Versicherungsgesellschaften gelten als Stabilitätsanker in turbulenten Zeiten. Doch was geschieht, wenn auch diese Unternehmen mitten im Sturm stehen? In einem Webinar des Versicherungs-Thinkanks Geneva Association diskutierten vier Spitzenleute aus Sri Lanka, Südafrika, Argentinien und dem Libanon, wie sie ihre Unternehmen durch politische Krisen, wirtschaftlichen Kollaps und gesellschaftliche Spannungen steuerten. 

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Von der Krise zur Verdopplung des Geschäfts

Die Übernahme der Geschäftsführung von AIA Sri Lanka war für Chathuri Munaweera im Jahr 2022 ein Sprung ins kalte Wasser. Zu dieser Zeit litt das südostasiatische Land unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte – mit einem faktischen Staatsbankrott, Hyperinflation, Versorgungsengpässen und politischem Chaos. 
Im Webinar betonte Munaweera, dass ihr neu zusammengesetztes Führungsteam damals unter massivem Druck gestanden habe. Täglich habe man Kapital- und Liquiditätskennzahlen überwachen müssen. Investitionen mussten in der Folge konservativ erfolgen und die Kundenbindung wurde noch konsequenter als ohnehin gelebt. Doch am Ende habe sich das Engagement gelohnt – das Geschäft konnte trotz allen Umständen innerhalb von nur zwei Jahren verdoppelt werden.

Innovation als Antwort auf Stillstand

Auch in Südafrika gestaltete sich die Situation ähnlich, sagte Bongani Madikiza, CEO South Africa Retail Mass bei Sanlam. Die wirtschaftliche Realität Südafrikas sei schlicht ernüchternd gewesen: Die Vision eines gerechten, chancengleichen Landes wurde bitter enttäuscht. Jugend- und Gesamtarbeitslosigkeit, Energiekrisen und veraltete Infrastruktur hätten das Wachstum praktisch abgewürgt, so Madikiza weiter. In dieser Situation habe man verstärkt auf Innovation und Kundennähe gesetzt. Madikiza betonte, dass es wichtig gewesen sei, digitale Lösungen mit persönlicher Ansprache zu verbinden und die Kundschaft aktiv anzusprechen, statt auf sie zu warten. Die menschliche Komponente sei für ihn zentral gewesen.

Jahrespolicen in Monatsverträge umwandeln

Ein Inflationsschub von 25 Prozent innerhalb eines Monats zwang Alejandro Simón, CEO von Sancor Seguros Argentinien, zu unmittelbarem Handeln. Kurzerhand entschied dieser, die Jahrespolicen in Monatsverträge umzuwandeln, Preise regelmässig anzupassen und bei Zahlungsverzögerungen sogar Zinsen zu erheben. Erschwerend kamen zu dieser Zeit auch Importverbote und Devisenrestriktionen dazu. Dennoch sei es Sancor Seguros gelungen, die Marktführerschaft im Land der Gauchos zu behaupten und die Vorreiterrolle zu behalten.

Ein Jahrzehnt im Ausnahmezustand

Politische Proteste, Pandemie, eine zerstörerische Explosion im Hafen von Beirut, Regierungskrisen und zuletzt auch Krieg. Seit 2019 befindet sich der Libanon in einer Dauerkrise. Für Carl Tachdjian, General Manager von Metlife Lebanon, haben diese Faktoren das Unternehmen, die Mitarbeitenden und die Klientele stark belastet. Metlife habe früh auf Kommunikation und psychologische Unterstützung gesetzt. Zunächst seien Frauen besonders unterstützt worden, später wurde das Programm für alle geöffnet. Dialoge hätten es ermöglicht, Sorgen zu teilen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.

Fokus auf Vertrauen, nicht auf Rendite

Insbesondere in Krisenzeiten sei Vertrauen die zentrale Währung im Versicherungsgeschäft, unterstrich Munaweera. Ihr Unternehmen habe deshalb auch nicht auf kurzfristige Renditen gesetzt, sondern auf Kapitalerhalt und Finanzstabilität. AIA Sri Lanka kam nicht zuletzt dank täglichem Monitoring, konservativen Anlageentscheidungen und gezielter Risikovorsorge gut durch die Krise.
Auch Simón betonte, wie essenziell es gewesen sei, Finanzstabilität zu sichern und schnell auf die Hyperinflation zu reagieren. Selbst geringfügige Zahlungsrückstände hätten sonst zu herben Verlusten im Jahresmassstab geführt. Zudem habe man Rückversicherer darum gebeten, vorübergehend keine Schadenersatzzahlungen zu leisten, um Liquiditätsprobleme bei der Prämienabwicklung zu vermeiden.

Mitarbeitende im Zentrum

Die zunehmenden Belastungen für Mitarbeitende in Südafrika – sei es durch Stromausfälle, wirtschaftliche Unsicherheit oder mentale Erschöpfung – hätten laut Madikiza von South Africa Retail Mass unmittelbare Auswirkungen auf Produktivität und Unternehmenskultur gehabt. Die Führungskräfte mussten in dieser Zeit sehr viel Empathie zeigen und gleichzeitig auch für ihr eigenes Wohlbefinden sorgen, was zu einer Doppelbelastung führte. 
Auch Tachdjian von Metlife reagierte frühzeitig und setzte auf Unterstützungsmassnahmen. Neben einer verstärkten Kommunikation habe man Coaching-Programme zu Themen wie Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Stressbewältigung eingeführt. Diese Angebote hätten die Resilienz des Teams gestärkt und die Zusammenarbeit vertieft.

Kundennähe als Schlüssel

Bei AIA Sri Lanka hätten viele während der Krise ihre Versicherungsprämien nicht mehr zahlen können. Trotzdem habe man beschlossen, den Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten und individuelle Zahlungspausen zu gewähren. Auch wenn dies ein Risiko für das Unternehmen bedeutet habe, sei die Menschlichkeit in dieser Phase wichtiger gewesen als formale Vertragsbedingungen. Zugleich habe man bestehende Produkte angepasst, etwa durch bezahlbare Gesundheitslösungen. 

Ob Sri Lanka, Südafrika, Argentinien oder Libanon – alle vier Führungskräfte machten im Webinar von Geneva Association deutlich, dass Führung in der Krise weit über Prozesse und Strategien hinausgehe. Es komme auf Haltung, Mut, Empathie und den Willen an, gemeinsam mit dem Team für Kunden und Mitarbeitende Verantwortung zu übernehmen.

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Andrea Hohendahl, Chefredaktor von HZ Insurance, und sein Versicherungsexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die nationale und internationale Versicherungswelt bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt kostenlos zum Newsupdate für Insurance-Professionals anmelden.
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