«Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte», lautet ein bekanntes Sprichwort. Im Übernahmepoker um den französischen Industriekonzern Alstom (ISIN FR0010220475) ist die Rollenverteilung jedoch etwas komplizierter. Da ist der US-Riese General Electric (GE) (ISIN US3696041033), der mit einer Marktkapitalisierung von rund 270 Milliarden Dollar zu den zehn grössten Unternehmen der Welt zählt. GE-Chef Jeffrey Immelt würde sich den französischen Wettbewerber nur zu gerne unter den Nagel reissen, um sich dessen Herzstück, die Energietechnik, einzuverleiben und vermutlich, um den Rest weiterzuverkaufen.

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Da ist Frankreich, vertreten durch die sozialistische Regierung unter Präsident François Hollande. Sie will keine Zerschlagung von Alstom. Das Unternehmen ist für Frankreich nicht nur von strategischem Interesse, sondern auch ein Symbol nationaler industrieller Stärke. Und schliesslich ist da Siemens (ISIN DE0007236101). Der deutsche Industriekonzern tritt mit Unterstützung der französischen Politik als «weisser Ritter» gegen GE an. Der Plan von Siemens-Lenker Joe Kaeser sieht die Schaffung «zweier europäischer Champions» vor, indem die Deutschen ihre Mobilitätssparte mit dem Energietechnikgeschäft der Franzosen tauschen.

Siemens und Alstom – Politik als Strippenzieher?

GE kann dem Ausgang des Übernahmepokers relativ gelassen entgegensehen. Denn kommen die Amerikaner zum Zug, würde den europäischen Wettbewerbern, also auch Siemens, mitten auf ihrem Heimatkontinent ein gewaltiger Rivale erwachsen. Mittlerweile soll sich nämlich nicht nur Alstom-Chef Patrick Kron für das GE-Angebot ausgesprochen haben, sondern auch der Aufsichtsrat. Sollte Siemens doch noch das Rennen machen, könnte der US-Konzern auch davon profitieren.

So sieht es zumindest DWS-Fondsmanager Tim Albrecht. «Es drängt sich der Verdacht auf, dass ein Zusammenschluss zwischen Siemens und Alstom, der zustande kommen könnte, nicht allein wirtschaftliche Gründe haben würde, sondern, dass er auch auf Wunsch der Politik geschehen würde», wird Albrecht im «Wall Street Journal» zitiert. Die neue Strategie von Siemens, sich auf erfolgreiche Bereiche zu konzentrieren und Kapitaldisziplin zu beweisen, könnte durch den Deal mit Alstom infrage gestellt werden. Ähnlich skeptisch sind die Analysten von BNP Paribas. Die politische Dimension eines etwaigen Ringtauschs von Geschäftsbereichen zwischen Siemens und Alstom berge viele Unwägbarkeiten. Es könnte sein, dass das Ergebnis des Entscheidungsfindungsprozesses für die Aktionäre nicht optimal sein wird.

ABB – eine Chance auf einen teuren Verkauf der Sparte Power System

Möglicherweise ist der lachende Dritte ein Unternehmen, das mit der Übernahmeschlacht bislang gar nichts zu tun gehabt hat. Die Rede ist von ABB (ISN CH0012221716). Die Zürcher präsentierten in dieser Woche sehr ernüchternde Quartalszahlen. So sank der Gewinn von Januar bis März im Vergleich zum Vorjahr völlig überraschend um 18 Prozent auf 544 Millionen Dollar. Eigentlich waren die Analysten von einem Gewinnanstieg auf 726 Millionen ausgegangen. Schuld an den durchwachsenen Zahlen hatte vor allem die Energietechniksparte (Power Systems), die mit 29 Millionen Dollar ins Minus gerutscht ist. In der Vorjahresperiode gab es dort noch einen Gewinn von 169 Millionen Dollar.

Der Bieterstreit zwischen GE und Siemens könnte ABB nun Luft verschaffen, um den Geschäftsbereich zu sanieren. Möglicherweise eröffnet der Übernahmekampf aber auch die Chance, den Bereich «Power System» über Wert zu verkaufen und zwar an das Unternehmen, das bei Alstom zu kurz kommt und dadurch unter Zugzwang gerät. ABB-Chef Ulrich Spiesshofer hat zwar bislang erklärt, dass er an der Energietechnik-Sparte festhalten werde – aber der «Fall Alstom» hat ja schon für so manche überraschende Wendung gesorgt.

Die Player im Übernahmepoker

Der Verkauf der Energietechnik hätte zwei Vorteile: Möglicherweise hoher Verkaufserlös und Beseitigung eines Restrukturierungsproblems. Die Aktie hat im Bereich von 20 Franken eine starke Unterstützung. Möglicherweise gelingt von dort der Rebound.

Mit einem 11er-KGV ist die Aktie trotz des Übernahmeangebots vergleichsweise günstig bewertet.

Die Aktie des Mischkonzerns kämpft seit längerem mit einem zähen Widerstand im Bereich von 24 Dollar. Beim aktuellen 15er-KGV dürfte das Kurspotenzial derzeit eher begrenzt sein.

Die 100-Euro-Marke ist in Reichweite. Anleger spekulieren darauf, dass die Präsentation der neuen Strategie des neuen Firmenchefs Joe Kaeser am 7. Mai den Sprung über die Hürde und danach weitere Steigerungen auslösen wird.