Ist Europas Rezession abgesagt?

Ein Bundeskanzler hat viele Aufgaben, aber Konjunkturprognosen gehören eigentlich nicht dazu. Doch mit seiner Aussage von letzter Woche, dass Deutschland nicht in eine Rezession abgleiten werde, hat Olaf Scholz womöglich ins Schwarze getroffen. Denn es gibt erste Anzeichen dafür, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal zum Wachstum zurückfindet. Unter einer Rezession versteht man in der Regel einen Rückgang der Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandprodukt, der mindestens zwei Quartale dauert. Im dritten Quartal ist die deutsche Wirtschaft real noch 0,4 Prozent gewachsen, doch dann ging es abwärts. Schwaches Schlussquartal Die Zeichen standen auf Rezession in Deutschland und der Euro-Zone. Die hohen Energiepreise brachten die Industrie in Schwierigkeiten, die steigende Inflation raubte den Konsumentinnen und Konsumenten die Kaufkraft. Zudem sah es lange so aus, als müsse Gas und Strom rationiert werden. Die offiziellen BIP-Zahlen zum vierten Quartal liegen noch nicht vor, viele Indikatoren deuteten jedoch auf eine Kontraktion hin. So war etwa der Ifo-Index für das Geschäftsklima im Herbst auf das tiefste Niveau seit dem Corona-Schock 2020 gefallen, und der Einkaufsmanagerindex (PMI) über alle Sektoren (Composite) war deutlich unter 50 gerutscht. Werte unter 50 bedeuten, dass eine Mehrheit der befragten Unternehmen die Lage schlechter beurteilt als im Vormonat, was eine schrumpfende Aktivität signalisiert. Optimismus kehrt zurück Doch mit der Entspannung an den Energiemärkten – die Marktpreise für Strom, Gas und Öl sind zurück auf Vorkriegsniveau und die Gasspeicher gut gefüllt – blicken auch die Unternehmen optimistischer in die Zukunft. Ausserdem hat in vielen Bereichen die Inflationsdynamik nachgelassen und es gibt weniger Lieferengpässe. Das Ende der strengen Corona-Politik in China nährt zudem die Hoffnung, dass die für Europa wichtige Nachfrage aus Fernost wieder anzieht. Das spiegelt sich nun auch in den Einkaufsmanagerumfragen. In Deutschland ist der vorläufige PMI (Flash), der rund 80 Prozent der Antworten berücksichtigt, gegenüber Dezember von 49 auf 49,7 gestiegen und liegt damit nur noch marginal unter der Wachstumsgrenze. Ausschlaggebend für den Anstieg war der Dienstleistungssektor, dessen PMI mit 50,4 Punkten wieder in der Wachstumszone ist. Der Index für das verarbeitende Gewerbe liegt dagegen nach wie vor unter 50. In der Euro-Zone insgesamt ist der vorläufige PMI um 0,9 auf 50,2 gestiegen und liegt zum ersten Mal seit letztem Juni über der Wachstumsgrenze. Der Index für den Dienstleistungssektor kletterte auf 50,7, der Industrie-PMI verbesserte sich um 1 Punkt auf 48,8. Raum für höhere Leitzinsen Der Europa-Ökonom von Oxford Economics, Rory Fennessy, geht aber nichtsdestotrotz von einer Kontraktion des BIP in der Euro-Zone im vergangenen und im laufenden Quartal aus. Die Rezession werde aber milder verlaufen als bisher angenommen. Auch die Ökonomen der Commerzbank rechnen nach wie vor mit einer Rezession im Euro-Raum. Da diese aber milder verlaufen wird als erwartet, stehen weiteren signifikanten Leitzinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) nichts mehr im Wege. Am Donnerstag nächster Woche tagt die EZB zur Geldpolitik und wird voraussichtlich die Leitzinsen um einen weiteren halben Prozentpunkt anheben.