Die Unterstützung ist offensichtlich gross.

Quelle: ZHAW

Während drei Viertel der Befragten die Unternehmenskultur schätzen, erlebt mit sogar 83 Prozent die grosse Mehrheit der Befragten eine starke Unterstützung durch ihre Vorgesetzten. Das spricht für ein gutes Innenverhältnis auf den zahlreichen Generalagenturen der Versicherer - nur 6 Prozent beurteilen die Unterstützung als negativ oder sehr negativ.

Auf die Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten angesprochen, bewerteten diese rund zwei Drittel als positiv (65 %), allerdings gab auch ein Drittel ein eher negatives Votum ab. In diesem Punkt gibt es also durchaus noch Verbesserungspotenzial. Ähnliches gilt für die Vertriebsressourcen wie CRM-Systeme, digitale Tools und operativer Support, die nur von 58 Prozent als ausreichend betrachtet wurden.

Die «pain points» im Vertriebsalltag

Neben den positiven Aspekten gibt es aber auch zahlreiche «pain points», welche den Aussendienstmitarbeitenden Sorgen bereiten. Dazu zählen laut Umfrage vor allem externe Belastungsfaktoren wie der hohe Wettbewerbs- und Preisdruck, wenig effiziente Instrumente zur Kundengewinnung, (zu) ambitionierte Verkaufsziele, die Digitalisierung der Beratung und die zunehmende Regulierung im Rahmen der neuen Vermittleraufsicht. Interne Strukturen und Produkte werden hingegen weniger problematisch bewertet. 

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Es gibt natürlich auch die andere Seite der Medaille, nämlich Aussendienstmitarbeitende, die das Unternehmen verlassen wollen. Als Gründe geben diese laut Umfrage eine unzureichende Vergütung, komplexe Prozesse, unrealistische Ziele, Stress sowie fehlende Wertschätzung und Führung als Gründe an. «Häufig entstehen Kündigungsgedanken bei fehlenden Entwicklungsoptionen, unklaren Perspektiven oder mangelnder Anerkennung. Wirksame Bindungsmassnahmen kombinieren klare Strukturen, faire Vergütung sowie regelmässiges Feedback und Anerkennung», so die Empfehlung der Studienautoren

KI ist nicht der Feind

Die Furcht, dass die Künstliche Intelligenz die persönliche Beratung ersetzen könnte, ist im Aussendienst eher gering. Vertriebsmitarbeitende schlagen in der Umfrage sogar vor, Verkaufsprozesse zu vereinfachen, Risikoprüfungen zu optimieren und durch KI-Unterstützung schnellere sowie präzisere Entscheidungen zu ermöglichen. Moderne CRM-Systeme und datenbasierte Analysen sollen zudem eine individuelle und vorausschauende Kundenbetreuung fördern. Der Fokus solle auf langfristiger Kundenbindung liegen, nicht ausschliesslich auf kurzfristigen Neuabschlüssen, lautet ein weiterer Vorschlag. 

Vier Stellhebel 

Grundsätzlich scheint der Vertriebsmotor in der Schweiz also gut geölt zu sein und die Devise lautet: Evolution statt Revolution. Dementsprechend sieht das ZHAW in seinem Bericht vier Stellhebel, um den Versicherungsvertrieb auch in Zukunft leistungsfähig zu halten. Zum einen kann die Effizienz durch Digitalisierung und KI  gesteigert und damit mehr Zeit für die Kundenberatung gewonnen werden. Einen weiteren Hebel sieht der Bericht in mehr Kundenzentrierung, um die Kundenloyalität durch Individualisierte Beratung, transparente Leistungen und effiziente Prozesse weiter zu steigern.

Der dritte Hebel liegt in der Anerkennung der Vertriebsmitarbeitenden, bei klaren Zielvorgaben und ausgewogenen Anreizsystemen, welche positiven Einfluss auf die Motivation und die Produktivität haben. Der vierte und letzte Hebel ist eine unterstützende Unternehmenskultur, in der Wertschätzung, partizipative Führung und klar definierte Rollen die Richtung vorgeben.

Auch wenn die Umfrage lediglich die Meinungen von 100 Vertriebsmitarbeitenden wiedergibt: Das Stimmungsbild unterstreicht, dass der Aussendienst trotz Digitalisierung und KI noch lange nicht abgeschrieben werden darf. Nicht von ungefähr ist der Aussendienst in den letzten Jahren bei den meisten Versicherungsgesellschaften eher auf- als abgebaut worden, der Fachkräftemangel ist nach wie vor gross. Persönliche Beratung, langfristige Beziehungen und lokale Verankerung sind die Asse im Ärmel das klassischen Vertriebs - denn Versicherungen basieren vor allem auf Vertrauen.