Herr Simeon, wie erleben Sie die Stimmung vor Ort?

Die Situation ist angespannt, und die Stimmung in der Bevölkerung gedrückt. Die Menschen in Brienz sind verunsichert, weil sie nicht wissen, welches der verschiedenen Szenarien in den nächsten Tagen und Wochen eintreten wird. Obwohl seit Jahrzehnten bekannt ist, dass sich die Gesteinsmassen oberhalb des Dorfes bewegen, fällt es schwer, mit dieser Ungewissheit umzugehen.

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Der Interviewpartner

Romano Simeon ist Mitglied der Elementarschadenkommission und Schadenexperte bei Helvetia Versicherungen Schweiz. Als Vertreter der Privatversicherer und des Elementarschadenpools steht er den Versicherten in Brienz unterstützend zur Seite.

Macht das Bewusstsein, dass sich die Gesteinsmassen seit Jahrzehnten bewegen, den Umgang mit dem Risiko nicht einfacher, vielleicht sogar routinierter?

Routiniert verläuft die Arbeit im Krisenstab, der von Gemeindepräsident Daniel Albertin umsichtig geleitet wird. Man merkt, dass sich die Gemeinde seit vielen Jahren auf alle möglichen Szenarien vorbereitet. Die Brienzerinnen und Brienzer leben seit Generationen mit der Ungewissheit, die von den Felsmassen oberhalb des Dorfes ausgeht. Man lebt damit, dass hin und wieder Steine herunterstürzen. Und irgendwann beginnt man zu verdrängen, was noch alles passieren könnte. Doch nun hat sich die Situation innerhalb kurzer Zeit drastisch verändert, die akute Gefahr wird plötzlich spürbar. Den Menschen wird bewusst, dass sie mit grossen Schäden und mit dem Verlust ihres Zuhauses rechnen müssen. Das macht hilf- und ratlos.

Die angeordnete Evakuierung von Brienz ist am Freitagabend abgeschlossen worden. Haben Sie so etwas in Ihrer langen Karriere als Schadenspezialist schon einmal erlebt?

Nein. Ich habe viele Grossereignisse miterlebt… die Überschwemmung der Reussebene im Kanton Uri, die verheerende Schlammlawine in Poschiavo, Murgänge, Felsstürze und so weiter. Aber die Situation, wie wir sie in diesen Tagen in Brienz erleben, ist aber auch für mich neu. Die grossflächigen Schäden sind noch nicht eingetreten, sie drohen erst wie dunkle Gewitterwolken am Horizont. Damit verbunden ist die Evakuierung eines ganzen Dorfes, wie ich es in 40 Berufsjahren auch noch nicht erlebt habe.

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Sie waren als Vertreter des SVV beziehungsweise des Elementarschadenpools bei den Informationsveranstaltungen des Krisenstabes der Gemeinde anwesend. Hat es geholfen, die Privatversicherer vor Ort zu wissen?

Das war enorm wichtig, wie die vielen positiven Rückmeldungen zeigen. Natürlich konnte ich nicht sagen, dass alles versichert ist – und dass sich niemand irgendwelche Sorgen machen muss. Denn der Versicherungsschutz hängt in der Regel davon ab, dass ein versichertes Ereignis eintritt – und dass ein Schaden entsteht, der durch die Versicherungsleistung ausgeglichen wird. Einen Schaden haben wir aber noch nicht. Aber wir konnten ein Zeichen setzen. Ein Zeichen der Solidarität und des Zusammenhalts.

Die im Elementarschadenpool zusammengeschlossenen Privatversicherer haben beschlossen, freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Aufwendungs- und Transportkosten für die Evakuierung von Hausrat und Fahrhabe zu übernehmen. Wir haben auch klargestellt, dass es keine Diskussionen mit der Privatassekuranz geben wird, wenn im Schadensfall nicht alle Güter abtransportiert werden konnten. Wir empfehlen unseren Versicherten, jene Gegenstände mitzunehmen, die ihnen besonders am Herzen liegen oder die einen hohen materiellen Wert haben und mit vertretbarem Aufwand bewegt werden können. Alles andere kann zurückgelassen werden, ohne dass man sich im Nachhinein gegenüber dem Hausratversicherer rechtfertigen muss.

Was sind Ihre Aufgaben in den nächsten Tagen?

Ich stehe dem Krisenstab der Gemeinde rund um die Uhr telefonisch zur Verfügung. Alle versicherungstechnischen Fragen sind bei mir in guten Händen. Ich nehme diese Aufgabe für den Elementarschadenpool und damit für die private Schweizer Versicherungswirtschaft direkt vor Ort wahr. Das schafft Vertrauen und gibt den Betroffenen die Möglichkeit, zumindest die aufkommenden Versicherungsfragen abhaken zu können. Denn in der jetzigen Situation weiss so mancher nicht mehr, wo ihm der Kopf steht.

Zum Autor

Jan Mühlethaler ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV.