Als UBS-Chef Oswald Grübel letzte Woche im Zürcher Kongresshaus vor 500 Kunden auftrat, zeigte er erstmals Abnutzungserscheinungen. Als ob ihm der Blick nach vorn schwer fiele, machte er bei der Vorstellung des «UBS Global Outlook 2011» einen fahrigen und unkonzentrierten Eindruck. Auf viele Zuhörer wirkte der 67-jährige Vollblutbanker müde und längst nicht mehr so dynamisch, wie sie ihn seit seinem Amtsantritt im Februar 2009 wahrgenommen hatten.

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Tatsächlich lebt dieser Mann seit bald zwei Jahren auf der Baustelle. Zwar hat er in dieser Zeit einiges vollbracht, doch mit den neuen Madoff-Klagen aus den USA, der ständigen Steuerdiskussion, den Rückschlägen im Investmentbanking und einem stagnierenden Aktienkurs ist der Pendenzenberg kaum kleiner geworden. Das setzt selbst einem Dickhäuter zu.

Umso grösser war die Begeisterung bei der Belegschaft, als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass Sergio Ermotti im nächsten April zur UBS stösst. Vordergründig ist das eine Personalie unter vielen. Doch eigentlich ist es die wichtigste, seit Grübel an die Macht kam. Denn der 50-jährige Tessiner ist nicht nur eine ganz grosse Nummer im internationalen Banking, sondern nun auch der oberste Anwärter auf die Nachfolge auf den Chefsessel bei der grössten Schweizer Bank. Die Argumente dafür sind mannigfaltig.

Offiziell will sich der UBS-Mann in spe nicht äussern. Stattdessen verbringt er seine Zeit lieber beim Skifahren in St. Moritz. Auf die Spekulationen angesprochen, dass er für den Chefsessel vorgesehen sei, soll er gesagt haben, dass dies jetzt kein Thema sei - man so etwas aber nie ausschliessen solle. Vorerst müsse er aber erst einmal die Bank kennenlernen. Und zudem habe er einen anspruchsvollen Job, den es gut zu machen gelte.

Der falsche Italiener

Doch wer ist dieser Schweizer Banker, den hierzulande ausserhalb der Branche kaum jemand kennt, und den das deutsche «Handelsblatt» vorschnell als Italiener taxierte? Tatsächlich ist Ermotti neben Josef Ackermann und Philipp Hildebrand der international erfahrenste Banker, den die Schweiz derzeit zu bieten hat. Den bislang grössten Teil seiner Karriere verbrachte der viersprachige Tessiner beim amerikanischen Finanzkonzern Merrill Lynch, wo er in Zürich, New York und London 18 Jahre als Investmentbanker arbeitete, bevor er 2005 zum italienisch-deutschen Geldhaus Unicredit wechselte. Unter Italiens extravagantestem Banker Alessandro Profumo brachte er es dort zum stellvertretenden Bankchef.

Bei beiden Arbeitgebern blieb Ermotti am Ende wegen seiner Nationalität auf der Strecke. «Als Nicht-Amerikaner bei einer US-Firma ist der Zyklus irgendwann einmal zu Ende», sagt Christian de Prati, der selber bei Merrill unter Ermotti gearbeitet hat. Ähnlich erging es dem Schweizer bei Unicredit, wo er entscheidend dazu beitrug, dass aus dem Sammelsurium italienischer Sparkassen ein internationaler Mitspieler wurde, der sich die deutsche Hypovereinsbank schnappte. Nach dem Rausschmiss seines Förderers Profumo fiel der aufrichtige Schweizer im Gravitationsfeld deutsch-italienischer Befindlichkeiten zwischen Stuhl und Bank - bei den Grossaktionären war ein solcher Modernisierer unerwünscht.

Darum schmiss Ermotti den Bettel hin und hatte bald UBS-Chef Grübel am Telefon, der einmal mehr eine gute Nase bewies. Der Rest war bloss eine Frage von Modalitäten, denn Ermotti musste nicht lange überlegen, wie ein Freund berichtet. Nach seinen Einsätzen im Ausland sei der UBS-Job «ein Weg zurück nach Hause».

«Ermotti ist ein fordernder Chef, der den Mitarbeitern viel abverlangt», sagt ein früherer Mitarbeiter bei Merrill. «Er ist aber auch sehr menschlich und hat Verständnis, wenn es einem privat nicht so gut geht.» Sein Führungsstil sei hart, urteilt ein weiterer Kollege. Ermotti habe keine Hemmungen, auf Fehler hinzuweisen, aber er bleibe immer fair dabei.

Im Tessin verwurzelt

Ermotti selber bezeichnete einmal als seine wichtigsten Führungsprinzipien: Fairness, Loyalität und Wille. Diese Haltung hängt stark mit Ermottis Selbstverständnis zusammen. Der erklärte Familienmensch und Vater zweier Teenager-Söhne gibt nicht den eindimensionalen Banker, sondern ist ein vielseitig interessierter Mensch, der selbst mit seiner knapp bemessenen Freizeit viel anzufangen weiss. Privat ist er an verschiedenen Hotels im Tessin beteiligt, darunter dem Principe Lepoldo oder der Villa Sassa in Lugano. Seit 2007 amtet er überdies als Verwaltungsratspräsident der Tessiner Fluggesellschaft Darwin Airline.

Diese Engagements unterstreichen Ermottis Verbundenheit mit der Heimat, wo er an seinem Wohnort in Montagnola bis heute als bodenständiger Typ gilt. Im Tessin verfügt er über ein weit verzweigtes Beziehungsnetz. Eng verbunden ist er mit dem Financier und UBS-nahen Tito Tettamanti, bei dessen Fidinam Group Holding er im Verwaltungsrat sitzt. Gute Kontakte unterhält er auch zur Familie Cornaro, namentlich zu Vittorio, dem Gründer der Cornèr Bank, wo Ermotti seine Banklehre machte, bevor er zur Citigroup nach Zürich wechselte.

In geschäftlichen Belangen tauscht er sich auch gerne mit Massimo Pedrazzini aus, einem einflussreichen Tessiner Anwalt und Vertrauten Tettamantis, oder mit dem Unternehmer Robert Grassi. Solche Kontakte sind nicht aussergewöhnlich. «Im Tessin kennt ohnehin jeder jeden», sagt Christian de Prati, der selber diesem Biotop entstammt.

Für die UBS kommt der international bewährte Ermotti gerade richtig. Mit ihm an Bord kann die Bankführung ihre Schweizer Identität weiter ausbauen, und als Tessiner dürfte der Neue bei den hiesigen Politikern und Regulatoren zweifelsohne gut ankommen. Mit seiner Erfahrung als Investmentbanker bei einem der mächtigsten US-Finanzkonzerne besitzt er auch die Chuzpe, um den angelsächsischen Primadonnen im dealgetriebenen High-Risk-Banking Paroli zu bieten.

Manchmal bringe ein Trade-off langfristig mehr als das Beharren auf einem Standpunkt, lautet eine Devise Ermottis, der damit Konzilianz beweist. Zudem sitzt er im Verwaltungsrat der London Stock Exchange, was ihm in internationalen Börsenfragen Gewicht verleiht. Und noch einen Vorteil geniesst er: Im Gegensatz zu den vielen Bankern, die in letzter Zeit von der Credit Suisse zur UBS gewechselt haben, hat er am neuen Arbeitsort keinen «Stallgeruch». Das verschafft ihm intern einen hohen Grad an Unbefangenheit, was an den heutigen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, Philipp Hildebrand, erinnert, der ebenfalls einen Grossteil seiner Karriere im Ausland absolvierte. Mit Hildebrand teilt Ermotti auch das vorteilhafte Äussere; nicht zufällig galt der Tessiner bei Merrill Lynch in London als «the best dressed man».

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass just jener Mann, der Ermottis Bankkariere entscheidend vorantrieb, selber die UBS beinahe an die Wand fuhr: Marcel Ospel. Der Basler arbeitete in den 80er-Jahren eine Zeit lang bei Merrill Lynch und stellte damals neben Ermotti etwa auch Thomas Matter oder den späteren Hedgefonds-Manager Rainer-Marc Frey an. So schliesst sich gewissermassen ein Kreis - und Rainer-Marc Frey sitzt heute im Verwaltungsrat der UBS; damit hat Ermotti auch im Aufsichtsgremium einen Fürsprecher.

Lernen von Hildebrand

Als designierter Präsident und Chef Europe, Middle East and Africa hat Ermotti eine divisionsübergreifende Funktion. Damit erhält er konzernweiten Überblick, um die seit Jahren propagierte Idee der «integrierten Bank» voranzutreiben. Einem allzu rasanten Aufstieg kann indes auch eine gehörige Ernüchterung folgen, wie dies etwa Nationalbank-Präsident Hildebrand erlebt. Hatte er lange Zeit als umsichtige Autorität auf dem Finanzplatz gegolten, bläst ihm nach seinen erfolglosen Euro-Stützungskäufen und dem massiven Buchverlust ein harscher Wind entgegen. Damit bietet sich Ermotti genügend Anschauungsmaterial, um nicht bald selber an Abnutzungserscheinungen zu leiden.