In den meisten Schweizer Kantonen profitieren Steuerpflichtige aufgrund der Verrechnungssteuer, wenn sie ihr Vermögen nicht vollständig deklarieren. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Universität St. Gallen (HSG), die sämtliche Kantone unter die Lupe genommen hat.

Die Studie zeige, dass die Verrechnungssteuer von 35% in den meisten Kantonen nur unvollständig greife, heisst es in der HSG-Mitteilung. Und dies, obwohl die Steuer eingeführt worden sei, um Steuerehrlichkeit herzustellen.

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Studienautor Manfred Gärtner nennt die Verrechnungssteuer denn auch «sozial nicht gerecht», weil sie die von kantonalen Steuertarifen anvisierten Umverteilungsziele unterlaufe.

Während Personen mit tiefem und mittlerem Einkommen zur vorbehaltlosen Offenlegung ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse gezwungen würden, profitierten Besserverdienende in der Regel, wenn sie ihre Finanzen hinter dem Bankgeheimnis verbergen.

Nur in fünf Kantonen «greift» die Verrechnungssteuer

Professor Gärtner hat für die Studie mit dem Titel «Bankgeheimnis und Verrechnungssteuer: Konsequenzen für die Steuerehrlichkeit in den Kantonen» sämtliche Kantone unter die Lupe genommen. Fazit: Nur gerade in fünf Kantonen sind die Steuersätze so tief, dass die Verrechnungssteuer über die ganze Bandbreite der Einkommen greift. Es handelt sich um Appenzell Innerrhoden, Nidwalden, Obwalden, Schwyz und Zug.

In den übrigen Kantonen, wo der Grenzsteuersatz mit steigendem Einkommen früher oder später die 35-Prozent-Marke übersteige, können sich bis zu 30 Prozent der verheirateten und bis zu 17 Prozent der ledigen Steuerpflichtigen finanziell besser stellen, wenn sie ihre Einkommen nicht vollständig angeben. Den höchsten Wert verzeichnet Genf.

In einem Interview, das am Samstag im «St. Galler Tagblatt» und in der «Thurgauer Zeitung» erschienen ist, sagte Manfred Gärtner, Verrechnungssteuer und Bankgeheimnis böten Gutverdienenden «ein Schlupfloch». Auf die Frage, ob bei deren Abschaffung Wohlhabende abwandern würden, antwortete er: «Diese Drohung kommt immer, wenn man Reiche aus der Watte packen will. Wenn sie ins europäische Ausland abwandern, kommen sie vom Regen in die Traufe.» Denn er bezweifle, dass alle auf den Kanalinseln oder in Monte Carlo leben wollen.

Eine Erhöhung der Verrechnungssteuer würde seiner Einschätzung nach zu mehr Gerechtigkeit führen. «Mit der Privatsphäre wäre es dann aber auch vorbei. Und dann könnten wir eigentlich gleich das Bankgeheimnis abschaffen.»

Thielemanns Aussagen waren «andere Dimensionen»

Brisant: Der frühere HSG-Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann, ein Deutscher, hatte sich mit kritischen Äusserungen zum Bankgeheimnis und zum Bankenplatz Schweiz vor Mitgliedern des Deutschen Bundestags in die Nesseln gesetzt. Thielemann verliess die HSG im Sommer 2010.

Professor Gärtner, auch er Deutscher, hat keine Angst, mit seinen Aussagen in einen Topf mit Thielemann geworfen zu werden. Thielemann habe vor dem Bundestag über Auswirkungen des Bankgeheimnisses auf das Ausland gesprochen, sagte Gärtner zur Nachrichtenagentur sda. «Das ist eine andere Dimension.» Er selber, so Gärtner, habe die Auswirkungen im Inland beleuchtet.

(vst/kgh/awp/sda)