Arbeiten oder Fussball schauen: Was die WM die Wirtschaft kostet.

Diese Fussball-Weltmeisterschaft ist anders: nasskalte Novembertage, Boykottaufrufe, kaum Public-Viewing. Aber am nächsten Donnerstag dürfte sich dennoch die halbe Schweiz vor dem Bildschirm versammeln, wenn das erste Spiel der Nati stattfindet. Gegner ist Kamerun, Anpfiff ist um elf, also mitten in der Arbeitszeit. Was heisst das für die Wirtschaft, wenn die Arbeit eine Zeit lang liegen bleibt, weniger Mails verschickt werden und die Kassen seltener klingeln? 750 Millionen futsch? Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) senkt ein wegfallender Arbeitstag das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) eines Jahres im Durchschnitt um rund 0,4 Prozent. Nimmt man an, dass rund die Hälfte der Arbeitskräfte wegen des Spiels einen halben Tag ausfällt, kostet es 0,1 Prozent des BIP. Das wären rund 750 Millionen Franken. Eine happige Summe, nur wegen eines bisschen Fussballs. Doch so simpel ist die Rechnung nicht. Schliesslich ist die Schweizer Wirtschaft nicht eine grosse Fabrik, die dann einfach stillsteht. Der Dienstleistungssektor dominiert. Kopfarbeit lässt sich nicht so einfach quantifizieren, die Zeiten des Ein- und Ausstempeln sind für viele vorbei. Die über 700’000 Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen werden ihre Leistung genauso erfüllen wie an einem Tag ohne WM-Spiel. Auf jene Sektoren, in denen ein Produktionsausfall am ehesten messbar wäre, also auf dem Bau und im verarbeitenden Gewerbe, fallen weniger als 20 Prozent der Beschäftigten. Der Fifa-Präsident ist wegen der WM in Katar unter Beschuss, doch ungelöste Probleme hat er intern. Das grösste: seine Generalsekretärin. Das sind die wertvollsten Spieler an der Fussball-WM. Rund 1 Million Zuschauer Ausserdem ist die Annahme, dass rund die Hälfte der Beschäftigten das Spiel verfolge, etwas zu hoch gegriffen. Gut 5 Millionen Erwerbstätige zählt die Schweiz. Rund 1,5 Millionen schauten sich das Spiel der Nationalmannschaft gegen die Türkei an der Europameisterschaft 2021 an, der höchste Wert seit dem Brasilienspiel 2018. Aber die Partie fand an einem Sonntagabend statt, und es ging um den Einzug ins Achtelfinale. Angesichts der Anspielzeit und des eher unbekannten Gegners sind gegen Kamerun nicht mehr als eine Million Zuschauerinnen und Zuschauer zu erwarten, also ein Fünftel der Beschäftigten. Zudem ist anzunehmen, dass die Arbeit, die erledigt werden muss, einfach vor oder nach dem Spiel erledigt wird. Das Seco zeigt sich denn auch gelassen: «Insgesamt würde ich a priori nicht erwarten, dass sich ein solches Ereignis im Aggregat relevant auf das Bruttoinlandprodukt auswirkt», sagt Felicitas Kemeny, Ressortleiterin Konjunktur. Womöglich würden an diesem speziellen Tag Ferien bezogen, aber dafür wird an einem anderen Tag gearbeitet. Denkbar sei auch, dass die fussballinteressierten Personen an diesem Tag zwar weniger arbeiten, dass es aber Kollegen gibt, die das ausgleichen. Dumm für die Kollegen, gut für die Konjunktur Motivationsschub dank guter Stimmung Unter dem Strich könnte sich die Übertragung der Spiele sogar positiv auf die Produktivität und das BIP auswirken. Dann, wenn es zu einer besseren Stimmung im Büro beiträgt und die Motivation erhöht. «Die Fussball-WM ist kein Produktivitätskiller», befand die Management-Professorin Ina Toegel in einem Beitrag in der «Handelszeitung» zur letzten WM in Russland. Toegel forscht und lehrt zu Leadership-Themen an der IMD Business School in Lausanne. «Die Spannung des Turniers rückt Menschen näher zusammen.» Das baue Distanz ab und schaffe Freundschaften, wo vorher nur Kollegialität war. Das verbessere langfristig das Ergebnis des Unternehmens. Toegels Rat ans Management: Grossbildschirme aufstellen, ein Tippspiel organisieren und die Wettkasse grosszügig füllen. Wer will, kann also mit gutem Gewissen am Donnerstag das Spiel verfolgen. Was an dem Vormittag wichtiges in der Wirtschaft passiert ist, können Sie am Nachmittag immer noch in der «Handelszeitung» nachlesen.Wie die WM das Schweizer BIP aufbläst Die Fussball-WM wirkt sich deutlich auf das Schweizer Wirtschaftswachstum aus – allerdings fast ausschliesslich als statistischer Effekt. Nicht die Arbeitsleistung der Schweizerinnen und Schweizer steigert das BIP, sondern Lizenzeinnahmen der Veranstalterin Fifa. Auch wenn Grossereignisse wie die Fussball-WM nicht in der Schweiz stattfinden, verdient die Schweiz indirekt mit. Denn die Fussballverbände Fifa und Uefa sowie das Olympische Komitee IOC haben ihren Sitz in der Schweiz. Sie verbuchen durch den Verkauf von Fernseh- und Markenrechten hohe Einnahmen. Diese wirken sich auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) aus. Abzüglich der Ausgaben kann die Wertschöpfung in einem WM- oder Olympiajahr bis zu 0,4 Prozentpunkte des BIP-Wachstums ausmachen. Das sind etwa 3 Milliarden Franken. Gegenüber einem Jahr ohne Grossanlass kann das Wachstum demnach bis zu 0,8 Prozentpunkte höher liegen. Weil die Milliardenbeträge nichts mit dem Konjunkturverlauf zu tun haben und das Ergebnis verzerren, werden die BIP-Zahlen seit 2019 auch bereinigt um Sportevents publiziert.

Arbeiten oder Fussball schauen: Was die WM die Wirtschaft kostet.

Was die WM die Schweizer Wirtschaft kostet