Ben Bernanke dürfte mit seinen Bemerkungen zum Goldpreis vielen Investoren und Sparern aus der Seele gesprochen haben. Er verstehe nicht wirklich die Entwicklungen beim Edelmetall, liess der amerikanische Notenbankchef die Senatoren im US-Kongress bei seiner halbjährlich stattfinden Anhörung wissen. Zur Inflationsabsicherung tauge das gelbe Metall auf alle Fälle schon mal nicht.

Die erratischen Kursbewegungen und die völlig entgegengesetzten Vorhersagen der Profis scheinen Bernanke zu bestätigen. Teis Knuthsen von der Saxo Bank rechnet beispielsweise damit, dass Gold ein weiteres Drittel seines Wertes einbüßen wird. Erst dann würde das Edelmetall im Einklang mit der weltweit niedrigen Inflation stehen.

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Andere Experten sehen die Kurskorrektur als willkommene Einstiegschance. Roland Stöferle vom Anlagehaus Incrementum hält das fundamentale Argument für Gold überzeugender denn je. «Noch nie haben auf globaler Basis dermassen gewaltige ‹monetäre Experimente› stattgefunden. Wenn es jemals Bedarf an monetärer Versicherung gegeben hat, so ist es heute», sagt Stöferle und hält langfristig 2300 Dollar je Feinunze für möglich.

Wichtige technische Widerstandsmarken geknackt

In diesem Spannungsfeld hatte der Goldpreis zu Wochenbeginn völlig unerwartet zu einer Rallye angesetzt und wichtige technische Widerstandsmarken geknackt. Über drei Prozent verteuerte sich die Feinunze (31,1 Gramm) am Montag. Nach dem stärksten eintägigen Preisanstieg seit 13 Monaten stagnierten die Notierungen am Dienstag bei 1333 Dollar.

Es ist quasi unmöglich, den fairen Wert von Gold zu beziffern. Denn das Edelmetall hängt an den subjektiven Einschätzungen der Investoren. Und die sind äusserst verschieden. Für den einen ist Gold ein barbarisches Relikt aus Zeiten der Goldwährung. Für den anderen dient es als Absicherung gegen Geldentwertung oder einen möglichen Währungskollaps.

Wieder andere sehen in Gold eine Versicherung gegen geopolitische Turbulenzen. «Man muss nur in sein Geschichtsbuch schauen. Niedriges Wachstum, hohe Arbeitslosenraten, schwache Koalitionsregierungen: Alles, was wir heute weltweit sehen, hat seit jeher zu politischen Verwicklungen geführt», sagt Philip Manduca, Vorstandschef bei Titanium Capital.

Er rechnet mit steigenden geopolitischen Risiken in den kommenden Monaten und Jahren. «Anleger haben jetzt die Chance, sich mit Gold dagegen abzusichern.»

Spekulanten haben Goldbestände leer verkauft

Doch viele Investoren scheinen das Vertrauen in Gold verloren zu haben. Das belegen die Abflüsse bei den börsengehandelten Goldfonds, den ETFs, die auf den niedrigsten Stand seit 2010 gefallen sind. Seit Jahresanfang verkauften die Investoren Bestände von mehr als 600 Tonnen Gold im Gegenwert von weit über 20 Milliarden Dollar. Inzwischen Und die Verkäufe setzen sich trotz der Kursverluste fort.

«Angesichts anhaltender ETF-Abflüsse ist es unseres Erachtens noch zu früh, die kräftige Gegenbewegung vom Montag als nachhaltige Trendumkehr zu bezeichnen», warnen daher die Analysten der Commerzbank.

Die Abflüsse starteten just nachdem die Deutsche Bundesbank angekündigt hatte, einen Teil ihrer im Ausland gelagerten Edelmetallreserven in die heimischen Tresore nach Frankfurt zu holen. Viele Beobachter hatten damals eine Rallye vorhergesagt. Schliesslich ist es am Markt ein offenes Geheimnis, dass ein Teil der Goldreserven der Notenbanken an Investoren verliehen ist, die das Edelmetall leer verkauft, also auf fallende Notierungen spekuliert haben. Die Rückholaktion der Bundesbank würde dazu führen, so die Überlegung vieler Profis damals, dass ein Teil der leer verkauften Bestände wieder zurückgekauft werden müsse, was wiederum den Preis treibt.

Verschwörungstheorien kehren wieder zurück

Doch es kam anders. «Plötzlich verloren die westlichen Anleger das Interesse an Gold», sagt Leigh Skene, Experte beim unabhängigen Analysehaus Lombard Street Research. Das sei umso bemerkenswerter, als die jüngsten Ereignisse die jahrelangen Verschwörungstheorien  stützten. Er führt verschiedene Indizien an, die für eine Manipulation des Goldpreises sprechen. So erhöhte beispielsweise die Terminbörse CME die Sicherheiten für Investoren. Viele Anleger mussten daraufhin ihre Positionen glatt stellen. Da das Gros der Anlegerschaft auf weiter steigende Notierungen gesetzt hatte, löste dies eine massive Verkaufswelle aus.

Skene zitiert darüber hinaus eine Studie des Gold-Apologeten Chris Martenson. Danach haben die USA zwischen 1991 und 2012 rund 5500 Tonnen Gold exportiert, aber nur 1000 Tonnen davon hätten aus Goldüberschüssen bestanden. Die restlichen 4500 Tonnen müssten aus Goldverleihungen der US-Notenbank stammen. Die verliehene Menge entspreche in etwa eines Jahresangebots. Kurzfristig werde Gold vielleicht weiter fallen, doch langfristig könne sich ein Investment in Gold durchaus auszahlen, meint Skene.

Die kurzfristige Preisentwicklung dürfte vor allem vom Kurs der US-Notenbank abhängen. Sollte sie ihre ultralockere Geldpolitik schneller als erwartet zurückfahren, könnte der Dollar an Wert gewinnen und im Gegenzug das Edelmetall verlieren. Gold bleibt ein Rätsel, nicht nur für Ben Bernanke.

Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.