Regierung Truss: Von den Märkten zum U-Turn gezwungen

Der Finanzmarkt – diese Bestie aus Millionen einzelner Anlageentscheidungen – kann gnadenlos sein. Das musste in den letzten Wochen auch die britische Regierung schmerzhaft erfahren. Nachdem der unterdessen zurückgetretene Finanzminister Kwasi Kwarteng ein Wachstumsprogramm vorgestellte hatte, das Steuersenkungen und Staatshilfen vorsah, rasselten das Pfund und die Staatsanleihen in den Keller, sodass die Bank of England intervenieren und die Regierung zurückkrebsen musste. Premierministerin Liz Truss ernannte schliesslich den Pragmatiker Jeremy Hunt zum Kwarteng-Nachfolger und entschuldigte sich für ihre Fehler. Aber warum reagierten die Märkte so empfindlich auf das Fiskalpaket, das die britische Wirtschaft hätte auf mehr Wachstum trimmen sollen? Die Investoren sind doch sonst die Ersten, die über Steuersenkungen und Deregulierung jubilieren. Ein riesiger Stimulus zur falschen Zeit Das Hauptproblem an Kwartengs Plan war das Timing und die Tatsache, dass die Mehrheit der Marktteilnehmenden seine Einschätzung zum Wirken der angebotsorientierten Massnahmen nicht teilt. Als Anhänger der Theorie der Angebotspolitik glaubt Kwarteng, dass Steuersenkungen für Unternehmen die gesamtwirtschaftliche Produktion erhöhen und damit die Inflation letztlich dämpfen. Die meisten sahen im Massnahmenbündel aber nichts anderes als ein riesiges Fiskalpaket, das dazu führt, dass den Unternehmen und Haushalten mehr Geld zur Verfügung steht, und welches so die Nachfrage anheizt. Neben einem tiefen Unternehmenssteuersatz von 19 Prozent sah das Programm auch eine Senkung der Einkommensteuer vor. Mehr Hauskäuferinnen und Hauskäufer hätten von einer Befreiung der Stempelsteuer profitiert. Am meisten aber hätte die staatliche Deckelung der Energiepreise die Konsumenten und Konsumentinnen entlastet. Finanzierung durch neue Schulden Auf insgesamt fast 300 Milliarden Pfund, rund 13 Prozent des BIP, schätzen UBS-Ökonomen und -Ökonominnen die Kosten der ursprünglich vorgestellten Massnahmen über die nächsten vier Jahre. Mangels glaubwürdiger Spar- oder Einnahmepläne an anderer Stelle hätten die Massnahmen durch die Aufnahme neuer Schulden finanziert werden müssen. Eine expansive Fiskalpolitik, die die Nachfrage ankurbelt, mag in Phasen mit hoher Arbeitslosigkeit und deflationären Tendenzen gerechtfertigt sein. Im aktuellen Umfeld mit Vollbeschäftigung, extrem hoher Inflation und schwacher Währung ist solch ein Extrastimulus Gift. Auch die angebotsorientierten Reformvorschläge wären vermutlich in einem anderen Umfeld wohlwollender aufgenommen worden. Ihnen haftet ein besonderes Problem an: Das Loch in der Kasse ist sofort da, während die Früchte der Reformen unsicher und weit in der Zukunft liegen. Inflationsbekämpfung hat Vorrang Das Vereinigte Königreich weist eine der höchsten Inflationen in den Industrieländern aus. Schuld sind nicht nur die Energiepreise. Auch die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel beträgt über 6 Prozent. Darunter leidet das Pfund, das anders als der Dollar keine Fluchtwährung mit Save-Heaven-Status ist. Daraus droht eine Abwärtsspirale aus Abwertung und noch mehr Inflation. Dem versucht die Bank of England mit einer strafferen Geldpolitik entgegenzuwirken. In weniger als zwölf Monaten hat sie den Schlüsselzins von 0,1 auf 2,25 Prozent gehoben und dreht weiter an der Zinsschraube. Eine expansive Fiskalpolitik aber torpediert ihre Bemühungen, die Gesamtnachfrage ein wenig zu bremsen. Wäre Kwarteng mit seinem Programm durchgekommen, hätte die Zentralbank noch schärfer reagieren müssen. Verhängnisvolle Anlagestrategie der Pensionskassen Gemäss Experten und Expertinnen wäre im aktuellen Umfeld eine restriktive Fiskalpolitik nötig, um die Zentralbank zu entlasten. Denn die Bank of England muss aufpassen, dass sie mit zu steilen Zinserhöhungen nicht auch noch eine Immobilienkrise auslöst. Die meisten Hypotheken haben Laufzeiten zwischen zwei und fünf Jahren, und von denen müssen in den nächsten Monaten viele erneuert werden. Zum Verhängnis wurde der Budget-Rede aber auch die Anlagestrategie der britischen Pensionskassen. Sie verwalten die Gelder nach dem sogenannten Liability-Driven-Investment-Ansatz, der dafür sorgt, dass die Verpflichtungen stets erfüllt werden können. Wegen der langjährigen Tiefzinsphase waren immer riskantere Positionen nötig. Um diese mit Derivaten abzusichern, hatten sie Staatsanleihen als Sicherheit hinterlegt. Als die Kurse wegen der Budget-Rede einbrachen, wurden Nachzahlungen fällig, wofür die Pensionskassen Staatsanleihen verkauften, was den Druck auf die Kurse nochmals erhöhte. Daraufhin sah sich die Bank of England gezwungen, am Markt für Staatsanleihen notfallmässig stützend einzugreifen. Dies in einer Phase, in der sie aus geldpolitischer Sicht die Bilanz eigentlich reduzieren möchte. Nichts fürchten Anleiheinvestoren mehr als Inflation Dass die Finanzmärkte allgemein positiv auf Steuersenkungen und staatliche Mehrausgaben reagieren, stimmt ohnehin nur bedingt. Es trifft zum Teil zu, wenn es um die Börse geht und Investitionen in Unternehmen. Käufer von Staatsanleihen sind aber in erster Linie an Sicherheit interessiert. Hohes Wirtschaftswachstum ist nicht unbedingt gern gesehen, weil es in der Regel höhere Inflationsraten und steigende Zinsen nach sich zieht. Sie bevorzugen Haushaltsdisziplin und ein möglichst knappes Angebot von Anleihen. Auch das Risiko eines Zahlungsausfalls spielt bei Überlegungen zu Bond-Investments eine Rolle, vor allem bei Schwellenländern, die Schulden in fremder Währung haben. Im Falle von Grossbritannien sollte das eigentlich kein Thema sein, dennoch sind die Prämien zur Absicherung eines Ausfalls auf fast 0,5 Prozentpunkte gestiegen und damit über jene von Frankreich. Ähnliches gilt für die Währung: Gewiss macht eine gesunde Wirtschaft auch die Währung des Landes attraktiv, aber nur, solange die Inflation unter Kontrolle ist. Und genau daran zweifeln die Finanzmärkte mit Blick auf die neue Regierung in Grossbritannien.

Regierung Truss: Von den Märkten zum U-Turn gezwungen

Weshalb die britische Wachstumsoffensive nach hinten losging