Herr Müller, die Beschränkung der Eintragung von Stimmrechten ist nach Ansicht des Baloise-Aktionärs zCapital ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Daher will der Vermögensverwalter an der nächsten ordentlichen Generalversammlung des Versicherers einen Antrag auf Aufhebung der bestehenden Stimmrechts- und Eintragungsbeschränkung von 2 Prozent stellen. Wie nehmen Sie bezüglich dieser Forderung Stellung?

Es ist uns wichtig, immer in Diskussion mit unseren Aktionären zu sein. Die Forderung kommt schlussendlich aber an die Generalversammlung, und diese wird dann darüber entscheiden. Der Verwaltungsrat wird üblicherweise zur gegebenen Zeit dazu Stellung beziehen.

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Ist die Stimmrechts- und Eintragungsbeschränkung nicht ein alter Zopf?

Die Stimmrechts- und Eintragungsbeschränkung kennen nicht nur Baloise, sondern auch andere Schweizer Unternehmen. Eingeführt wurde diese in der Vergangenheit durch die Aktionäre. Sie können auch entscheiden, ob sie wieder abgeschafft werden soll. Grundsätzlich haben Stimmrechts- und Eintragungsbeschränkung den Nutzen, Minoritäten zu schützen und ein breiter abgestütztes Aktionariat zu fördern.

Der aktivistische Investor Cevian aus Schweden prüfe wiederum den Einstieg bei Baloise, wurde Ende November kolportiert. Laut den Quellen habe Cevian bereits Gespräche mit dem Baloise-Management geführt. Was können Sie zu dieser Geschichte sagen?

Einzelne Investoren, Gespräche mit diesen oder Gerüchte kommentieren wir nicht. Die Diskussion mit bestehenden oder potenziellen Anlegern ist uns wichtig und gehört zum Tagesgeschäft.

Sie sind seit Juli CEO bei Baloise. Wo konnten Sie bereits Akzente setzen?

Langfristigkeit und Umsetzungsstärke sind wichtige Themen für mich. Wir befinden uns in der bestehenden Strategiephase 'Simply Safe: Season 2', die vor zwei Jahren lanciert wurde. Wegen eines sich veränderten Umfelds und, um uns bestmöglich für die Zukunft zu positionieren, legen wir nun verstärkt den Fokus auf die operative Exzellenz und die konkrete Umsetzung im Kerngeschäft. Ein starker Fokus liegt auch auf dem Wachstum, insbesondere im Nichtlebensbereich. Und schliesslich wollen wir als Dienstleister an der Schnittstelle zum Kunden punkten, so dass diese unsere Services als aussergewöhnlich gut wahrnehmen.

Es findet eine Fokussierung auf das Kerngeschäft statt. Wie soll man sich das konkret vorstellen?

Innovationsthemen in unserem Ökosystemansatz wie zum Beispiel unsere Wohnservices, die in der Kundenreise weiter weg vom Versicherungsgeschäft sind, wurden näher an das Kerngeschäft herangeholt. Der Innovationsbereich steht somit 'under review'. Kundenwachstum, die Stärkung der Ertragskraft sowie die Verbesserung des Kundenerlebnisses stehen bei diesen Überlegungen im Vordergrund.

Stossen Sie auch hinsichtlich der bestehenden Unternehmenskultur einen Wandel an?

Die Unternehmenskultur von Baloise zeichnet sich durch die Zusammenarbeit aller Hierarchiestufen auf Augenhöhe und den Fokus auf die Wertgenerierung für unsere Kunden aus. Letzteres will ich stärker in den Mittelpunkt rücken und unternehmerisches Denken und eine Macher-Kultur fördern.

Künstliche Intelligenz ist ein omnipräsentes Thema. Auch für die Baloise?

Die Technologie bietet zweifellos viele Chancen, vor allem hinsichtlich der Effizienz. Und auch Kunden haben zum Teil das Bedürfnis und schlussendlich mit Hilfe der Automatisierungen die Möglichkeit, Schäden rund um die Uhr zu melden. Zurzeit experimentieren wir mit generativer KI bei unseren neu lancierten parametrischen Versicherungen.

Sie haben das Versicherungsgeschäft von Grund auf gelernt. Was sind die grössten Missverständnisse, die Aussenstehende betreffend der Branche haben?

Der Wertbeitrag von Versicherungen wird unterschätzt. Die Finanzbranche ist eine der wertschöpfungsreichsten Branchen in der Schweiz, wovon Versicherungen einen grossen Teil ausmachen. In Basel ist es sogar der überwiegende Teil. Und Innovation ist nur möglich mit einem gewissen Versicherungsschutz, sonst nimmt die Innovationsfreudigkeit rasch ab. Diesen Beitrag zum Wohlstand nimmt man in der Schweiz nicht wirklich wahr.

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Gibt es noch weitere Punkte?

Die Versicherungsbranche hat ein Graue-Maus-Image. Dabei ist Baloise das Haus der hundert Berufe. Vom Ingenieur bis zum Drucker arbeiten hier die unterschiedlichsten Menschen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass wir uns diesbezüglich unter Wert verkaufen.

Wo sehen Sie für Baloise die grössten Herausforderungen?

Mit der höheren Inflation und den höheren Zinsen hat sich das ökonomische Umfeld stark verändert. Das bietet aber auch Chancen. So profitiert der Bereich Lebensversicherung von höheren Zinsen, Inflation ist hingegen eine Herausforderung für das Nichtlebengeschäft. Wir passen uns stetig an das sich verändernde Umfeld an. Mit Hinblick auf die gestiegene Inflation haben wir bereits 2022 unsere Reserven gestärkt. 

Die Aktie bewegt sich seit April 2022 rückläufig. Warum?

Für Dividenden-Titel sind höhere Zinsen sicherlich kein Vorteil. Zusätzlich haben wir zurzeit eine erhöhte Unsicherheit mit der neu implementierten Rechnungslegung IFRS 17/9. 

Die Rechnungslegung IFRS 17/9 sei insgesamt ein negativer Faktor für den Versicherer, heisst es am Markt. Inwiefern stimmt dies?

Der erste volle Abschluss mit der neuen Rechnungslegung kommt jetzt erst mit der Publikation des Geschäftsjahrs 2023. Dies ist für den Markt vermutlich eine Quelle der Verunsicherung, denn insbesondere der Lebensbereich hat sich grundlegend verändert. Die Zahlen müssen im neuen Zusammenhang verstanden werden, das braucht eine gewisse Zeit.

Was hat sich denn konkret verändert?

Die Barmittelflüsse sind davon nicht betroffen und damit auch nicht die Fähigkeit, Barmittel in Form von Dividenden, Aktienrückkäufen und Investitionen einzusetzen. Auch auf die Solvenzsituation hatte der Standardwechsel keinen Einfluss. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich das Geschäftsmodell nicht per se wegen der Art der Rechnungslegung ändert. Es geht vielmehr um neue Regeln, wie der Abschluss dargestellt wird. Ein Gewinn kann zu einem anderen Zeitpunkt anfallen oder Komponenten können anstatt in der Erfolgsrechnung direkt in das Eigenkapital fliessen. Insbesondere im Bereich der Lebensversicherung ist es eine grosse Änderung, die jetzt stattfindet. Wir haben als Branche die Aufgabe, diese neue Praxis zu erklären. Hier gibt es noch viel zu tun.

Die Solvenzquote liegt gemessen am Swiss Solvency Test (SST) per Anfang 2023 bei 240 Prozent. Damit bleibt die Kapitalisierung bei Baloise auf starkem Niveau. Welches Niveau wird schlussendlich angestrebt?

Wir haben keine Zielquote für den Swiss Solvency Test (SST) innerhalb unserer Strategie festgelegt. Uns ist wichtig, dass der SST für uns keine Restriktion wird. Aktuell sind wir gut kapitalisiert. Selbst in einem 'doppelten Stressszenario', bei dem Aktienmärkte um 50 Prozent einbrechen und die Zinsen um 100 Basispunkte zurückgehen, liegt die Quote immer noch im Bereich von über 140 Prozent.

Den Aktionären stellten Sie mit den Halbjahreszahlen eine Barmittelgenerierung von 2 Milliarden Franken bis 2025 und 'Fortführung unserer bisherigen attraktiven Dividendenpolitik' in Aussicht. Inwiefern können Sie diese Aussagen präzisieren?

Ja, an der attraktiven und verlässlichen Dividendenpolitik halten wir fest. Wir haben in den letzten 20 Jahren nie die Dividende gesenkt, sondern diese 13 Mal erhöht. Wenn, dann in die Höhe - also 'Up Only' ist unsere Logik. Und wir haben die Ambition, zu den attraktivsten Dividendentiteln in der Branche zu gehören.

Letztes Jahr gab es eine Dividende von 7,4 Franken. Für das Jahr 2023 erwarten Analysten im Schnitt 7,8 Franken. Ist dies realistisch?

Zur Dividendenhöhe nehmen wir mit dem Jahresabschluss detailliert Stellung. Aber wie bereits gesagt, halten wir an unserer attraktiven Dividendenpolitik fest.

Welche Bedeutung nehmen Aktienrückkäufe bei der Baloise ein?

Es ist ein Instrument, freies Kapital dem Aktionär zurückzuführen, was auch bei uns in der Vergangenheit immer wieder der Fall war. Aktuell haben wir kein Aktienrückkaufprogramm am Laufen, aber es gehört in den Werkzeugkasten für das Kapitalmanagement eines börsenkotierten Unternehmens

Wie hat sich die Geschäftstätigkeit in den letzten Monaten entwickelt?

Das Wachstum im Nichtlebengeschäft stimmt, wie wir auch in unserem Neun-Monatsstatement veröffentlicht haben. Das Versicherungsgeschäft ist aber auch ein Geschäft, das stark von makroökonomischen und Umwelt-Einflüssen abhängt, und hier haben sich in den letzten Monaten die Herausforderungen eher akzentuiert als dass sie abgenommen haben.

Insbesondere im Lebensversicherungsbereich ist Baloise zuletzt unter den Erwartungen geblieben. Warum?

Die neue Rechnungslegung betrifft den Lebensversicherungsbereich stark. Es ist daher aktuell schwierig, hier einen Erwartungswert zu bilden, wo man genau steht. Es ist in der Darstellung nichts mehr wie zuvor. Positiv stimmt mich, dass die eher gestiegenen Zinsen ein Vorteil für diesen Geschäftsbereich mittelfristig sind, er wird dahingehend eher attraktiver. Im Geschäft der beruflichen Vorsorge (BVG) gewannen teilautonome Vorsorgelösungen in der Schweiz an Attraktivität. Wir wachsen in diesem Bereich spürbar mit zuletzt knapp 5000 versicherten Unternehmen

Die Baloise prüft laut Medienberichten den Verkauf von Lebensversicherungsbeständen in Belgien. Ist diese Berichterstattung korrekt?

Portfolioüberprüfungen sind richtig, gehören zum Geschäftsmodell und sind Teil der regelmässigen Aufgaben. Lebensversicherungsbestände haben wir in der Vergangenheit zum Beispiel auch in Deutschland verkauft. Diese Geschäftsvorgänge sind also nichts Aussergewöhnliches. 

Mit Blick nach vorne gehen Sie mit den Neun-Monats-Zahlen davon aus, dass die hohe Schadenlast aus Elementar- und Grossschäden das Ergebnis mit bis zu 200 Millionen Franken ausserordentlich belasten werde. Liegen Sie mit dieser Prognose immer noch richtig?

Die genauen Zahlen werden wir mit dem Jahresabschluss publizieren. Das letzte Jahr war allerdings ein sehr schadenreiches Jahr, insbesondere in der Schweiz. Es gab Elementar- und Grossschadenereignisse, die sehr gross in ihrer Dimension gewesen sind. 

Elementarschäden sind auch durch den Klimawandel bedingt. Inwiefern nimmt Baloise diese Entwicklung wahr?

Sicherlich kann man sagen, dass wir in jüngster Zeit eine Zunahme von extremen Elementarereignissen beobachten. Das Hagelereignis im Tessin von Ende August war beispielsweise so eines. Aufgrund unserer Datenlage können wir aber noch nicht bestätigen, dass es ein anhaltender Unwettertrend ist, der die Schadensummen ansteigen lässt. Dafür ist der Beobachtungszeitraum zu kurz. Es spielt zum Beispiel  auch eine Rolle, was durch ein solches Schadenereignis an Wert getroffen werden kann. Aufgrund des über die Zeit laufend gestiegenen Wertniveaus gibt es heute sicherlich mehr schützenswerte Objekte, die bei einem Sturm beschädigt werden können.

Die ausserordentliche Belastung wirft laut Analysten die Frage auf, wie gut der Rückversicherungsschutz bei der Baloise ist. Wie gut ist dieser?

Die Frage ist immer, was will ich rückversichern und was trage ich selber. Wir haben als Versicherung einen relevanten Eigenbehalt, und der Markt im Rückversicherungsbereich ist im letzten Jahr teurer geworden. Man muss sich hier der Nutzen-Kosten-Überlegung stellen. Wenn man viel rückversichert, hat man weniger Volatilität, nimmt aber einen grösseren Teil der Gewinnmarge weg.

Bei der Baloise wird auch oft moniert, dass das Wachstumspotenzial aufgrund der Ausrichtung auf reife Märkte begrenzt ist…

Ja, Luxemburg, Deutschland, Belgien und die Schweiz sind reife Märkte. Aber auch dort gibt es konjunkturell bedingtes Wachstum im Versicherungsmarkt, die Wertkumulation nimmt auch hier zu. Und ich bin überzeugt, dass man durch einen ausserordentlichen Kundenservice, gepaart mit operativer Exzellenz, auch in diesen Märkten Anteile gewinnen und nachhaltig erfolgreich sein kann. 

Wo liegt das Potenzial?

Obwohl wir schon einen gewissen Marktanteil in der Schweiz haben und es andere grosse Mitbewerber gibt, können wir unsere Einzigartigkeit als Bank und Versicherung ausspielen. Der Vorsorge- und Sparbereich ist für uns ein Wachstumsmarkt. In Belgien sind wir wiederum in den letzten Jahren anorganisch gewachsen, insbesondere im wallonischen Teil  und im KMU-Bereich hat es noch grösseres Potenzial.

Aber ein grosser Wurf mit einer Erschliessung eines weiteren Marktes ist nicht geplant?

Wir überlegen uns immer Schritte für anorganisches Wachstum. Die Fähigkeit dazu haben wir in der Vergangenheit in Belgien auch bewiesen. Für das Erschliessen eines neuen Marktes muss man die Berechtigung haben, dass man besser ist als die dortigen Wettbewerber. Man braucht dazu Knowhow und Erfahrung für den spezifischen Markt. 

Inwiefern macht Baloise der starke Franken gegenüber dem Euro zu schaffen?

Es ist durchaus ein Thema für uns, da wir auch in EU-Ländern tätig sind. Jeder Gewinn, der dort erzielt wird, ist weniger Wert aus der Sicht der Bilanz in Schweizer Franken. Und wir tätigen auch grosse Anlagen in Euro, was zu Währungsverlusten oder erhöhten Absicherungskosten führen kann. Ja, es ist ein spürbarer Gegenwind, aber sicher nicht so stark wie für die Schweizer Exportwirtschaft.

Der Baloise Kunst-Preis wird seit 1999 von Baloise jedes Jahr an zwei junge Kunstschaffende verliehen. Baloise fördert damit den künstlerischen Werdegang junger und aufstrebender Talente. Was verbindet Baloise mit der Kunst?

Baloise engagiert sich Ende der 40er Jahre im Kunstbereich. Es geht um kreative Gedankenanstösse und darum diese Kunst der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. In den letzten 20 Jahren lag der Fokus auf sehr jungen Künstlerinnen und Künstlern, mit dem Ziel, dass diese mit ihrer Praxis im Kunstmarkt Fuss fassen können. Wir haben auch eine Kunstsachverständige mit Frédérique Hutter, die jungen Kuratorinnen und Kuratoren hilft, mit unserer Kollektion in unseren Räumlichkeiten eine Ausstellung zu machen.

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