Die Rekordinflation im Euroraum zwingt Europas Währungshüter zum Gegensteuern. Im Juli wird die Europäische Zentralbank (EZB) aller Voraussicht nach erstmals seit elf Jahren die Zinsen wieder anheben, im September soll der zweite Zinsschritt folgen. In einer Vielzahl öffentlicher Äusserungen bahnten die Währungshüter in den vergangenen Wochen den Weg für den Kurswechsel.

«Jetzt reicht es nicht mehr zu reden, wir müssen handeln», sagte schon vor einiger Zeit EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel. «Aus heutiger Sicht halte ich eine Zinserhöhung im Juli für möglich.» Anfang vergangener Woche wurde EZB-Präsidentin Christine Lagarde dann ungewohnt deutlich: Sie erwarte «sehr früh im dritten Quartal» ein Ende der Netto-Wertpapierkäufe. «Dies würde uns eine Anhebung der Zinssätze auf unserer Sitzung im Juli ermöglichen, im Einklang mit unseren Prognosen.» Die Juli-Sitzung des EZB-Rates ist für den 21. Juli angesetzt.

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Die Weichen in Richtung steigende Zinsen dürfte der EZB-Rat bereits bei seiner auswärtigen Sitzung am kommenden Donnerstag in Amsterdam stellen. Ökonomen erwarten, dass die EZB zunächst den Einlagensatz anhebt, zu dem Banken Geld bei ihr parken können. Derzeit liegt dieser Satz bei minus 0,5 Prozent. Der Leitzins im Euroraum, der seit mehr als sechs Jahren auf dem Rekordtief von null Prozent verharrt, könnte später angehoben werden. Sparerinnen und Sparer sehnen sich nach steigenden Zinsen, doch ein solcher Schritt hat auch Schattenseiten.

Welche Bereiche davon betroffen sind zeigen die folgenden Interessengruppen: 

Verbraucher

Die hohe Inflation belastet die Menschen in Deutschland und im Euroraum insgesamt. Sie können sich für einen Euro zunehmend weniger leisten. Auf eine schnelle Entspannung bei den Preisen können Verbraucherinnen und Verbraucher allerdings auch im Falle einer Zinserhöhung zunächst nicht hoffen.

Gegen steigende Energiepreise, die die Inflation vor allem anheizen, sind Europas Währungshüter weitgehend machtlos. Die Notenbank kann aber dazu beitragen, dass sich die Teuerungsrate nicht dauerhaft auf hohem Niveau festsetzt. Wenn sich die Inflationserwartungen auf einem bestimmten Niveau verfestigten, «dann frisst sich das in andere Preise ein», warnte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel.

Sorgen bereiten den Notenbankern mögliche Zweitrundeneffekten wie eine Lohn-Preis-Spirale. Steigen die Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, könnte das die Preise weiter nach oben treiben, weil Unternehmen gestiegene Löhne als Rechtfertigung von weiteren Preiserhöhungen heranziehen. Löhne und Preise schaukeln sich dann gegenseitig hoch.

Sparer

Ein Ende der Negativzinsen auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto zeichnet sich ab, wenn die Notenbank zunächst den negativen Einlagensatz anhebt. Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Viele Institute geben diese Belastung an Privatkunden ab bestimmten Summen auf dem Konto als sogenanntes Verwahrentgelt weiter.

«Ausgehend von den derzeitigen Aussichten werden wir wahrscheinlich in der Lage sein, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals zu beenden», kündigte Lagarde nun an. Einige Banken haben bereits ein Ende ihrer Verwahrentgelte in Aussicht gestellt, sobald dieser Strafzins auf Bankeinlagen wegfällt. Bis Sparer wieder nennenswerte Zinsen auf ihr Erspartes bekommen, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern.

Kreditnehmer

Für sie wird es absehbar teurer. Zinserhöhungen erhöhen die Kosten für Kredite und bremsen so die Nachfrage. Das hilft dabei, die Inflation im Griff zu behalten. Nach Erfahrung von Verbraucherschützern geben Banken und Sparkassen steigende Zinsen an Kreditnehmer vergleichsweise zügig weiter.

Die Bauzinsen, die nicht direkt von EZB-Zinsentscheidungen abhängig sind, sondern sich an der Verzinsung von Bundesanleihen orientieren, sind bereits gestiegen. Höhere Zinsen treffen vor allem diejenigen, die ein neues Darlehen brauchen oder eine Anschlussfinanzierung für einen Immobilienkredit. Bei laufenden Hypothekenkrediten ändert sich nichts an der Zinshöhe.

Staat

Für den Staat wird es teurer, Geld aufzunehmen. Die Renditen von Bundesanleihen sind in Erwartung einer strafferen Geldpolitik und eines Endes der milliardenschweren EZB-Anleihenkäufe bereits gestiegen. Grosse Sorgen muss sich der deutsche Fiskus nach Einschätzung von Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) derzeit allerdings nicht machen, «weil der reale Wert der Staatsverschuldung mit einer Inflation weit über dem Zinssatz mit grosser Geschwindigkeit weginflationiert wird».

Aktionäre

Jahrelang profitierten die Börsen von den Niedrigzinsen und der Geldschwemme grosser Notenbanken. In der Zinsflaute herrschte Anlagenotstand, Investoren mussten das viele billige Geld schliesslich irgendwo anlegen. Sie setzten daher verstärkt auf Aktien, die auch dank Dividenden attraktiver waren als manche andere Geldanlage. Das trieb die Aktienkurse nach oben. Bei einem Ende der ultralockeren Geldpolitik könnten andere Anlagen wieder an Attraktivität gewinnen.

(awp/tdr)

Lange haben Europas Währungshüter den Anstieg der Teuerungsraten als vorübergehend angesehen. Doch die Inflation steigt und steigt - sowohl in Deutschland als auch im Euroraum. Der Bankenverband BdB fordert von der EZB ein entschlosseneres Eingreifen.

Die Menschen in Deutschland müssen sich nach Einschätzung des Privatbankenverbandes BdB langfristiger auf höhere Teuerungsraten einstellen. "Wegen statistischer Basiseffekte bei den Energie- und Rohstoffpreisen sollte die Inflationsrate im weiteren Jahresverlauf zwar wieder etwas sinken. Mit Raten von über 3 Prozent dürften die Verbraucherpreise aber auch im Durchschnitt des kommenden Jahres deutlich über dem 2-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank liegen", schreibt der Bundesverband deutscher Banken (BdB) in einer aktuellen Analyse, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Im Mai war die jährliche Teuerungsrate nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes auf 7,9 Prozent gesprungen. Inflationsraten auf diesem Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie, in den alten Bundesländern zuletzt im Winter 1973/1974. Damals waren die Mineralölpreise infolge der ersten Ölkrise stark gestiegen. Höhere Inflationsraten schmälern die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger leisten können.

Zunehmend strukturelle Änderungen bei Preisen

Nach BdB-Einschätzung werden «zunehmend strukturelle Änderungen die Preisentwicklung in den nächsten Jahren prägen»: Arbeitskräftemangel, Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit sowie Neuausrichtung der globalen Produktions- und Lieferketten. "Es spricht daher vieles dafür, dass sich die Inflationsraten in Deutschland und in der Eurozone in den kommenden Jahren mit einer deutlich höheren Trendrate entwickeln werden als in den vergangenen zwei Dekaden."

Die Europäische Zentralbank (EZB), die für den gesamten Euroraum mittelfristig stabile Preise bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent anstrebt, hat sich nach langem Zögern zum Handeln entschlossen. Die Notenbank hat in Aussicht gestellt, mit zwei Zinsschritten im Juli und September dieses Jahres die derzeit negativen Einlagenzinsen von minus 0,5 Prozent zu beenden. Mit höheren Zinsen kann steigende Inflation bekämpft werden.

BdP fordert mehr Tempo

Der BdB fordert von der EZB mehr Tempo bei der Zinswende. «Die hohe Inflation belastet die Verbraucher und verunsichert die Wirtschaft. Auch die Inflationserwartungen steigen deutlich. Zu dieser Lage passt ein negativer Leitzins schon lange nicht mehr«, sagte BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig der Deutschen Presse-Agentur. «Die EZB sollte die Negativzinspolitik mit einem grossen Zinsschritt von 50 Basispunkten noch vor der Sommerpause im Juli beenden. Das wäre ein wichtiges Signal an Verbraucher und Tarifparteien.»

EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane hat Hoffnungen auf ein schnelleres Ende der Negativzinsen im Euroraum allerdings bereits gedämpft. «Was wir derzeit sehen, ist, dass es angemessen ist, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals abzubauen, und dass der Prozess schrittweise erfolgen sollte«, sagte Lane der spanischen Zeitung «Cinco Días«. Üblicherweise erfolge die Normalisierung in Schritten von 25 Basispunkten, so dass Zinserhöhungen um 0,25 Prozent auf den Sitzungen des EZB-Rates im Juli (21.7.) und September (8.9.) einen Richtwert darstellten, erklärte Lane in dem Interview.