Lohnverhandlungen 2022: Mehr Lohn wegen Inflationsausgleich gefordert

Der Sommer hat gerade erst begonnen, der Herbst scheint weit entfernt. Doch das Leitthema für die Lohnverhandlungen ab September ist bereits klar: Dieses Jahr wird um einen Teuerungsausgleich gerungen. Denn die Inflation, ein fast vergessener Begriff, ist wieder Teil des Schweizer Wortschatzes geworden. Alleine im Mai stiegen die Preise gegenüber April um 2,9 Prozent. Vieles ist teurer geworden, die Löhne aber sind unverändert. Das heisst unterm Strich: Man kann sich weniger leisten. «Der Teuerungsausgleich wird flächendeckend zum Thema», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Die Lohneinbussen für die Arbeitnehmenden sind Tatsache. Sie haben in diesem Jahr weniger Geld zur Verfügung, weil die Löhne für dieses Jahr letztes Jahr verhandelt wurden.» Um 2000 Franken, schätzt der Gewerkschafter, müsse eine durchschnittliche Familie ihre Ausgaben einschränken. «Das ist viel. Die Lohneinbusse gilt es nun für 2023 auszugleichen.» Das wichtigste Argument der Gewerkschaften ist gesetzt. Weniger klar hingegen: Ob die Forderung in allen Branchen und Sektoren erfüllt wird. Die Lohnrunde könnte härter ausfallen als in anderen Jahren. «Es gibt keine Geschenke bei Lohnverhandlungen», sagt auch Lampart. Wird die Wirtschaft weiterwachsen? Denn noch ist die Schweizer Wirtschaft am Wachsen. Noch sind die Auftragsbücher der Unternehmen voll. Aber der Inflations-Cocktail, mit Zutaten wie Ukraine-Krieg, Lieferketten-Problemen und Nachwirkungen der Pandemie, schlägt auf den Magen. Und das Gegenmittel für den fiesen Drink – Zinserhöhungen, wie die Leitzinserhöhung der Schweizerischen Nationalbank – hilft nicht gegen Kopfweh: Die Wirtschaftsaussichten verdüstern sich, die Börsenkurse sind seit Monaten am Sinken. «Dieses Jahr gibt es mehr Unbekannte als in anderen Jahren», sagt Simon Wey, Chefökonom des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV). «Grundsätzlich geht es den Unternehmen in der Schweizer Wirtschaft noch gut.» Aber die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung sei, so Wey, unklar. Und volle Auftragsbücher seien nicht in jedem Fall mit guten Margen gleichzusetzen. «Manche Unternehmen stehen in einem internationalen Wettbewerb und können die höheren Kosten nicht über Preiserhöhungen weitergeben. Dies senkt die Margen und den Spielraum für Lohnerhöhungen», sagt der Vertreter der Arbeitgeber. Er glaubt, dass «Firmen, welche dazu in der Lage sind», die Löhne an die Inflation anpassen werden. «Die Teuerung ist hoch. Die Unternehmen haben ein Interesse daran, die Kaufkraft ihrer Mitarbeitenden zu erhalten.» Doch es sei auch «normal, dass die Löhne je nach Jahr mal kräftiger, mal weniger stark ansteigen». «Über die letzten zehn Jahre sind die Löhne real im Schnitt jährlich um 0,8 Prozent gestiegen. Dies gilt es zu bedenken», so Wey. Die Margen der Exporteure sind unter Druck Ähnlich tönt die Einschätzung des Direktors des Verbands der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem), Stefan Brubpacher: «Die Preissteigerungen werden die Marge de Manoeuvre bei Lohnverhandlungen verkleinern. Unsere Unternehmen stehen im internationalen Wettbewerb und können höhere Einkaufs- und Strompreise nicht voll an die Kundschaft weitergeben.» Verfängt das beim Vertreter der Arbeitnehmer? «Es ist das übliche Spiel», sagt SGB-Ökonom Daniel Lampart. «Je näher die Lohnrunden kommen, desto pessimistischer werden die Einschätzungen der Unternehmen. Tatsächlich ist die Geschäftslage der Schweizer Unternehmen grossmehrheitlich gut gemäss der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich.» Mehr zum Thema: Inflation: Die Dosis macht das Gift! KOF Consensus erwartet für 2022 höhere Inflation Gründe der relativ tiefen Inflation in der Schweiz Warum die Schweiz der Inflation standhält Schulden und Inflation: Die Schweiz macht es besser Es zeichnet sich also ein hartes Ringen ab. Viele Angestellte werden ihren Konsum einschränken müssen – darauf lässt auch eine aktuelle Umfrage der KOF schliessen: So erwarten die Unternehmen im Schnitt eine Lohnerhöhung von 1,6 Prozent in diesem Jahr. Das wäre aber viel zu tief, um die Inflation von voraussichtlich weit über 2 Prozent auf Jahressicht auszugleichen. Generelle Lohnerhöhungen feiern Comeback Besonders gute Chancen auf den vollen Teuerungsausgleich haben Angestellte aus Branchen, wo Fachkräfte fehlen, etwa der IT oder in der Energietechnik. Dass der Personalmangel als Trumpf im Spiel um höhere Löhne sticht, zeigt die erste abgeschlossene Lohnrunde: In der Gastronomie einigten sich die Sozialpartner auf einen Teuerungsausgleich sowie bis zu 40 Franken zusätzlichen Monatslohn. Unterm Strich ist klar: Die Lohnrunde wird 2022 um den Teuerungsausgleich drehen. Sie wird intensiver ausfallen als in anderen Jahren. Vielleicht wird sie sich aber auch in einem weiteren Punkt unterscheiden: In jüngster Zeit wurden immer mehr Lohnerhöhungen individuell gewährt, die Unternehmen erhöhten das Salär also nicht im gleichen Mass für alle Angestellte. Nun spricht die hohe Teuerung dafür, die Löhne wieder vermehrt generell zu erhöhen. Laut Gewerkschafter Daniel Lampart haben besonders ältere Mitarbeitende unter dem Trend zu individuellen Lohnerhöhungen gelitten. «Die Löhne der Ü50 erhöhten sich weniger stark, weil sie als weniger wechselfreudig und mobil angesehen werden als Jüngere. Dabei sind genau sie häufig die Leistungsträger in den Unternehmen. Ich höre viele Klagen von älteren Angestellten, die sich zu wenig wertgeschätzt fühlen.»

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Wie die Chancen auf mehr Lohn jetzt stehen