Schweizer Arbeitsmarkt: Die Löhne steigen, aber der Wind beginnt zu drehen

Die Lohnverhandlungen fürs nächste Jahr sind im Gang. Viele Unternehmen sind zu Lohnerhöhungen bereit. Was können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Schnitt erwarten? Wir gehen davon aus, dass die Nominallöhne in der Privatwirtschaft nächstes Jahr zwischen 2,5 und 3 Prozent steigen werden. Nach Abzug der prognostizierten Inflation von gut 2 Prozent resultiert ein Reallohngewinn zwischen 0,5 und 1 Prozent. Weil aber dieses Jahr die Löhne real sinken, ergibt sich über zwei Jahre betrachtet real eine Nullrunde. In welchen Branchen steigen 2023 die Löhne besonders stark an? Die grössten Zugewinne zeichnen sich in der Branche Gastgewerbe und Beherbergung ab. Die Betriebe rechnen gemäss unseren Umfragen mit einem Lohnwachstum von fast 4 Prozent. Das liegt zum Teil am Nachholbedarf, weil in dieser Branche, die von Corona besonders stark betroffen war, in den vergangenen Jahren die Löhne wenig wuchsen und kaum Leute gebraucht wurden, was es für Arbeitnehmende schwer macht, Lohnzuwächse auszuhandeln. Jetzt aber leidet das Gastgewerbe zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf breiter Front unter Fachkräftemangel. Welche Branche fällt ab bei den Lohnerhöhungen 2023? Etwas weniger Lohnzuwachs könnte es mit rund 2 Prozent im Finanz- und Versicherungswesen geben. Dabei könnte auch die Situation bei der Grossbank Credit Suisse eine Rolle spielen. Interessant ist auch, dass in der Finanzbranche nicht nur die erwarteten Lohnsteigerungen tiefer sind, sondern auch die Inflationserwartungen. Erhöhen Grosskonzerne die Löhne stärker als kleinere Betriebe? Auf aggregierter Ebene kann man in unseren Lohnumfragen keinen statistischen Zusammenhang zwischen Firmengrösse und Lohnerhöhung erkennen. Was dafür sprechen würde: Es erscheint mir plausibel, dass gewerkschaftlich abgedeckte Bereiche in dieser Lohnrunde besser wegkommen als jene, in denen die Arbeitnehmenden individuell verhandeln müssen. Für die Einzelnen ist es schwieriger, eine Lohnerhöhung aufgrund der Teuerung auszuhandeln, als für die Gewerkschaften. Obwohl mir keine Daten hierzu bekannt sind, würde ich vermuten, dass grosse Unternehmen eher gewerkschaftlich abgedeckt sind als kleine. Es gibt aber auch Gegenbeispiele wie das Gastgewerbe, das einen allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag hat und daher sowohl grosse wie auch viele kleine Betriebe abdeckt. Ein Grund für höhere Löhne ist die angespannte Lage am Arbeitsmarkt: Es herrscht Personalmangel, und es gibt viele offene Stellen. Aber gleichzeitig verdüstert sich der Konjunkturausblick. Wie passt das zusammen? Unsere Indikatoren haben dieses Jahr Rekordstände erreicht: Noch nie war die Zahl der offenen Stellen so hoch, auch im Verhältnis zur Beschäftigung oder zu den Arbeitslosen. Doch die Spitze liegt wohl hinter uns. Die Lage scheint sich etwas zu normalisieren. Aber es ist weiterhin ein Arbeitnehmermarkt, also ein Umfeld, in dem Arbeitskräfte knapp und Arbeitnehmer bei Lohnverhandlungen im Vorteil sind. Europa droht eine Rezession, auch die Schweizer Wirtschaft kühlt sich ab. Wird die Arbeitslosenquote nächstes Jahr steigen? Wir erwarten keinen Anstieg, aber sie dürfte ab nächstem Jahr nicht mehr weiter sinken. In unserer im Herbst aktualisierten Prognose gehen wir von einem Einbruch der europäischen Wirtschaft im letzten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 aus, welcher sich mit Verzögerung von einem Quartal auch auf die Schweiz auswirken wird. Mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt ... Genau, vor allem in der exportorientierten Industrie. Tatsächlich sind die Beschäftigungserwartungen der Unternehmen in den letzten Monaten stark gesunken, und es ist denkbar, dass in der Industrie im ersten Halbjahr Stellen abgebaut werden. In den übrigen Branchen rechnen wir aber weiterhin mit einem leichten Stellenwachstum. Doch die Prognose unterliegt einer grossen Unsicherheit: Sollte es doch noch zu einer Strommangellage kommen mit Unterbrüchen und Rationierung, sähe es anders aus.

Schweizer Arbeitsmarkt: Die Löhne steigen, aber der Wind beginnt zu drehen

«Über zwei Jahre betrachtet, resultiert eine Nullrunde»

Die Lohnverhandlungen fürs nächste Jahr sind im Gang. Viele Unternehmen sind zu Lohnerhöhungen bereit. Was können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Schnitt erwarten?