Die ganze Finanzwelt wartet auf Rudolf Elmers Bombe. Der Schweizer Ex-Banker hat vor seinem Gang ans Zürcher Bezirksgericht eine CD mit 2000 Kundendaten an Wikileaks übergeben. «Welche Namen tauchen darauf auf?», fragt sich die Branche ängstlich. Dabei hat Elmer längst schon andere Fronten eröffnet. Er prangert insbesondere die Methoden seines früheren Arbeitgebers Julius Bär an und wirft ihm vor, gezielt Steuersubstrat auf die Cayman Islands verschoben zu haben, um so auch für das Unternehmen selbst Steuern zu sparen.

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Auf den Cayman Islands sind knapp 250 internationale Banken vertreten, darunter auch zahlreiche Schweizer Institute wie UBS, Credit Suisse, Clariden Leu, Pictet oder Julius Bär. Die Insel in der Karibik gehört damit zu den weltweit grössten Offshore-Plätzen (siehe Tabelle). Insgesamt werden auf dem 264 Quadratkilometer kleinen Eiland Vermögen von rund 1700 Milliarden Franken verwaltet. Banken, Fondsgesellschaften, Trustgesellschaften, Anwaltskanzleien und Revisionsgesellschaften aus aller Welt haben hier eine Niederlassung.

Die Schweizer Banker zieht es vor allem auf die Cayman Islands, weil sie dort ideale Bedingungen finden für die von ihren Kunden gewünschten Trusts und Anlagevehikel. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Nicht zuletzt spricht auch die eigene Steueroptimierung für das Steuerparadies. «Auf den Cayman Islands werden Firmen nicht lokal besteuert», sagt Jonathan Vanderkar, Managing Partner der Zürcher Niederlassung von Appleby, dem nach eigenen Angaben grössten Anbieter von Dienstleistungen an Offshore-Plätzen. Auch in zahlreichen anderen Steueroasen wie etwa den Kanalinseln, den Bermudas oder den British Virgin Islands fallen für die ansässigen Unternehmen keine Steuern an. Und das ganz legal.

Keine Besteuerung in der Schweiz

Die Gewinne und Dividenden, die Schweizer Gesellschaften im Ausland erzielen, gehen jedoch in der Schweiz verlustig. Die Profite fallen jetzt nämlich in Cayman Islands anstatt in Zürich an. Die Anreize dazu sind überwältigend. Während die Bank in Zürich dem Fiskus 21 Prozent der Gewinne abliefern muss, verlangen die Behörden auf der Karibikinsel gar nichts.

Dabei ist die Schweiz in dieser Hinsicht ein Sonderfall. «Die meisten OECD-Länder, wie etwa Deutschland, die USA, Frankreich oder Italien, kennen Gesetzesbestimmungen, die es ihnen ermöglichen, passive Einkünfte, die in Niedrigsteuerländern anfallen sofort bei der Muttergesellschaft zu besteuern», sagt Robert Waldburger, Professor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen.

Bern hätte es also eigentlich im Griff, mit dem Ausland gleichzuziehen. «Die autonom in der Schweiz gesetzten Rechtsgrundlagen sollten den Auslandstöchtern schon allein aus Gründen der Gleichbehandlung mit inländischen Firmen keine Privilegien zuschanzen», fordert Margret Kiener Nellen, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Finanzkommission des Nationalrats. Kiener Nellen hat 2008 eine Interpellation zu den Vorwürfen eingereicht, die Rudolf Elmer gegen Julius Bär erhoben hat. Eine ähnliche Anfrage gab es im Kanton Zürich von den Kantonsräten Julia Gerber Rüegg und Ralf Margreiter. «Das Hauptproblem ist, dass es im Steuerbereich eine sehr grosse Grauzone gibt», sagt Margreiter von der Grünen Partei. In der Praxis seien die Spiesse sehr ungleich verteilt. Den grossen Unternehmen mit ihren zahlreichen hoch bezahlten Beratern stünden die stark unterdotierten Steuerbehörden gegenüber. Zudem wird normalerweise wegen des Steuergeheimnisses nichts zu einzelnen Fällen publik.

Die Aussagen Elmers zu Julius Bär sind die ersten öffentlichen Angaben zu einem konkreten Steuerfall in der Schweiz. Laut dem früheren Bär-Manager sollen dem Bund, dem Kanton Zürich und der Stadt Zürich allein durch die Aktivitäten seiner ehemaligen Arbeitgeberin auf den Cayman Islands jährlich über 10 Millionen Franken Steuern entzogen worden sein.

Warum das toleriert wird, erklärt der 2002 entlassene ehemalige Bär-Manager auf den Cayman Islands gleich selbst. Es sei verständlich, dass der Kanton Zürich Julius Bär als wichtigen Steuerzahler nicht verärgern wolle und ihm deshalb ein sogenanntes «tax ruling» gewährt habe, schreibt Elmer in einem offenen Brief.

Mit einem «tax ruling» beziehungsweise einem Steuervorbescheid anerkennt die Steuerbehörde die Offshore-Gesellschaft auf den Cayman Islands. Dass bedeutende Steuerzahler da bessere Karten haben, wird von Experten kaum bezweifelt. «Ein guter Steuerzahler kann sich bei den Behörden Vorteile aushandeln», sagt Andreas Missbach, Finanzexperte der Erklärung von Bern. Habe die Bank erst einmal eine Steuervereinbarung mit den Behörden geschlossen, könne diese sich dennoch anders verhalten. «Die Behörden haben zu wenig Mittel, um zu überprüfen, ob die Gewinne, die auf den Cayman Islands verbucht werden, auch tatsächlich dort erwirtschaftet wurden», sagt der Finanzexperte.

Der ehemalige Bär-Manager Elmer behauptet in seinem Brief unter anderem: Es werde in der Julius Bär Bank and Trust auf den Cayman Islands nur eine Schattenbuchhaltung geführt, in der das Wertschriftenportefeuille und die Finanzierung des Portefeuilles von Zürich festgehalten werden.

«Elmers Angaben scheinen plausibel»

Die Bank Julius Bär nimmt zu diesen Vorwürfen keine Stellung. Das Ziel von Elmers Aktivitäten sei, Julius Bär sowie Kunden in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, heisst es bei der Bank.

Für Bruno Gurtner, Präsident des Tax Justice Network, scheinen die von Elmer publizierten Angaben dagegen sehr plausibel: «Wo Rauch ist, ist auch Feuer», sagt er. Die Cayman Islands würden es mit ihren gesetzlichen Bestimmungen den Banken sehr leicht machen, über Offshore-Töchter Steuern am Schweizer Fiskus vorbeizuschleusen. Die Behörden der Karibikinsel schützten zum Beispiel Scheingesellschaften und erlaubten die Verlagerung von Unternehmenssitzen per Knopfdruck. «Die Banken nutzen in der Praxis diese Möglichkeiten», sagt Gurtner.Tatsächlich kann der Grat zwischen Missbrauch des Offshore-Vehikels zur Steuerumgehung und einer legalen Steueroptimierung sehr schmal sein. Grundsätzlich gilt: Entscheidend ist, ob die Banken die auf die Insel verschobene Tätigkeit tatsächlich in eigenen Räumlichkeiten und mit qualifizierten Mitarbeitern ausüben. Hinzu kommt, dass die Beziehungen zwischen der Niederlassung auf den Cayman Islands und dem Schweizer Mutterhaus wie im Verhältnis zu Dritten ausgestaltet sein müssen. Vergibt die Muttergesellschaft zum Beispiel ein Darlehen an die Tochter in der Karibik, sollten die gleichen Verrechnungspreise gelten wie bei einem Kredit an Kunden.

«Banken, die bei der Steueroptimierung an die Grenzen gehen wollen, verlagern möglichst viele ihrer Tätigkeiten in Steueroasen wie Cayman Islands und halten zusätzlich die Verrechnungspreise tief», sagt Martin Büeler, Partner Steuerberatung bei PricewaterhouseCoopers Schweiz. Damit erhöhten sie aber auch ihr Risiko. Die Steuerbehörden seien heute viel wachsamer als früher, und der Missbrauch von Offshore-Strukturen entsprechend gering, sagt Büeler. Doch Schweizer Steuerinspektoren fliegen nicht in die Karibik, um die Bücher der Banken vor Ort zu prüfen. «Dies würde gegen ausländisches Recht verstossen», sagt Experte Waldburger. Die kantonalen Steuerfahnder haben zudem keine Möglichkeiten, sich mittels Zwangsmassnahmen Einblick in die Bücher der Niederlassungen auf den Cayman Islands zu verschaffen. Allenfalls können sie die notwendigen Unterlagen anfordern. Diese werden ihnen in aller Regel auch geliefert, weil die Finanzinstitute sonst riskieren, von den Behörden nach Ermessen des Steuerkommissärs veranlagt zu werden.

Behörden schauen genauer hin

Die Finanzmarktaufsicht Finma schaut inzwischen ebenfalls genauer hin. Die Aufsichtsbehörde verlangt regelmässig Auskunft von den Schweizer Banken mit einem Sitz auf den Cayman Islands. «Wir haben im Rahmen der Umsetzung des im Oktober publizierten Positionspapiers zum grenzüberschreitenden Geschäft unsere Aufsicht im Bereich des Umgangs mit Risiken auch aus Tätigkeiten in Offshore-Zentren verschärft», sagt Finma-Sprecher Alain Bichsel.