Sanktionen: Was Öl-Embargo und Preisdeckel für den Preis des wichtigsten Rohstoffes bedeuten

Wer hätte das vor gut neun Monaten für möglich gehalten: Der zweitwichtigste Ölexporteur beginnt einen Krieg, der Westen reagiert vereint mit scharfen Sanktionsmassnahmen. Der Ölmarkt gerät in Panik, aber schon wenig später ist der Ölpreis wieder auf dem alten Niveau – als ob nichts gewesen wäre. Genau das ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine passiert. Als die Schocknachricht vom Krieg am 24. Februar um die Welt ging, kostete ein Fass Rohöl der Sorte Brent 90 Dollar. Nach einem Zwischenhoch von 125 Dollar liegt der Preis jetzt unter 80 Dollar. Auch die europäischen Gaspreise sind wieder etwa auf dem Niveau von Anfang Jahr. Was ist passiert? Und wie geht es weiter? Ist die Energiekrise schon vorbei, bevor sie richtig angefangen hat? Noch immer viel russisches Öl auf dem Markt Der Ölpreis wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Vor dem Ukraine-Krieg war die starke Nachfrage infolge der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Pandemie die treibende Kraft für steigende Rohölnotierungen. Seit Putins Einmarsch in die Ukraine dominieren Sorgen um das Angebot das Marktgeschehen. Denn für den Westen war nach der russischen Invasion in der Ukraine schnell klar: Der Aggressor muss wirtschaftlich isoliert werden, damit er den Krieg nicht mehr finanzieren kann. Das geht nur, wenn Europa die Energieimporte aus Russland runterfährt und anderweitig bezieht. Ein Knappheitsproblem mit einer entsprechenden Preisexplosion schien programmiert. Schliesslich ist Russland nicht bloss irgendeine kleine Rohstoffnation, sondern der drittgrösste Erdölproduzent und das Land mit den grössten Gas-Reserven. 2020 beliefen sich die Ölausfuhren auf rund 5 Millionen Fass pro Tag, rund 10 Prozent des globalen Angebots. Da die USA das meiste ihres schwarzen Golds selbst brauchen, ist nur Saudi-Arabien mit einem Exportvolumen von über 6 Millionen Fass pro Tag noch wichtiger für den Weltmarkt. Doch das russische Öl ist nicht von einem Tag auf den anderen vom Markt verschwunden. Die lokalen Energiekonzerne pumpen nach wie vor fast 10 Millionen Fass Erdöl pro Tag und verkaufen es über verschiedene Kanäle, auch nach Europa. Die EU importierte noch im Sommer rund 3 Millionen Fass Rohöl pro Tag und raffinierte Ölprodukte aus Russland.Sind Öl-Investments jetzt eine gute Idee? Die Ölbranche boomt, sie gehört zu den wenigen Gewinnern in diesem Jahr. Das hält an, bis zwei Faktoren die Party beenden. Mehr lesen Sie hier. Gemäss dem NGO-Bündnis Europe Beyond Coal haben die EU-Staaten seit Beginn des Ukraine-Kriegs 120 Milliarden Euro für Öl und Gas nach Moskau überwiesen. Was die EU weniger an russischem Öl einführte, nahmen die Türkei, Indien und China. So ist der globale Ölmarkt trotz Krieg und Sanktionen nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Geholfen hat dabei auch, dass OECD-Länder die strategischen Reserven angezapft und auf den Markt geworfen haben. Ölembargo führt zu angespannter Marktlage Doch der Härtetest steht noch bevor. Seit Montag ist die erste Stufe des Ölembargos der EU Kraft. Es darf kein russisches Erdöl mehr über den Seeweg nach Europa gelangen. Bis zum Jahresende will Deutschland auch auf russische Lieferungen über die Pipeline Druschba verzichten. Ab 5. Februar 2023 gilt der EU-Importstopp zudem auch für verarbeitete Ölprodukte wie Benzin und Diesel. Erdgas ist von den Sanktionen ausgenommen. Aber die Importeure suchen nach alternativen Anbietern, gleichzeitig schränkt der russische Konzern Gazprom die Lieferung wegen angeblicher Wartungsarbeiten ein. Daten des Brüsseler Think-Tanks Bruegel zeigen, dass die europäischen Gasimporte aus Russland seit Februar von 2500 Millionen auf 500 Millionen Kubikmeter gesunken sind. Das meiste gelangt über die Pipeline Turkstream nach Europa, während der Import über Nord Stream 1 und die Jamal-Pipeline durch Polen zum Erliegen gekommen ist. Das Importverbot wird die globale Versorgungslage anspannen, da sind sich die Expertinnen und Experten einig. Denn nun muss die EU das bislang aus Russland stammende Rohöl anderweitig beziehen. Doch kaum jemand zweifelt daran, dass die Massnahme einschneidender sein könnte als vorherige Bemühungen, Russland wirtschaftlich empfindlich zu schwächen. «Das Ölembargo zerstört Russlands Energiegeschäft nicht komplett, ist aber ein bedeutender Schritt, weil es über zwei Drittel der Ölimporte aus Russland betrifft», sagt Erica Moret, Sanktionsforscherin am Genfer Hochschulinstitut für internatioale Studien und Entwicklung (IHEID). Die Exporte haben Putins Kriegskasse in den letzten Monaten kräftig gefüllt und das wirtschaftlich geschwächte Land am Laufen gehalten. Das dürfte nun immer weniger der Fall sein. «Das Importverbot wird zu einem Rückgang der russischen Produktion führen», sagt Giovanni Staunovo, Rohstoffanalyst bei der UBS. Noch grösser dürfte der Effekt des Embargos auf verarbeitete Ölprodukte ab Februar 2023 ausfallen. Denn dafür gebe es potenziell weniger Abnehmer, weil Indien und China selber viel davon produzieren. Auch beim Rohöl stellt sich die Frage, wer künftig den russischen Output übernehmen werde. Laut Staunovo können Indien und China kaum noch mehr davon abnehmen. Mit Indien seien die Exporte an langfristige Verträge gebunden und daher limitiert, und China wolle sich nicht zu stark von einem Land abhängig machen. Russland habe die Grenze von 20 Prozent des chinesischen Importanteils bereits erreicht. Ohnehin sei aktuell der Bedarf nicht mehr so gross. «2022 ist Chinas Ölnachfrage zum ersten Mal seit 1990 gesunken», sagt Staunovo. Preisdeckel soll für genug Angebot sorgen Das in Kraft gesetzte EU-Ölembargo ist eine einschneidende Massnahme im Wirtschaftskrieg gegen Russland, aber nicht die einzige. Seit Montag gilt zudem ein Preisdeckel auf russische Ölexporte in Länder ausserhalb der EU, damit Putin nicht von den vergleichsweise hohen Preisen profitiert und dennoch genug Angebot da ist. Gemeinsam mit den G7-Ländern und Australien hat die EU eine Preisobergrenze von 60 Dollar pro Fass beschlossen. Dies hat zur Folge, dass britische und EU-Unternehmen Dienstleistungen wie Versicherungen für den Transport oder die Finanzierungen nur dann anbieten können, wenn der Preis des transportierten russischen Öls unter 60 Dollar liegt. Das würde den russischen Export per See stark beeinträchtigen, weil mehr als die Hälfte aller Tanker von europäischen Reedereien betrieben werden und fast alle Versicherer und Rückversicherer aus Europa oder den G7 sind. Laut Einschätzung vom Sanktionsexpertin Moret werden die neuen Verbote Russland hart treffen, auch wenn der Kreml versuchen werde, die Sanktionen zu umgehen. Der Kreml arbeitet offenbar schon seit langem an Schlupflöchern, um die Sanktionen zu umgehen. Gemäss Recherchen der «Financial Times» soll Russland für eine «Schattenflotte» bereits rund hundert gebrauchte Öltanker gekauft haben. Ausserdem will der Kreml die Preisobergrenze nicht akzeptieren und das Öl weiterhin nur zu Marktpreisen verkaufen. Ansonsten würde man die Produktion drosseln, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen am Samstag. «Somit droht von dieser Massnahme ebenfalls eine angebotseinschränkende Wirkung auszugehen», folgern die Rohstoffanalysten der Commerzbank. Dies gelte zumindest, wenn der Preisdeckel unter dem für russisches Öl gehandelten Marktpreis liege. Je nach Datenquelle ist das aktuell aber nicht der Fall. Russisches Urals-Öl handelt seit Kriegsausbruch zwischen 20 und 40 Dollar unter dem Brent-Fasspreis, der für den europäischen Markt massgeblich ist (siehe Grafik). Der Index von Bloomberg für Urals-Rohöl liegt zwar knapp über 60 Dollar. Daten von Argus Data und Platts zeigen aber, dass für Urals-Rohöl ab den Schwarzmeerhäfen deutlich weniger als 60 Dollar bezahlt wird. Für Staunovo von der UBS ist der Preisdeckel daher eher symbolischer Natur und ohne Wirkung. Die Ukraine fordert indes eine viel tiefere Preisobergrenze. Denn angesichts der viel tieferen Produktionskosten verdiene Russland immer noch viel zu viel am schwarzen Gold. Die EU aber kontert, man habe die Grenze bewusst so nahe am Marktpreis gesetzt, damit sich für Russland Exporte noch lohnen und es nicht zu einer Verknappung kommt. Während das Embargo tendenziell die Preise nach oben drückt, soll der Preisdeckel dem entgegenwirken. Ob die Energiepreise jetzt steigen, hängt von China ab Wie gross der Effekt insgesamt auf die Öl- und Benzinpreise sein wird, ist schwer abzuschätzen. Die Lage sei höchst kompliziert, findet auch John Plassard, Aktienstratege der Genfer Privatbank Mirabaud. Vieles hänge nun auch davon ab, ob China die Covid-Restriktionen lockert und dadurch die Nachfrage nach Öl und Benzin wieder zunimmt. Genau davon geht die UBS aus. Sie erwartet eine Erholung der chinesischen Nachfrage im nächsten Jahr. Da die Angebotssituation angespannt bleibe, geht sie von tendenziell steigenden Rohölnotierungen aus. «Es wird wohl eher wieder Richtung 110 Dollar pro Fass bei Brent-Öl gehen», vermutet Staunovo. Höhere Ölpreise wirken sich auch auf die Preise für Erdgas aus, da dieses als Substitut für Öl stärker nachgefragt wird. Am Gas wiederum hängen die europäischen Preise für Strom, weil ein Teil aus Gaskraftwerken stammt und sich die Preise am Strommarkt nach den Grenzkosten des teuersten Anbieters orientieren. Für eine Entwarnung bei der Energiekrise ist es deshalb noch zu früh. Und bei anhaltend hohen Ölpreisen wird auch die Inflation nicht so schnell zurückgehen wie erhofft. Opec schaut zu und wartet ab Das Erdölkartell Opec hätte es in der Hand, den Markt auf die eine oder andere Seite zu bewegen. Aber vorerst bleiben die Ölstaaten in der Beobachterrolle und warten ab. Obwohl der Ölpreis seit Wochen im Sinkflug ist, verzichteten die Saudis und die von Russland angeführten Verbündeten beim jüngsten Treffen am vergangenen Sonntag auf eine weitere Senkung der Förderquoten. Im Oktober hatte das Kartell die Kürzung der Förderquoten um 2 Millionen Fass pro Tag beschlossen. Effektiv umgesetzt wurde die Drosselung aber nur knapp zur Hälfte. Auch, weil Russland seine Fördermenge kurz vor dem Start des EU-Embargos nochmals kräftig angekurbelt hatte. Damit ist es nun vorbei. Das ist in diesen Tagen am Ölmarkt das Einzige, das sicher ist.

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