Bis vor einiger Zeit genossen Whistleblower (zu Deutsch: Hinweisgebende) in unserer Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf. Von Denunzianten war die Rede, von Verrätern oder Nestbeschmutzern. Compliance-Verstösse intern wurden als Kavaliersdelikte abgetan; Versicherungsbetrugsfälle, welche beobachtet wurden, mit der Faust im Sack verschwiegen.

Irgendwo zwischen Dieselgate, Wirecard und Raiffeisen drehte sich die Stimmung. Spätestens mit Ausbruch der Pandemie entfachte sich der Gerechtigkeitssinn in der Gesellschaft. Prominente Fälle aus der Wirtschaft sowie Missbräuche bei Covid-19-Hilfen führten zu einer Rekordzahl an Whistleblower-Meldungen aus dem Privatsektor. Und das, obwohl die Hinweisgebenden bislang keinerlei Schutz genossen, weil eine entsprechende Vorlage vom Parlament niedergeschmettert wurde. 

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Neue Richtlinie betrifft auch Schweizer Firmen

Zwei Jahre später ist jedoch der Ruf nach dem Schutz der Hinweisgebenden nicht mehr zu überhören, und zwar nicht nur aus der Gesellschaft, sondern auch aus dem EU-Parlament: Am 17. Dezember 2021 tritt die Whistleblower-Richtlinie zum Schutz der Hinweisgebenden in Kraft. «Die neue EU-Richtlinie betrifft auch Schweizer Versicherungsbetriebe, wenn sie mehr als 250 Mitarbeitende und Lieferanten, Partner oder externe Mitarbeitende aus dem EU-Raum beschäftigen», erklärt Patrick Krauskopf, Rechtsanwalt und Leiter des Instituts für Wettbewerbsrecht und Compliance an der ZHAW. Was zunächst nach einer zusätzlichen regulatorischen Last tönt, biete jedoch vor allem Chancen, insbesondere für die heimische Versicherungswirtschaft, so der Compliance-Experte, der mit seinem Team am Thema Hinweisgeberschutz im Zusammenhang mit Wettbewerbsvorteilen, Lieferketten und Employer Branding forscht.

Hinweisgeber sind effektiver

Bestätigung dafür, dass Whistleblower das effektivste Frühwarnsystem bei Compliance-Verstössen und Versicherungsbetrug darstellen, gibt es reichlich. Unter anderem weist der ACFE Report to the Nations aus, dass Hinweisgebende am meisten Betrugsfälle aufdecken – dreimal mehr als interne Audits oder Management Reviews. Auch der wirtschaftliche Schaden vermindert sich bei Unternehmen mit einer anonymen Meldestelle – und zwar um die Hälfte, Reputationsschäden und Langzeitfolgen noch nicht eingerechnet. Angst vor Falschaussagen und Missbrauch der anonymen Meldekanäle müssen Unternehmen nicht davon abhalten, eine anonyme Meldestelle einzurichten: «Diese sind ein seltenes Phänomen. Vielleicht auch deshalb, weil Personen, die bewusst falsche Informationen melden, nicht durch die Richtlinie geschützt sind», erklärt Krauskopf.

Belohnung für Whistleblower

In der Compliance-Nation USA werden Hinweisgebende nicht nur geschützt. Sie werden sogar für ihre Zivilcourage belohnt. «In den USA beobachten wir eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für Verstossmeldungen. Sie werden als Schutz der Gesellschaft sowie der Investoren und Anleger betrachtet. Ein Betrug am Volk wird dort nicht als Kavaliersdelikt kleingeredet, sondern als das, was er ist: ein Nachteil für Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft. Denn je korrupter ein Land ist, desto mehr wird der Wohlstand gefährdet», so Krauskopf.

Seine Schlussfolgerung deckt sich auch mit den Erfahrungen von Thomas Wittkopf, Geschäftsführer von Telag und Mitbegründer von WhistleTag. Telag betreibt bereits seit 2004 anonyme Hinweisgebersysteme und unterstützt Banken, Versicherungen und Organisationen bei der Umsetzung einer richtlinienkonformen Hinweisgeberlösung. «Seit Ausbruch der Pandemie haben sich die Meldungen alleine bei unseren Firmenkunden von rund 2 auf durchschnittlich 4,5 pro Woche verdoppelt», erklärt der Hinweisgeberschutz-Pionier. So führten Missbräuche u. a. bei Covid-19-Hilfen zu einer Rekordzahl von Meldungen – und das, obwohl die Hinweisgebenden aufgrund des fehlenden Schutzes einem hohen Risiko ausgesetzt waren – bis jetzt.

Schutzmechanismus nach innen und aussen

Dies ändert sich nun mit der Whistleblower-Richtlinie – und könnte den Versicherungsbetrieben als doppeltes Frühwarnsystem und Schutzmechanismus dienen, wie Krauskopf betont. «Wer internen Mitarbeitenden wie auch externen Partnern eine anonyme Plattform bietet, fördert nicht nur eine Kultur der Offenheit und Transparenz, sondern ermutigt die Beteiligten auch, diese im Fall der Fälle zu nutzen. Nur wenn sich die Hinweisgebenden sicher fühlen, werden sie das System auch verwenden. Erst dann kann es wirksam sein», so Krauskopf, der als Anwalt in der Schweiz und in den USA den Unterschied zwischen Europa und den USA aus der Whistleblower-Perspektive kennt.

Zeit für einen Sinnes- und Kulturwandel, ist auch Thomas Wittkopf überzeugt: «Je attraktiver der interne Meldekanal, desto weniger sind Mitarbeitende geneigt, die Fälle an die Öffentlichkeit oder an die Medien heranzutragen. Dann sind nämlich Kontrollverluste unausweichlich.» Ein gutes Whistleblower-System, so Wittkopf weiter, «dient dazu, die Kontrolle zu behalten – einerseits was die Risikominimierung und die bessere Performance betrifft, anderseits auch was die Sicherheit der Führungskräfte anbelangt». Ob Versicherungsschaden, Härtefallklausel oder Sozialversicherungsmissbrauch: «Eine anonyme Meldestelle hilft der Versicherungswirtschaft, Milliarden einzusparen – und gleichzeitig ihre Reputation und das Employer Branding zu stärken», schliesst der Whistleblowing-Experte.

Die Zeit zu handeln sei – unabhängig von der EU-Richtlinie – jetzt gekommen, meint auch Krauskopf. «Schon in zwei Jahren soll die Mitarbeitergrenze auf 50 herabgesetzt werden. Spätestens dann ist so gut wie jede Versicherung und jeder Finanzdienstleister von der Richtlinie betroffen.»

 

 

Am 17.12.2021 tritt die Whistleblower-Richtlinie in Kraft. Was ist jetzt zu tun?

  1. Professionelle Unterstützung einholen. Einige Unternehmen agieren als Teilanbieter, andere bieten Komplettlösungen und Handreichung in mehreren Sprachen. Ein Vergleich lohnt sich.

  2. Best Practice Check. Bewährt hat sich eine Verbindung aus digitaler Plattform und telefonischem Meldekanal. Die Zusammenarbeit mit einem externen Partner zahlt auf das Gefühl der Anonymität der Hinweisgebenden ein. 

  3. Ganzheitlicher Schutz: Auch Unternehmen und Führungskräfte geniessen Schutz! Eine diskrete Ombudsstelle, ein forensisches Case Management, eine individuelle D&O-Versicherung und ein entsprechender Kommunikationsservice stellen sicher, dass neben den Hinweisgebenden auch die Unternehmensleitung sowie der Betrieb selbst geschützt sind.