Versicherungen befinden sich in einer doppelten Transformation: hin zu digitalen und nachhaltigen Unternehmen. Dabei schiebt die Nachhaltigkeit die Digitalisierung an, wie Larry Fink in seinem aktuellen Brief an die CEOs unterstreicht: «Der Wandel zu einer klimaneutralen Welt wird jedes Unternehmen und jede Branche fundamental verändern. Die Frage ist: Werden Sie diesen Wandel anführen – oder sich führen lassen?» Der Blackrock-Gründer ist nicht der Einzige, der sich für eine nachhaltige Unternehmensführung ausspricht. Auch seitens Gesellschaft und Politik steigt der Druck auf Versicherungen und Unternehmen, Transparenz und Nachhaltigkeit in der Wirtschaft zu verankern. Damit wird die Regulatorik sicherlich zunehmen. Gleichzeitig ergeben sich aus den neuen Richtlinien und Verordnungen aber auch Chancen für Versicherungen.

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HZ Insurance Gastautor, Markus Costabiei, ist Gründer und CEO von Solerte. Der Experte für regulatorische Compliance hat sich in den Themen ESG, LkSG, EQR und Kreislaufwirtschaft das Vertrauen von Finanzdienstleistern und Organisationen im In- und Ausland erarbeitet. Mit seinem interdisziplinären Team verbindet er strategische Technologieberatung und Implementierung von regulatorischer Compliance auf Basis von disruptiven Technologien wie KI, Blockchain, IoT und Cybersicherheit.

Schweiz orientiert sich an den EU Regulierungen

Fest steht: Die EU rollt die Nachhaltigkeitsgesetzgebung weiter aus, beginnend mit den Richtlinien zu Sustainable Finance bis hin zu den sozialen, ökologischen und Governance-Schwerpunkten der ESG. Die Schweiz hat eine international abgestimmte Gesetzgebung, die sich an der heute in der EU geltenden Regulierung orientiert. Der Bundesrat setzt sich dafür ein, dass die verschiedenen Standards zur Nachhaltigkeit auf nationaler und internationaler Ebene aufeinander abgestimmt werden. Ziel ist es, die Wirtschaft in der Schweiz und Europa hin zu einer grünen und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu entwickeln.

Versicherer spielen eine entscheidende Rolle

Damit ist auch die Schweizer Versicherungsbranche von den EU-Regulatorien betroffen. Mehr noch: Versicherungen spielen in dem Zusammenwirken sogar eine entscheidende Rolle. Einerseits zählen sie neben Banken zu den am stärksten regulierten Branchen. Andererseits steigt der Einfluss von Investoren und Kundinnen bezüglich nachhaltiger Anlage- und Investitionsstrategien; Stichwort Sustainable Finance. Dies trägt dazu bei, dass Versicherungen ESG als Wettbewerbsfaktor taxieren und in das Zentrum ihres Handelns rücken, um mittel- und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Umsetzung von ESG-Praktiken in der Versicherungsbranche

Die Versicherungsbranche wurde von Gesetzgebern zusammen mit den Banken als eine der ersten Branchen aufgefordert, Rechenschaft über ihre ESG-Aktivitäten abzulegen. Die EU-Regulatorien fordern insbesondere von Versicherungen nachhaltiges Handeln, wie zum Beispiel die Transparenzverordnung festhält.

Es sieht danach aus, als würde mit der ESG der Shareholder-Kapitalismus durch den Stakeholder-Kapitalismus ersetzt.

Jedoch stellt die Offenlegungspflicht nur eine der Herausforderungen dar, mit denen sich Versicherungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit konfrontiert sehen. Anfang 2024 müssen alle Versicherer mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro oder 250 Mitarbeitern die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) für das Geschäftsjahr 2023 umsetzen. Dies bedeutet, dass ein verbindliches ESG-Reporting erforderlich ist, das den Anforderungen der CSRD entspricht. Es sieht danach aus, als würde mit der ESG der Shareholder-Kapitalismus durch den Stakeholder-Kapitalismus ersetzt.

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KI unterstützt den ESG-Prozess

Für Geschäftsmodelle, die als nicht nachhaltig eingestuft werden, wird die Finanzierung schwieriger. Hier kann Technologie helfen, Antworten dank einer klaren Datenlage zu finden. Damit wird die Digitalisierung zwingend im ESG-Prozess. Digitale Plattformen sind in der Lage, ESG-Daten aufzunehmen, Modellierungen und Berechnungen vorzunehmen und aussagekräftige Visualisierungen zu liefern. Grundlage ist eine Vielzahl ESG-relevanter Key Performance Indicators (KPI). Die Systeme werden von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützt und können sichere, vertrauenswürdige und nachvollziehbare Daten liefern. Die Herausforderung liegt darin, die KPIs zu identifizieren und festzulegen. Hier sind Wissenschaft und Politik gefragt.

Digitale Plattformen sind in der Lage, aussagekräftige Visualisierungen zu liefern.

Schweizer Versicherer müssen KPIs integrieren

Eine wichtige Auswirkung der ESG auf die Versicherungswirtschaft in der Schweiz ist die Berücksichtigung des Sustainable Finance Pfeilers der ESG bei Investitionsentscheidungen. Dieser verknüpft den Finanzmarkt mit dem Thema Nachhaltigkeit und verpflichtet Versicherungen, entsprechende Kriterien, Benchmarks und KPIs in ihre Anlagestrategien zu integrieren, um ihre Investitionen auf nachhaltige und verantwortungsvolle Weise zu tätigen.

Die Transparenzverpflichtungen, welche um die Taxonomie-Verordnung sowie um diverse Berichtspflichten erweitert wurde, sollen Versicherungsunternehmen auch dahingehend dienen, ihre Risiken im Zusammenhang mit Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren besser einzuschätzen und zu bewerten.

Chancen für nachhaltiges Wachstum und Differenzierung

Die Berücksichtigung der Querschnittsmaterie ESG kann für Versicherungsunternehmen verschiedene Chancen für nachhaltiges Wachstum und Differenzierung auf dem Markt bieten. Beispielsweise können Versicherungsunternehmen eine neue Kundenbasis ansprechen, die umwelt- und sozialbewusst ist und Wert auf nachhaltige Investitionen legt. Dies kann dazu beitragen, dass Versicherungen ihr Geschäft ausbauen und neue Einnahmequellen erschliessen. Zudem können Versicherungen ihre Risiken im Zusammenhang mit Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren besser einschätzen und bewerten. Damit können Versicherungsunternehmen ihr Risikomanagement optimieren und ihre Finanzen auf eine nachhaltigere Basis stellen.

Nicht zuletzt ist ESG auch eine Frage der Reputation.

ESG als Innovationsbooster

Zudem wird die Innovationskraft bei Versicherungsprodukten angekurbelt, welche auf die Bedürfnisse umwelt- und sozialbewusster Kunden zugeschnitten sind. Dies kann Versicherungsunternehmen in eine gute Position bringen, wenn es darum geht, sich von der Konkurrenz abzuheben und ihr Angebot zu differenzieren.

Nicht zuletzt ist ESG auch eine Frage der Reputation: Durch die Berücksichtigung von ESG-Kriterien können Versicherungsunternehmen ihr Image als verantwortungsvolle und nachhaltige Anbieterinnen und Arbeitgeberinnen stärken. Eine positive Reputation kann dazu beitragen, dass Versicherungsunternehmen das Vertrauen ihrer Kunden und Investoren festigen und Beziehungen langfristig stärken. Frei nach dem Motto: «The trend is your friend».

Risiken für Versicherungen und ihre Führungskräfte

Die beschriebenen Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Haftbarkeit. Waren bislang nur Unternehmen in der Pflicht, werden künftig auch ihre Vorstände haftbar sein. Mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive, welche am 5.1.2023 in Kraft trat, plant die EU-Kommission die Einführung einer allgemeinen Pflicht für Mitglieder der Unternehmensleitung, die Folgen ihrer Entscheidungen für Nachhaltigkeitsaspekte, Menschenrechte, Klimaschutz und Umwelt zu berücksichtigen.

Besondere Bedeutung kommt den sozialen und ökologischen Aspekten bei der Festlegung und Anpassung von Geschäftsmodell, Geschäftspolitik und Geschäftsstrategie zu. Das Aktiengesetz macht eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft zur Zielvorgabe für Vorstand und Aufsichtsrat. Die Begründung: Steht der Vorstand nicht hinter den Nachhaltigkeitszielen, kann auch kein Regulatorium seine Wirkung entfachen. Sich aus der Nachhaltigkeits-Affäre zu ziehen, wird deshalb zunehmend schwieriger für das Top-Kader. (mc)