Die Herausforderungen eines technologisch sicheren Homeoffice, trotz der Arbeit mit sensiblen Daten, der digitale Austausch mit Maklern und die zuverlässige Schadenabwicklung: Ein Grossteil der Versicherer hat die Herausforderungen der plötzlichen Kontaktbeschränkungen im Rahmen der Corona-Krise erfolgreich gemeistert. Auch Antragsmodelle und Vertragsbearbeitung werden nach und nach digital abgebildet. Von einer digitalisierten Branche kann dennoch auch in der Schweiz nicht die Rede sein. Eine aktuelle Analyse von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, zeigt, dass das volle Potenzial neuer Technologien nicht ausgeschöpft wird. Die Befragung unter sechs der grössten europäischen Versicherungsunternehmen mit Kunden in insgesamt 90 Ländern und rund 320’000 Mitarbeitern ergibt, dass der technologische Wandel für 86 Prozent die grösste Herausforderung darstellt – lediglich die Covid-19-Pandemie und Cyberbedrohungen werden noch häufiger genannt.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Autoren:
Dr. Gero Matouschek, Partner bei Strategy& Deutschland
Jörg Thews, Insurance Advisory Leader und Partner bei PwC Schweiz 

Mangelnde digitale Vision

Die Notwendigkeit der Digitalisierung ist den meisten Entscheidungstragenden bekannt. Gleichzeitig ist sich die Mehrheit der Befragten einig, dass es noch keine gesamthafte digitale Vision gibt – und entsprechend auch eine stringente, umfassende Roadmap fehlt. Zudem deckt das verfügbare Investmentvolumen eine tiefgreifende Transformation nicht ab. «Digital» wird auch in der Schweiz noch immer mit spezifischen Projekten zur Automatisierung oder Implementierung von Kerntechnologie gleichgesetzt. Diese bilden jedoch nur die Grundvoraussetzungen für eine umfassende Digitalisierung der Branche. So arbeiten alle befragten Unternehmen bereits daran, Kunden- sowie Backend-Prozesse zu automatisieren und die Arbeitsumgebung etwa durch digitale Kommunikationstools zu optimieren. Doch nur zwei Drittel planen die Einführung neuer, agiler Arbeitsmethoden. Lediglich 50 Prozent erkennen in diesem Zusammenhang den Bedarf, auch ihre IT-Altsysteme grundlegend anzupassen.

Chance für strategische Neuausrichtung

Wie auch in anderen Branchen deckt die Pandemie Schwächen in den Digitalstrategien der Versicherer auf, beispielsweise unvollständig «end to end»-verschlüsselte Prozesse. Versicherer sollten das Momentum der Covid-19-Krise nun für sich nutzen, um bisherige Initiativen zu beschleunigen, besser zu koordinieren und in einer gesamthaften Strategie zusammenzufassen. Wichtig ist auch, unternehmensintern mit effizientem Change-Management alle Stakeholder von notwendigen Schritten zu überzeugen. Denn als grösste Hürden auf dem Weg zu einer vollständig digitalen Organisation nennen die Versicherer zuvorderst ein unflexibles Mindset beziehungsweise eine wenig veränderungsfreundliche Unternehmenskultur. Darauf folgt der Mangel an Digitalkompetenzen und entsprechenden Fachkräften noch vor der hohen Komplexität digitaler Projekte.

Budgets als Stellschraube 

Dass die Branche sich im Wandel befindet, bestätigt unter anderem der Blick auf die eingesetzten Digitalbudgets. Während die Befragten in den letzten drei Jahren noch vor allem in Selfservice-Plattformen (26 Prozent des Budgets), Data Services (23 Prozent) und robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA; 14 Prozent) investierten, gehen zukünftige Budgets in andere Anwendungsfelder. In den kommenden drei Jahren stehen Data Analytics (28 Prozent des Budgets), KI (21 Prozent) und Cloud Computing (15 Prozent) ganz oben auf der Liste. KI-Lösungen revolutionieren bereits heute etwa über die datengestützte Vorhersage von Schäden die Risikoberechnung und Preisgestaltung und können zukünftig einen wesentlichen Beitrag zur Prozesseffizienz und -automatisierung leisten. 

Digitaler Flickenteppich

Vor den Versicherern liegt weiterhin ein langer Weg zu einer vollständigen digitalen Transformation. Heute präsentiert sich die Versicherungsbranche noch als ein digitaler Flickenteppich. Die aktuellen Prioritäten umfassen zunächst die strategische Ausrichtung des Geschäfts und der Produktpalette, weitere analytische und digitale Fähigkeiten werden erst danach ergänzt. Erfolgsentscheidend ist bei allen Versicherern, dass sie eine übergreifende Leitlinie für alle Digitalisierungsmassnahmen definieren und diese in schnell erreichbare Meilensteine herunterbrechen. Digital Upskilling erfährt auch in der Schweiz deshalb mehr Beachtung, denn damit können notwendige Kompetenzen aufgebaut werden – gepaart mit Neueinstellungen oder strategischen Partnerschaften.