Der Ort für die Frühlingstagung des Mobiliar Lab für Naturrisiken hätte nicht besser gewählt werden können: Fast auf den Tag genau 20 Jahre ist es her, als das Kino Cinématte, direkt am Ufer der Aare in Bern, wie das gesamte Mattequartier von gewaltigen Wassermassen überschwemmt wurde. Bilder, die um die Welt gingen - und die den Bernerinnen und Bernern noch heute so präsent sind wie damals.
Mit dem Schlauchboot in den Kindergarten
Ein Jahrhundertereignis, das auch Matthias Aebischer – Gemeinderat der Stadt Bern und Direktor für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün - noch bestens in Erinnerung hat, wie er in seiner Begrüssung betonte. Damals habe er noch als Journalist des Schweizer Fernsehens live über die Katastrophe berichtet, seine Tochter sei damals mit dem Schlauchboot in den Kindergarten gebracht worden.
Er hob hervor, dass sich seitdem einiges getan habe und seitens Kanton und Gemeinde fast 150 Millionen Franken in die Hand genommen werden, um die aarenahen Quartiere mit entsprechenden Hochwasserschutz-Massnahmen vor solchen Ereignissen künftig besser zu schützen. Denn in den vergangenen Jahren habe man bei schweren Unwettern einfach «auch viel Glück gehabt, dass nicht mehr passierte». Die Zustimmung zu den Massnahmen seien in der Bevölkerung sehr hoch.
Enorme Solidaritätswelle
Aber nicht nur das Hochwasser von 2005 hat zu einem Umdenken geführt. Bereits in der Vergangenheit wurde die Schweiz von verheerenden Flutkatastrophen heimgesucht, wie Stefan Brönnimann, Professor für Klimatologie an der Universität Bern, in einem historischen Rückblick aufzeigte. Im Jahr 1868 sei der Lago Maggiore beispielsweise nach extremen Niederschlägen um sechs Meter angestiegen und erreichte den höchsten Seespiegel, der jemals verzeichnet wurde. Die Unwetter hätten damals 51 Menschenleben gefordert und Schäden von 14 Millionen Franken verursacht - was heute etwa 1 Milliarde Franken entspreche.
Der noch junge Bundesstaat und die Gemeinden seien mit dem Ausmass der Katastrophe völlig überfordert gewesen, gleichzeitig habe es schweizweit aber eine grosse Solidaritätswelle gegeben. Wurden kurz vor diesem Ereignis vom Parlament noch jährliche Investitionen von 10'000 Franken für Schutzmassnahmen abgelehnt, seien drei Jahre später nach dem Eindruck der Ereignisse jährliche Subventionen von 100'000 Franken gutgeheissen und zahlreiche Wasserbauprojekte sowie die Gründung von staatlichen Institutionen in die Wege geleitet worden. Der Umgang mit der Naturkatastrophe war aus Sicht von Brönnimann «ein nationenbildendes Ereignis».
Zahlreiche Präventionsprojekte auf den Weg gebracht
Welche Spuren die Hochwasser von 2005 schweizweit hinterlassen haben und wie wichtig Naturgefahrenprävention ist, präsentierte anschliessend Thomas Trachsler, Leiter Versicherungen und Mitglied der Geschäftsleitung der Mobiliar. Das Krisenereignis sei für alle Versicherungsgesellschaften ein «Moment der Wahrheit» gewesen, bei dem es weniger um Geld als vielmehr um emotionale Nähe ging. Nichtsdestotrotz hätten die versicherten Hochwasserschäden allein bei der Mobiliar mit 500 Millionen Franken zu Buche geschlagen. Zugleich sei das Hochwasser nicht nur für den Bund, die Kantone und die Gemeinden ein Weckruf gewesen, mehr für den Hochwasserschutz zu unternehmen.
Auch die Mobiliar habe ein Jahr später als grösster Sachversicherer der Schweiz begonnen, sich stärker für die Prävention von Naturgefahren zu engagieren. Seit 2006 hat der Versicherer laut Trachsler über 46 Millionen Franken in 172 Präventionsprojekte investiert, finanziert seit 2010 den Lehrstuhl für Klimafolgenforschung an der Universität Bern und rief 2013 das Mobiliar Lab für Naturrisiken ins Leben. Durch Präventionsmassnahmen wie mobile Hochwassersysteme oder Schwammstadt-Projekte seien bereits grössere Schäden verhindert worden. Gerade in urbanen Gebieten gelte es, «mit dem Wasser und nicht gegen das Wasser zu arbeiten».
Niederschlagsmengen steigen mit jedem Grad Erwärmung überproportional
Einen Blick in die Zukunft wagte als letzter Referent Andreas Zischg, Co-Leiter Mobiliar Lab und Professor für Modellierung von Mensch- und Umweltsystemen an der Universität Bern. Er stellte die Ergebnisse von Modellexperimenten dar, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Oberwasserrisiken hat. Dafür wurden Daten extremer Niederschlagsereignisse gesammelt und ausgewertet.
Mit jedem Grad Klimaerwärmung werde die Niederschlagsmenge um sieben Prozent ansteigen, lautet eine Erkenntnis des Forschers - mit erheblichen Auswirkungen für Gebäude und Menschen. Zudem wurde für jeden Flussabschnitt in der Schweiz anhand von Simulationen eine Risikokurve berechnet. Auch hier sei mit wesentlich höheren Schäden zu rechnen. Ein Faktor, der vor allem in der Raumplanung zu wenig beachtet werde, sei die zeitliche Dynamik, in der die Auswirkungen des Klimawandels erst peu à peu sichtbar würden. Die Gefahren müssten gerade angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen dementsprechend vorausschauend angedacht und geplant werden, «um nicht heute die Probleme der Zukunft zu kreieren».
In einer abschliessenden Podiumsdiskussion diskutierte Moderator Jürg Thalmann mit Andreas Zischg, Julia Schweizer, Chief Risk Officer der Mobiliar, Daniel Wachter, Leiter Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern und Thomas Egli, Geschäftsführer der Egli Engineering AG unter anderem über Gefahrenkarten, Raumplanung, Objektschutz, die Rolle der Versicherer und die Grenzen des Hochwasserschutzes.
Dieser sei ein komplexes Feld, bei dem es auf eine enge Zusammenarbeit mit allen beteiligten Akteuren ankomme - vor allem hinsichtlich häufiger auftretender Extremwetterereignisse im Zuge des Klimawandels, waren sich die Teilnehmenden einig.