In letzter Zeit ist es etwas ruhiger geworden um Fintechs und Insurtechs. Bedeutende Versicherer ziehen sich aus ihren Ökosystemen zurück, das Geld der Investoren sitzt nicht mehr so locker, seit es durch die Zinswende wieder andere lukrative Anlagemöglichkeiten gibt. Die Folge: Dem ein oder anderen Startup ist der Schnauf ausgegangen, wie einige prominente Beispiele in den vergangenen Wochen und Monaten gezeigt haben. Häufig erwiesen sich die Geschäftsmodelle als nicht nachhaltig genug, die Erwartungen waren zu hoch - oder die Startup-Kultur passte nicht zur Mentalität der Versicherer.
In der Startup-Szene bin ich ein Dinosaurier.
Bernard El Hage
Dass es auch anders gehen kann, will das seit 2019 in der Schweiz aktive Insurtech «Toni Digital» unter Beweis stellen. Der Name Toni entstand aus dem Kerngedanken des Unternehmens, Versicherung neu zu denken. «Totally New Insurance - kurz: Toni», wie CEO Bernard El Hage erklärt. Seit fast sechs Jahren steht der 52jährige an der Spitze des Insurtechs. «Damit bin ich in der Startup-Szene ein Dinosaurier», sagt er laut lachend. Die Büroräumlichkeiten im hippen Zürcher Seefeld-Quartier sind so, wie man es sich bei einem Startup vorstellt: Wo früher Tee-Sorten aus aller Welt in dem schicken Backsteingebäude lagerten, prägen heute moderne Arbeitsplätze vor grossen Fensterfronten die Atmosphäre. An der Wand lehnt ein riesiges Stand Up Paddle, der Zürisee ist schliesslich nur einen Steinwurf entfernt.
Seit 2019 ist Bernard El Hage CEO des Züricher Startups Toni Digital. Zuvor war er während 12 Jahren in verschiedenen Fach- und Führungsfunktionen bei der Allianz Suisse, unter anderem als Leiter der Direktmarke Elvia. El Hage studierte Wirtschaft an der Universität Konstanz und promovierte am Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen.
«Die offene Startup-Kultur kommt mir sehr entgegen», betont El Hage, der slowenisch-libanesische Wurzeln hat. Die Offenheit gegenüber Neuem bekam er quasi in die Wiege gelegt: Als er in die erste Klasse ging, packte seine Eltern die Abenteuerlust und sie zogen mit ihren beiden Kindern von Celje in Slowenien nach Frankfurt am Main. Sein Vater machte sich mit einem eigenen Steakhaus selbständig, in dem Sohn Bernard bereits im jugendlichen Alter mit anpackte und den Umgang mit Gästen aller Couleur von der Pike auf lernte. Dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, zeigt aber auch das Beispiel seiner Mutter, die zunächst im Versicherungs-Vertrieb startete und später jahrelang im Schadenmanagement unter anderem für die Zurich in Deutschland arbeitete.
Der Dienstleistungsgedanke und das Interesse an Versicherungsthemen waren also schon tief in ihm verwurzelt, als El Hage 1992 für sein Wirtschaftsstudium zunächst nach Konstanz ging und später dann am Institut für Versicherungswirtschaft (I.VW-HSG) der Universität St. Gallen promovierte. Seit über 15 Jahren lebt der dreifache Vater in der Schweiz. Eine Region, die er als gebürtiger Slowene und begeisterter Skifahrer vor allem aufgrund der Natur, des Wassers und der Nähe zu den Alpen sehr schätzt. «Die Küche kommt mir auch sehr entgegen, ich mag es gerne ein wenig deftiger», zählt er als Wirtssohn weitere Vorzüge auf. Ohnehin liebt er als Familienmensch, der selbst fünf Geschwister hat, gesellige Runden.
Ich habe einfach Lust, Dinge auszuprobieren, auch etwas zu riskieren.
Bernard El Hage
Als eine seiner grössten Stärken bezeichnet El Hage «das Networking» - eine Fähigkeit, die ihm in seiner heutigen Funktion bei Toni Digital «extrem hilft», wie er betont. Denn so kann er viele Brücken bauen - zu Investoren, Unternehmen, anderen Startups oder der Versicherungswirtschaft, die er bestens kennt. Fast zwölf Jahre war El Hage in verschiedenen Führungsfunktionen bei der Allianz Suisse tätig, unter anderem als Leiter der Onlinetochter Elvia und Verantwortlicher für Kooperationen. Das Corporate-Umfeld war allerdings nicht optimal für neue Vertriebsmodelle, gibt er zu.
Unter der Bezeichnung Swiss Insurance CEOs porträtiert HZ Insurance regelmässig CEOs aus der Versicherungsbranche.
Die Wege von der Idee bis zur Umsetzung waren ihm häufig zu lang. «Ich habe einfach Lust, Dinge auszuprobieren, auch etwas zu riskieren.» Als Kritik an festgefahrenen Strukturen will er das aber nicht verstanden wissen. Ganz im Gegenteil, er schätzt den respektvollen Umgang innerhalb der Versicherungsbranche. Nicht von ungefähr forschte er im Rahmen seiner Dissertation an der HSG über die «Branchenkultur in der Assekuranz als Motor des Erfolgs».
Und hier schliesst sich ein Kreis. Disruptive Geschäftsmodelle von Insurtechs, die in direkte Konkurrenz zu bestkapitalisierten und etablierten Versicherungsgesellschaften gehen, haben es schwer - auch aufgrund der unterschiedlichen Kulturen, ist El Hage überzeugt. Das Zauberwort heisst Kooperation, bei der beide Seiten - Insurtech und Versicherer - ihre Eigenständigkeit bewahren und gegenseitig voneinander profitieren. Ein Modell, wie es Toni Digital mit seinem «Insurance-as-a-service»-Ansatz fährt.
Damit können Unternehmen oder Nichtversicherer beispielsweise digitale Versicherungslösungen anbieten, wie es heute bereits die Migros oder Postfinance als bekannteste Toni-Kunden handhaben. «Integrierte White-Label-Lösungen haben grosses Potenzial», ist El Hage überzeugt. Zumal viele Versicherer veraltete IT-Systeme mit sich herumschleppen. «Wir verfügen sowohl über modernste Technologie als auch das entsprechende Versicherungs-Know-how, zum Beispiel im Aktuariat. Damit decken wir die gesamte Versicherungs-Wertschöpfungskette ab.»
Zwar nennt er keine konkreten Zahlen, aber Toni ist damit erfolgreich. Dabei hat das Zürcher Techunternehmen auch den Vorteil, dass es nachhaltiger wachsen kann, denn die Investoren sind vor allem traditionelle Unternehmen sowie Family Offices, die einen eher langfristigen Horizont haben und keine jährliche Verfünffachung des Wachstums erwarten.
Ich glaube an Opportunitäten. Es ist nicht immer alles planbar.
Bernard El Hage
Wo sieht er das Unternehmen und sich selbst in fünf Jahren? «Ich glaube an Opportunitäten. Es ist nicht immer alles planbar», meint er auf sich selbst bezogen. Toni Digital mit derzeit rund 50 Mitarbeitenden an drei Büro-Standorten sieht er dann hingegen in fünf Ländern aktiv - und mit rund einer halben Million Kunden. Heute sind es rund 50’000. Aber das Unternehmen werde sich mit seinen White-Labeling-Lösungen auch dann weiterhin im Hintergrund halten: «Unsere Idee ist es, das ‘Robert Bosch’ der Versicherungswirtschaft zu werden.»
Also als Zulieferer für viele Marken, ohne dass einem der Name Toni sofort ins Auge springt. Und was treibt ihn persönlich weiter an? «Das Interesse an Neuem», antwortet er direkt. «Ich lerne gerne dazu.» Dabei schaut er etwas gequält und zeigt auf seinen Rücken, denn einen Tag zuvor hat der sportliche Slowene mit Kollegen den neuen Trendsport Padel-Tennis ausprobiert - Muskelkater inklusive.