Wir Millennials erleben sie gerade zum ersten Mal: die Inflation. Doch obwohl die Preissteigerungen und die Zinspolitik der Zentralbanken in aller Munde sind, werden damit einhergehende Verteilungswirkungen wenig diskutiert.

Da wäre die Notenbankpolitik: Eine extrem lockere Geldpolitik sollte dazu dienen, Arbeitsplätze zu erhalten und Investitionen anzukurbeln. Davon haben die Arbeitnehmenden profitiert. Anderseits hat das billige Geld auch Anlagemöglichkeiten gesucht, die Nachfrage nach Wertpapieren und Immobilien ist gestiegen – und damit auch der Preis dieser Anlageklassen. Von dieser Asset-Price-Inflation profitiert, wer an der Börse investiert ist oder wer bereits eine Immobilie besitzt, typischerweise die obere Mittelschicht und die Reichen. Die anderen gehen leer aus, die Vermögensungleichheit steigt.

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Isabel Martínez arbeitet an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, ein Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit liegt auf Verteilungsfragen. Die promovierte Ökonomin gehört dem internationalen Forschungsnetzwerk des Volkswirtschaftlers Thomas Piketty an, das eine Weltungleichheitsdatenbank aufbaut: WID.world.

Der weltweite Wirtschaftsaufschwung, die weiterhin bestehenden Lieferengpässe und die fehlenden Arbeitskräfte treiben nun auch die Konsumentenpreise in die Höhe. Es zeichnet sich ab, dass das Phänomen nicht nur kurzfristiger Natur ist.

Inflation entwertet das Geld, was einerseits die Kaufkraft von Ersparnissen, Rentenguthaben und Löhnen schmälert, anderseits aber auch Schulden schmelzen lässt, denn schliesslich verliert auch ein nominell geschuldeter Betrag bei positiven Inflationsraten real jährlich an Wert. Von diesem Effekt profitieren wiederum Immobilienbesitzerinnen und -besitzer, die typischerweise eine offene Hypothekarschuld bei der Bank haben.

«Ärmere Haushalte sind stärker von Preissteigerungen betroffen: Die Ungleichheit steigt, die Armutsquote wird unterschätzt.»

Inflation hat aber noch eine weitere Verteilungswirkung, die kaum beachtet wird: Sie trifft nicht alle gleich, weil sich a) unsere mit Gütern und Dienstleistungen gefüllten Warenkörbe je nach Haushalt teils stark unterscheiden und wir somit unterschiedlich stark von Preissteigerungen betroffen sind; und weil b) nicht alle Haushalte ihren Warenkorb gleich stark an Preisänderungen anpassen können oder wollen. Dies zeigen aktuelle Forschungsarbeiten von Rahel Braun und Sarah Lein von der Uni Basel. Studien zu den USA weisen zudem darauf hin, dass ärmere Haushalte stärker von Preissteigerungen betroffen sind als reiche. Die Ungleichheit steigt und die Armutsquote wird unterschätzt.

Um diese Verteilungswirkung der Inflation zu erfassen und die Wirtschaftspolitik entsprechend auszurichten, sollten wir davon wegkommen, nur die Inflation für den Durchschnittsbürger oder die Durchschnittsbürgerin auszuweisen. Unter Berücksichtigung der Zusammensetzung des Warenkorbs je nach Einkommensklasse wäre es möglich, die Verteilungswirkung der Inflation direkt abzubilden.

Eigentlich müsste auch die SNB ein Interesse daran haben, die Inflationswirkung in den Haushalten besser zu verstehen.