Italiens Lebensversicherungssparte verzeichnet in den ersten Monaten 2021 kräftige Zuwachsraten. Auch der Schadenbereich; insbesondere Gesundheits- und Unfall-Policen boomen. Dabei ist ein klarer Trend zur Online-Nachfrage zu verzeichnen. Renommierte Versicherer wie etwa Generali oder Unipol profitieren von diesem Trend und präsentierten Quartalsergebnisse, die über den Erwartungen der Analysten lagen. Trotz diesem positiven Umfeld sind und bleiben die Italiener «Versicherungsbanausen». Die Wahrnehmung des Versicherungsbedarfs und das Verständnis der angebotenen Versicherungen wurde von der italienischen Versicherungsaufsicht (Ivass) als ungenügend bezeichnet.

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Die Ivass hat kürzlich eine breit angelegte Untersuchung in Auftrag gegebenen. Diese wurde von Experten der Mailänder Bicocca-Universität gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Doxa und der internationalen Forschungsgesellschaft Herbert Simon Society (HSS) durchgeführt. Dafür wurden über 2000 Versicherungsnehmer jeglicher Altersgruppe und aus den verschiedensten Regionen über ihre Kenntnisse im Assekuranzwesen befragt. Eine Umfrage dieser Art wurde erstmals durchgeführt, insofern fehlen internationale Vergleichsdaten. Doch sollen bereits Gespräche mit der Eiopa (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) im Gange sein, um entsprechende Studien auch in anderen EU-Ländern durchzuführen.

Grosse Wissenslücken

Das Ergebnis der Umfrage beweist grosse Wissensmängel in der Bevölkerung bei so ziemlich allem, was das Assekuranzwesen betrifft: Sowohl beim Versicherungsschutz, bei den bereits durchgeführten Beitragszahlungen oder auch bei der Selbstbeteiligung entsprechen die Kenntnisse bei weitem nicht den Vorstellungen, die die Befragten von sich haben. In der über 300 Seiten langen Untersuchung wird von einer overconfidence der italienischen Versicherungsnehmer in ihr allgemeines Wissen über das Assekuranzwesen gesprochen.

So zeigt sich etwa ein Grossteil der Befragten (60 Prozent) überzeugt davon, genau Bescheid über ihre abgeschlossenen Policen zu wissen. Doch bei Detailfragen dominiert die Unwissenheit. Nur 14 Prozent der Befragten können einschlägige Fragen beantworten. Schlimmer noch: 69 Prozent verzichten auf weitere Aufklärungen oder etwa auf Informationen über andere Kanäle. Weitgehende Unkenntnis herrscht auch beim vielfältigen Angebot der Policen. Hier werden allgemein mehr Transparenz und einfachere Formulierung gewünscht. 

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Mangelndes Grundwissen

Auf einer Skala von 0 bis 100 bewerten die Meinungsforscher das Grundwissen der Befragten im Durchschnitt mit 40,6, die Kenntnis über die angebotenen Versicherungsprodukte mit 20,1. Überraschenderweise wird in der Untersuchung festgestellt, dass die Bewohner von «mittelgrossen Städten» besser Bescheid über ihre eingegangenen Versicherungen wissen als vergleichsweise die Bewohner in Gross- oder Kleinstädten.

Die Umfrage erstreckt sich nicht nur auf das Wissen über die abgeschlossenen Versicherungspolicen, sondern auch auf das Vertrauen der Befragten in ihre Assekuranz-Gesellschaften beziehungsweise in deren Berater. Das Vertrauen in einzelne Versicherungsgesellschaften oder deren Berater ist vor allem in der Altersgruppe über 65 Jahre ausgeprägt, bei Jüngeren entscheidet die Qualität des Angebots die Auswahl.

Die Risikobereitschaft der Italiener ist gering, variiert jedoch laut der Umfrage nach Altersgruppe und Region. Vor allem in der jüngeren Altersgruppe herrscht eine Abneigung gegenüber etwaigen Risiken vor. Diese ist im Nordosten Italiens stärker ausgeprägt als in den restlichen Regionen. «Je höher die Schulbildung, desto geringer die Risikobereitschaft.» Angeprangert wird auch die Effizienz der Kommunikation. 

Das relativ geringe Wissen über Policen oder das Versicherungswesen und das überschätzte Selbstvertrauen in die eigenen Kenntnisse birgt die Gefahr, dass es zu wenig effizienten Entscheidungen kommt. Kurzum, die sogenannte Versicherungs-Alphabetisierung steckt in Italien noch in den Kinderschuhen. 

Grösste Sorgen

Zu den grössten Sorgen der Befragten (76 Prozent) zählt ihr Gesundheitszustand, Furcht vor etwaigen Unfällen oder künftigen Krankheiten. Doch nur 10 Prozent der Befragten sind eine private Krankenversicherung und nur 20 Prozent eine Unfallversicherung eingegangen. Im Argen liegen auch Beiträge für etwaige Naturkatastrophen. In diesem Bereich ist das regionale Gefälle stärker ausgeprägt: während in Norditalien 20 Prozent der Befragten eine einschlägige Versicherung eingegangen sind, liegt der Anteil der Befragten in Süditalien nur bei 4,6 Prozent. Grosse Einstimmigkeit herrscht darüber, dass die Versicherungskultur landesweit verbessert werden muss. Denn die wichtige Rolle der Branche für Wirtschaft und Gesellschaft wird durchaus anerkannt. 

«Wir müssen die Alphabetisierung im Assekuranzwesen fördern»

Stefano De Polis, Generalsekretär der italienischen Versicherungsaufsicht Ivass, über die Gründe, warum die Italiener ihre Versicherungen kaum verstehen. 

Wie kann Ihrer Ansicht nach die Kenntnis über das Versicherungswesen verbessert werden?
Stefano De Polis: Die Jugend muss mit dem Versicherungswesen vertraut werden. Etwa in der Schule. Die Erwachsenen sollten ihre Kenntnisse verbessern, indem sie sich an Institutionen wenden. Seit drei Jahren findet im Oktober regelmässig der «Tag der Versicherungserziehung» statt. Ivass versucht dabei, die verschiedensten Bevölkerungsschichten anzusprechen, um die Alphabetisierung im Versicherungsbereich voranzutreiben.

Wie erklären Sie die sogenannte overconfidence?
Oftmals scheinen die im Versicherungswesen üblichen Ausdrücke widersprüchlich zu sein und können zu Fehlinterpretationen führen. In der Untersuchung haben wir nach bestimmten Begriffen, etwa «Selbstbeteiligung» oder «Prämien» gefragt. Ausdrücke, die im Versicherungswesen eine besondere Bedeutung haben. 

Die Aversion gegen das Risiko ist bei der Jugend besonders ausgeprägt. Weshalb? 
Die Jugend, die über wenig Erfahrung und spezifische Kenntnis der Materie verfügt, ist im Hinblick auf Risiken äusserst vorsichtig.

Ein Grossteil der Befragten übt scharfe Kritik an der Kommunikation. Haben Sie Vorschläge, wie man diese verbessern könnte?
Wir weisen seit Jahren darauf hin, die Vertragsklauseln transparenter und einfacher mitzuteilen. Es ist wichtig, dass die Vertragsklauseln keinerlei Anlass zu Verunsicherung geben. Vorhandene bzw. nicht vorhandene Schutzbestimmungen müssen klar erkennbar sein. Zweifellos verhelfen die neuen Normen über den Vertrieb der Versicherungsprodukte zu mehr Transparenz. In diesem Bereich übt Ivass eine primäre Funktion aus.

Bekanntlich ist die Versicherungskultur in Italien wenig ausgeprägt. Was sind die Gründe?
In den Unterrichtsplänen sind weder Finanzlehre noch das Versicherungswesen vorgesehen. Eine Änderung würde zweifellos zu einer Verbesserung der Kenntnisse über das Finanz- und Versicherungswesen führen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich in der Wahrnehmung der Bevölkerung das Szenario verbessern kann? 
Abgesehen von einer dringend notwendigen Ausbildung der Bevölkerung, um die derzeitigen Mängel zu verbessern, ist auch die zunehmende Digitalisierung wichtig, um die Alphabetisierung im Assekuranzwesen zu fördern. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen die Notwendigkeit einer Trendwende. Aber es wird Zeit brauchen, eine Änderung zu erreichen