Herr Rochat, mit 39 Jahren sind Sie der jüngste Teilhaber im Partnergremium der Genfer Privatbank Lombard Odier. Liegt es nun an Ihnen, den nächsten Generationenwechsel bei dieser bereits 218 Jahre alten Institution einzuläuten?

Frédéric Rochat:
Ich glaube, das ist weniger eine Frage des Alters, sondern vielmehr eine Einstellungssache. In der Bankbranche erleben wir derzeit einen epochalen Wandel. Manche Berufskollegen bedauern, dass vieles nicht mehr so ist wie früher, andere wiederum, zu denen ich mich zähle, sind bestrebt, das Geschäftsmodell auf die neuen Herausforderungen auszurichten, sodass unsere Branche auch in Zukunft erfolgreich sein kann.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Lastet mit der jahrhundertealten Qualitätsmarke Lombard Odier nicht ein sehr schweres Erbe auf Ihren Schultern?
Respekt muss man sicherlich dafür haben, dass es den früheren Generationen gelungen ist, diese Bank immer weiter zu bringen. Es gibt nur wenige Institutionen, die das so erfolgreich geschafft haben. Insofern lastet auf uns Teilhabern durchaus das Gewicht, diese Bank noch besser, solider und wettbewerbsfähiger zu machen, bevor wir sie der nächsten Generation übergeben.

Die eigentliche Zäsur in der langen Historie von Lombard Odier fand kürzlich statt: Die Bank ist seit Anfang 2014 keine Personengesellschaft mit unbeschränkt haftenden Teilhabern mehr, sondern eine Kommanditgesellschaft auf Aktien. Sie haben Ihren Status als klassische Privatbankiers aufgegeben. Was ist jetzt anders?
Die alte Struktur von Lombard Odier hat 218 Jahre lang ihren Zweck erfüllt, entsprach allerdings immer weniger dem Verständnis der Aufsichtsbehörden auf dieser Welt. Die heutigen Gesetze und Bestimmungen in der Finanzbranche sind auf Aktiengesellschaften zugeschnitten. Die Behörden verlangen von Banken mit operativen Einheiten im Ausland eine Holding mit Tochterfirmen, was dem Regulator bei allfälligen Schwierigkeiten erlaubt, einen Konzernteil abzugrenzen, ohne dass die ganze Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Bei Lombard Odier waren die internationalen Töchter bereits Aktiengesellschaften, doch die Bank in der Schweiz war identisch mit der Holding. Das führte zu wachsenden Missverständnissen. Darum haben wir bereits vor einigen Jahren beschlossen, unsere Struktur anzupassen.

Hat das alles nicht mit dem US-Steuerstreit zu tun und mit dem Risiko, dass eine Busse oder Klage die Bank ruinieren könnte, wie das bei anderen Schweizer Instituten in den vergangenen Jahren der Fall war?
Nein. Wir haben lange vor dem US-Steuerstreit begonnen, uns Gedanken über unsere Rechtsstruktur zu machen. Wenn wir uns ausschliesslich vor Risiken hätten schützen wollen, hätten wir unsere Gruppe ganz einfach in eine Aktiengesellschaft umwandeln und einen Teil des Kapitals veräussern können. So hätten wir das Risiko auf Drittaktionäre überwälzt. Aber das war nie unsere Absicht. Sowohl mit dem alten als auch mit dem neuen Modell sind wir die alleinigen Eigentümer der Bank, und indem wir 100 Prozent des Kapitals halten, bleiben wir auch unabhängig. Falls sich morgen ein Problem materialisieren sollte, ist jeder Franken, den die Bank verliert, auch ein Verlust für uns Teilhaber. Somit stehen wir auch mit der neuen Struktur hinter unseren historischen Werten.

Bloss am Alten festzuhalten, dürfte aber nicht die Lösung sein, um den grossen Herausforderungen von heute und morgen zu begegnen.
Es gibt ein paar Dinge, die uns eindeutig von der Konkurrenz unterscheiden. Mit unseren 211 Milliarden Franken an anvertrauten Kundengeldern gehören wir zweifelsohne zu den dominierenden Akteuren im Private Banking, sind aber doch agiler und der Klientel näher als grössere Institute. Unser Geschäftsmodell, das sich ganz offensichtlich bewährt, erlaubt es uns auch, laufend und ausreichend in neue Aktivitäten und Märkte zu investieren.

Das können sicherlich noch andere Finanzhäuser von sich behaupten.
Das stimmt. Doch gerade im Zuge der Finanzkrise hat sich deutlich gezeigt, dass dort die grössten Probleme aufgetaucht sind, wo die Interessen zwischen dem Management und den Kunden nicht mehr dieselben gewesen sind. Das kann bei uns nicht geschehen, da wir als Eigentümer gleichgelagerte Interessen wie unsere Klientel haben. Das ist ein weiterer Vorteil unserer Struktur. Sie muss auch solide sein. Das zwingt uns, höchst konservativ und besonnen zu handeln.

Nochmals: Was verändert sich bei Lombard Odier?
Neben der Vermögensverwaltung für Private Banking und dem Asset Management für institutionelle Anleger, das wir vor rund sechs Jahren neu organisiert haben, legen wir heute ein weiteres Gewicht auf den Ausbau unserer IT-Plattform. Meine Vorgänger im Partnergremium haben zwar schon vor einem Vierteljahrhundert diesem Bereich eine hohe Priorität zugesprochen, sodass wir heute informatikseitig zu den modernsten Instituten gehören, doch mittlerweile bieten wir unsere IT-Services auch anderen Banken an, zum Beispiel der Schweizer Valiant-Gruppe oder der belgischen Bank Petercam. Das ist der dritte Pfeiler in unserem Geschäftsmodell. Er leistet nicht bloss einen Ergebnisbeitrag, sondern stärkt auch unsere eigenen Vermögensverwaltungs-Aktivitäten. So finanzieren wir die weitere Entwicklung unserer Bankplattform.

Die Finanzkrise hat nicht nur die Bankenlandschaft verändert. Die Verwerfungen haben auch bei den Kunden die Alarmglocken läuten lassen. Wie nehmen Sie das wahr?
Wir hören von vielen Kunden, dass manche Banken seit der Finanzkrise ihre Geschäftsabläufe «industrialisiert» haben, was offenbar zur Folge hat, dass der persönliche Service auf der Strecke bleibt. Darunter leidet gerade im Private Banking jede Kundenbeziehung. In den «industrialisierten» Angeboten findet sich ein Grossteil der Klientel immer weniger zurecht. Dadurch vergrössert sich der Raum für jene Akteure, zu denen wir uns zählen, die einen echten und persönlichen Kundenservice anbieten.

Warum sollte im Online-Zeitalter der persönliche Service noch wichtig sein?
Gute Frage. Natürlich bewegt sich das Banking generell in Richtung online. Doch das Private Banking ist nicht ausschliesslich digital, weil es immer weniger um die reine Verwaltung von Geld geht, sondern eher um die Beratung bei grossen (Familien-)Vermögen. Welche juristischen Konstrukte gilt es bei der Nachfolgeplanung zu berücksichtigen? Welche Anlagestrategien sind geeignet? Auch im Zeitalter der Transparenz ist der Steuerstatus einer wohlhabenden Person oder Familie entscheidend für die integrale Vermögensberatung. Das wiederum setzt Expertise voraus.

Also müssen Sie Ihr geografisches Einzugsgebiet reduzieren. Denn überall können Sie, können Ihre Kundenberater, ja nicht Experten sein.
Es findet tatsächlich auch bei uns eine gewisse Spezialisierung statt – zwar nicht so ausgeprägt wie bei den Grossbanken, aber es liegt auf der Hand, dass man aufgrund der verschärften Gesetze und Bestimmungen heute viel gezielter seine Klientel beraten muss. Insbesondere, wenn Kunden, etwa im Fall einer vermögenden Familie, zudem in verschiedenen Ländern wohnen. Das wiederum setzt, wie vorhin erwähnt, eine IT-Plattform voraus, die grenzüberschreitend verwendbar ist.

Grösse, Expertise, Erfahrung und international einsetzbare Technologie – nicht alle Finanzinstitute verfügen über diese Merkmale. Wie wird sich die Bankenlandschaft in der Schweiz in den nächsten Jahren verändern?
Im Ausland herrscht noch oft die Meinung vor, die Schweizer Privatbanken seien intransparent und profitierten bloss vom Bankgeheimnis. Das ist natürlich Unsinn. Die Schweizer Banken haben die Veränderungen in der Vermögensverwaltung vollzogen und stehen punkto Professionalität bezüglich ihrer Dienstleistungen den besten Finanzplätzen in gar nichts nach.

Trotzdem ist jetzt eine riesige Konsolidierungswelle in Gang gekommen. Mit welchen Folgen?
Ich denke, dass es im Private Banking nicht nur ein einziges Geschäftsmodell gibt, sondern mehrere, solange es einer Bank gelingt, ihre kompetitiven Vorteile ins Spiel zu bringen. Aber zugegeben, nicht alle Akteure werden dies mit demselben Erfolg tun können. In diesem Kontext ist es unbestritten, dass es auch in Zukunft grosse Bankkonzerne geben wird, die eine Private-Banking-Abteilung haben werden. Dort ist die Unternehmensführung zwar weniger nahe am Kunden, das kompensieren diese Banken aber mit einer riesigen Palette an Dienstleistungen im Wertschriftenhandel oder am Kapitalmarkt, die bis hin zum Investment Banking reicht.

Wie lautet Ihre Prognose für etwas kleinere Institute, zu denen auch Lombard Odier zu zählen ist?
Lombard Odier ist weit oberhalb der kritischen Grösse angesiedelt und hat einen klaren Plan. Wir verfolgen seit 218 Jahren eine organische Wachstumsstrategie. Daran halten wir fest. Wir investieren heute in unsere Standorte in Europa, Asien und in der Schweiz. Weitere Mittel fliessen in die Bereiche Anlagestrategien und Bankentechnologie. Was den Rest der Branche betrifft, ist es schwieriger, eine Prognose zu stellen. Manche Institute bauen aus, andere ziehen sich zurück – das allein zeigt schon, wie offen die Situation ist. Es ist auch eine Tatsache, dass die Preisvorstellungen bei Käufern und Verkäufern von Privatbanken stark divergieren, weil es in vielen Fällen höchst komplex ist, die Kundenvermögen zu bewerten. Darum kommt es derzeit eher zu sogenannten Asset-Deals, wo man einzelne Kundenportfolios und -berater aus einer Bank herauslöst und sie an ein anderes Institut überträgt.

Wie weit spielt es da eine Rolle, ob eine Bank mehr in- oder ausländische Kunden hat?
Wir sehen für uns noch viel Potenzial im Heimmarkt Schweiz, den wir von Zürich aus, wo wir dieses Jahr das 25 Jahr-Jubiläum feiern, sowie von Genf oder Lausanne aus entwickeln. Hierzulande werden die Karten neu verteilt. Daraus ergeben sich Gelegenheiten. Die Frage lautet aber, ob der Schweizer Finanzplatz auch für ausländische Kunden attraktiv bleiben wird.

Wie lautet Ihre Prognose?
Das hängt vom politischen Willen ab, hierzulande gute Rahmenbedingungen für die Finanzbranche erhalten zu wollen.

Ist diese Absicht da?
Das frage ich mich ernsthaft. Diesem Anliegen wird meines Erachtens im Moment nicht ausreichend Rechnung getragen.

Warum gibt es keinen stärkeren Willen?
Die Schweiz hat sich richtigerweise dafür entschieden, die internationalen Standards zu übernehmen, seien das nun der Automatische Informationsaustausch oder das US-Regelwerk Fatca. Bei der Umsetzung sollte sie aber sorgfältig beobachten, wie die wichtigsten Konkurrenten unter den Finanzplätzen vorgehen.

Wie meinen Sie das?
Ich nenne einmal London und Luxemburg, die sich bei der Umsetzung der internationalen Standards äusserst geschickt verhalten haben und die stets peinlichst genau darauf achten, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten können. Denn sie sind von ihrem Potenzial und von der Bedeutung ihrer Finanzindustrie überzeugt. Ob in London oder Luxemburg – die Regierung steht mit voller Überzeugung hinter ihrem Finanzplatz. Das äussert sich etwa auch darin, dass neun von zehn Meinungsdifferenzen zwischen London respektive Luxemburg und der EU in Brüssel den jeweiligen Finanzplatz betreffen. Man gibt nicht so schnell nach.

Hat die Schweiz überhaupt noch eine Chance, ein weltweit führendes Offshore-Zentrum bleiben zu können?
Davon bin ich überzeugt. Gerade in den Schwellenländern erarbeiten sich immer mehr Menschen durch unternehmerische Aktivitäten privates Vermögen. Diese Leute tendieren ganz natürlich dazu, ihr Geld ausserhalb des Wohnsitzlandes verwalten zu lassen. Mit Steuervermeidung hat das nichts zu tun.

Was folgern Sie daraus?
Es wird auch weiterhin fünf bis sechs globale Kompetenzzentren für die internationale Vermögensverwaltung geben, und die Schweiz hat gute Voraussetzungen, um dazugehören zu können.

Und warum?
Weil sich insbesondere in den Schwellenländern vermögende Leute um ihre Sicherheit und um den Erhalt des ehrlich verdienten Wohlstands sorgen. Sie werden immer das Bedürfnis nach Sicherheit, Kompetenz, Vertrauen sowie nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität haben. Genau diese Eigenschaften kann unser Finanzplatz bieten. Diese Werte haben auch im 21. Jahrhundert ihre Anziehungskraft, die Schweiz steht mit ihnen allerdings nicht allein da, und die Konkurrenz ist hart.

 

Zur Person: Frédéric Rochat

Der 1975 geborene Frédéric Rochat wurde Anfang 2012 zum Teilhaber im achtköpfigen Partnergremium der Genfer Privatbank Lombard Odier ernannt. In dieser Funktion ist er seither für die Vermögensverwaltung von Privatkunden mitverantwortlich. Zum Unternehmen selber stiess er im Oktober 2010. Ursprünglich wollte Rochat Arzt werden, studierte dann aber an der Universität St. Gallen (HSG) Volks- und Betriebswirtschaft. Mit der Finanzbranche kam er aufgrund seiner Affinität zu Zahlen in Kontakt, indem er in London bei der amerikanischen Grossbank Goldman Sachs anheuerte. Rochat war für die US-Bank zwölf Jahre im Investmentbanking tätig, darunter zwei Jahre in New York. Im Jahr 2010 wechselte er zu Lombard Odier in London, wo er den Bereich Asset Management weiterentwickelte, bevor er 2013 in die Schweiz zurückkehrte. Rochat lebt mit seiner Familie in Genf.