In der Lockdown-Spirale: Das pessimistische Szenario zur Covid-Krise

U oder L – so beschrieben Ökonomen die Szenarien der Rezession, welche die Corona-Pandemie Anfang des Jahres weltweit auslöste. Im Sommer waren viele Experten wieder zuversichtlicher, denn die Wirtschaft erholte sich nach dem scharfen Einbruch im zweiten Quartal schneller als erwartet: Das V wurde zum Buchstaben der Hoffnung. Die jüngsten Prognosen des Staatssekretariat für Wirtschaft sehen für 2020 «nur» noch einen BIP-Rückgang von 3,8 Prozent in der Schweiz – ein paar Monate zuvor wurde noch ein Minus von über 6 Prozent erwartet. Der Jo-Jo-Effekt Doch die zweite Welle der Pandemie, die nun viel schneller und wuchtiger anrollte als angenommen, lässt Schlimmstes befürchten. Schon bringen Ökonomen einen neuen Buchstaben ins Spiel: Das W – demnach geht es runter und wieder hoch, runter und wieder hoch. Ein Jo-Jo-Effekt sozusagen. Doch wie lange dauert dieser an? Und geht es diesmal genauso schnell wieder bergauf wie beim letzten Mal? Dafür spricht wenig, schliesslich sind die Infektionszahlen innerhalb kürzester Zeit explodiert. Zudem haben wir noch einen langen Winter vor uns, der die Ausbreitung des Virus begünstigt. Wie lässt sich die Pandemie eindämmen, ohne der Wirtschaft zu sehr zu schaden? Das ist die grosse Frage, welche die Politik nun zu beantworten versucht. Lockdown kostet Milliarden Klar ist jedoch, dass die Schweiz ohne starke Einschränkungen – und ist es auch kein flächendeckender Lockdown – nicht auskommen wird. Das hat wirtschaftliche Folgen. Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (Kof) hat es errechnet: «Ein dreiwöchiger Lockdown kostet die Wirtschaft sicher einige Milliarden Franken». Selbst wenn die Schweiz ohne Lockdowns auskäme, hat auch die Entwicklung in den Nachbarländern einen Einfluss darauf, wie hoch der wirtschaftliche Schaden hierzulande ausfällt. Und auch bei den wichtigsten Partnerländern scheint die Lage eher ausser Kontrolle. Dass die Infektionen steigen, trifft einige Branchen besonders hart, etwa Gastronomie und Tourismus. Gerade November und Dezember sind für viele Gastwirte umsatzstarke Monate, weil Firmen Weihnachtsfeiern abhalten und private Familienfeste stattfinden – nur nicht in diesem Jahr. Auch Reiseveranstalter und Fluggesellschaften leiden unter den steigenden Infektionszahlen und weltweiten Reisebeschränkungen. Und in der Exportbranche kommt die Krise ohnehin erst jetzt so richtig an, denn die Nachfrage aus dem Ausland fehlt. Die zweite Infektionswelle in Europa verschärft diese Situation. Die Nervosität steigt bei den exportierenden Unternehmen, weil wichtige Absatzländer in Europa das öffentliche Leben wieder massiv einschränken. Ist der Aufschwung vorbei, bevor er richtig begonnen hat? Was einen erneuten Abschwung so gefährlich macht: Nach den Umsatzeinbussen im Frühjahr sind die finanziellen Reserven vieler Firmen aufgebraucht, insbesondere bei KMU. Die Zahl der Insolvenzen könnte durch einen zweiten Lockdown stark ansteigen, viele Menschen würden ihre Arbeit verlieren. Bisher hat das Kurzarbeitergeld viele davor bewahrt, doch die Arbeitslosigkeit dürfte nach dem Ende der Regelung im kommenden Jahr erst richtig ansteigen. Angesichts dieser Unsicherheiten geben die Menschen weniger Geld aus, damit fällt der Konsum als wichtige Konjunkturstütze weg. Je länger die Verunsicherung anhält, desto grösser die Einkommenseinbussen und Verschuldung bei Unternehmen, Haushalten und Staaten. Sollten Unternehmen ihre Kredite nicht zurückzahlen können, könnte es auch für Banken gefährlich werden. Die Chefökonomin der Weltbank Carmen Reinhart warnt sogar vor der Gefahr einer Finanzkrise. So skizziert die Kof in ihrem Negativszenario, dass es für längere Zeit oder sogar nie mehr sein könnte wie vorher. Und damit werden in gewissen Branchen Insolvenzen unvermeidbar. Die Folge: Ein langfristiger Strukturwandel. Langfristiger Wohlstandsverlust: 28 Billionen Dollar Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem enormen Wohlstandsverlust infolge der Pandemie. In fast allen Ländern sinkt die Wirtschaftsleistung in diesem und im kommenden Jahr weit unter das Niveau vor der Krise. Bloss in China wuchs die Wirtschaft zuletzt wieder. Auf 28 Billionen Dollar schätzt der IWF den Schaden durch die Corona-Krise für die Weltwirtschaft: Soviel werde insgesamt an Wirtschaftsleistung bis 2025 verloren gehen. Denn selbst wenn die Pandemie eingedämmt ist, müssen sich die Volkswirtschaften von dem tiefen Einbruch erst wieder erholen. Das Bruttoinlandsprodukt der USA werde erst 2022 wieder das Niveau von 2019 erreichen. Italien braucht bis 2025. Auch der Schweiz prognostiziert der Währungsfonds einen langfristigen Wohlstandsverlust, das BIP pro Kopf wäre demnach in fünf Jahren noch deutlich unter dem Niveau von vor der Krise. So schwierig Verlauf, Dauer und Ausmass der Pandemie derzeit einzuschätzen ist, klar ist: Wenn Covid-19 in vielen Teilen der Welt wieder steigende Infektionszahlen produziert und das Virus nicht effektiv eingedämmt wird, könnte das die Wirtschaft noch stärker bremsen. Das Gefährliche: Diese grosse Ungewissheit kann eine Abwärtsspirale in Gang setzen, welche die Wirtschaft in der Schweiz und in vielen anderen Ländern langfristig schwächt. Dann hätten wir es nicht mit einem W-, sondern mit einem L-Szenario zu tun, also einer längerfristigen Stagnation.Die Gegenposition Vor den «Roaring Twenties»: Das optimistische Szenario zur Covid-Krise