Sinkende Preise für Mehrfamilienhäuser: Kippt jetzt der Immobilienmarkt? Die wichtigsten Antworten

Dreissig Jahre lang entwickelten sich die Schweizer Immobilienpreise fast ununterbrochen in eine Richtung: nach oben. Es war eine Rally, die jetzt vorbei ist. Der Anstieg der Zinsen hat dem Boom ein Ende gesetzt. Deutlich wird das bei den Mehrfamilienhäusern: Renditeimmobilien wechseln inzwischen zu tieferen Preisen die Hand, mehrere Indizes sprechen hier eine klare Sprache. Laut dem Immobilienberatungsunternehmen Wüest Partner sanken die Preise im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 3,5 Prozent; im Jahresvergleich betrug der Rückgang 1,3 Prozent. Fahrländer Partner gibt den Rückgang mit 6,4 beziehungsweise 12,1 Prozent an. Nun stellen sich verschiedene Fragen. Die drängendste ist sicherlich: Sind die sinkenden Preise Vorboten für einen Crash? Inhalt Direkt zu Kapiteln springen: Droht ein Crash? Wieso sinken die Preise nicht stark, wenn die Zinsen steigen? Sollten nicht auch Eigentumswohnungen günstiger werden? Geraten Pensionskassen jetzt ins Strudeln? Stockt nun der Wohnungsbau? Droht ein Crash? Die kurze Antwort gleich zuerst: Ein steiler, rascher Rückgang der Preise – sprich ein Crash – ist ist aus Sicht vieler Expertinnen und Experten nicht wahrscheinlich. Zwar dürften die Preise für Mehrfamilienhäuser im Jahresverlauf weiter leicht sinken. Dramatische Wertverluste sind aber nicht zu erwarten, so der Tenor einer Umfrage von Fahrländer Partner bei Hunderten von Branchenkennern. Wohneigentum könnte sogar noch teurer werden. In der gleichen Umfrage sagte über ein Drittel aller Teilnehmer eine Verteuerung von Einfamilienhäusern (EFH) voraus. Weitere gut 50 Prozent tippten auf stabile EFH-Preise, der Rest – gut 12 Prozent – rechnete mit einem Rückgang. Bei den Eigentumswohnungen prognostiziert die grosse Mehrheit ebenfalls stabile oder steigende Preise. Wieso brechen die Preise nicht ein, wenn die Zinsen steigen? Die Expertinnen und Experten zeichnen mit ihren Prognosen kein dramatisches Bild, und das mag überraschen, weil der Anstieg der Zinsen laut Lehrbuch für fallende Bewertungen sprechen sollte. Aber sowohl bei den Wohnimmobilien als auch bei Renditeimmobilien sind Faktoren im Spiel, die diesen Treiber Zinsanstieg dämpfen – etwa die grosse Nachfrage und die Aussicht auf steigende Mieten. Werfen wir zuerst den Blick auf den Eigenheimmarkt. Zwar ist die Finanzierung des Hauskaufs mit der Hypothek teurer geworden. Aber gerade ein Saron-Kredit mit schwankendem Zinssatz ist mit aktuell gut zwei Prozent immer noch relativ günstig zu haben im Vergleich etwa mit den 1980er-Jahren. Die Nachfrage nach Einfamilienhäusern ist immer noch viel grösser als das Angebot: Es entstehen zu wenig neue Objekte, und es gibt zahlreiche Menschen, die sich die teuren Preise leisten können. Und wer abseits der Zentren sucht, findet ziemlich preiswerte Häuser. Schliesslich: Wirtschaft und Bevölkerung – über die Zuwanderung – wachsen. Beides befeuert die Nachfrage. Bei den Mehrfamilienhäusern vermindert die Erwartung auf steigende Mieten den Preisrückgang. Für die vermieteten Wohnungen dürfen die Immobilienbesitzer bald mehr verlangen, weil der Hypothekarische Referenzzinssatz steigt und sie auch einen Teil der Teuerung geltend machen können. Nach Schätzung der Zürcher Kantonalbank dürften viele der sogenannten Bestandesmieten deshalb in den nächsten fünf Jahren um bis zu 17 Prozent zulegen. Und im freien Markt? Hier verteuern sich die Mieten schon seit Längerem, weil immer weniger freie Wohnungen auf dem Markt sind und sich die Zuwanderung erhöht. Die Angst vor einer Wohnungsnot geht um – Mehrfamilienhausbesitzer können von der Knappheit profitieren.Sollten nicht auch Eigentumswohnungen günstiger werden? Auf den ersten Blick sollten Eigentumswohnungen günstiger werden, wenn die Preise für Mietwohnungen sinken. Schliesslich könnten Investorinnen sich die Preisdifferenz zunutze machen und Mietwohnungen im Stockwerkeigentum verkaufen. Doch so einfach fällt die Rechnung nicht aus, wie Immobilienexperte Robert Weinert erklärt. «Der Markt für Mietwohnungen und jener für Stockwerkeigentum sind nur lose verbunden. Mietwohnungen lassen sich nur selten einfach in Eigentumswohnungen umwandeln. So weisen Eigentumswohnungen beispielsweise meistens einen höheren Ausbaustandard und eine grössere Fläche aus als Mietwohnungen.»Geraten Pensionskassen jetzt ins Trudeln? Die Pensionskassen sind Schwergewichte auf dem Wohnungsmarkt: Ihnen gehört ein schöner Teil der Mehrfamilienhäuser. Rund einen Fünftel ihrer Vorsorgegelder haben sie gemäss Wüest Partner in Immobilien investiert. In diesem Betonvermögen schlummert ein Risiko, schliesslich könnten manche Institute in die Unterdeckung geraten, wenn der Wert der Gebäude stark sinken würde. Im schlimmsten Fall wäre eine Sanierung die Folge. Versicherte solcher Kassen müssten Rentenkürzungen hinnehmen. Mehrere Faktoren mildern dieses Risiko: So kaufen die Pensionskassen die Liegenschaften meist mit dem eigenen Geld, sie müssen also keine – nun steigende – Zinsen auf Fremdkapital bezahlen. Weiter profitierten die Pensionskassen in den letzten Jahrzehnten von traumhaften Wertsteigerungen, seit 1972 haben sich die Preise der Liegenschaften mehr als verfünffacht laut Wüest Partner. Diese Buchgewinne würden jetzt halt etwas kleiner, sagt Stefan Fahrländer von Fahrländer Partner. Die aktuelle Baisse sei für die meisten Institute kein Problem – zumal die Pensionskassen die Gebäude in ihrer Bilanz nur zurückhaltend bewertet hätten. «Allfällige Wertverluste sollten verkraftbar sein», sagt auch Robert Weinert von Wüest Partner. Gleichzeitig steigen nun die Mieteinnahmen. Dieser stetig sprudelnde Geldstrom ist für Pensionskassen besonders attraktiv, weil sie damit ihre Renten zahlen können. Insgesamt scheint der Zinsanstieg das Interesse der Pensionskassen an Immobilien jedenfalls nicht gross zu schmälern: In einer Umfrage von Wüest Partner letzten Sommer wollte die grosse Mehrheit der Pensionskassen das Immobilienengagement stabil halten oder gar ausbauen.Stockt nun der Wohnungsbau? Der Schweiz droht eine Wohnungsnot – in diesem Text war schon einmal die Rede davon. Denn die Bevölkerung wächst, und immer mehr Menschen leben alleine. Gleichzeitig wird immer weniger neu gebaut. Verschärft sich nun dieses Problem, wenn der Wert von Mehrfamilienhäusern sinkt? Die überraschende Antwort lautet: Nicht unbedingt. Sinkt der Wert von Immobilien, fällt auch der Preis für den Boden darunter. Und in der dicht besiedelten Schweiz ist das Terrain der wertvollste Bestandteil am ganzen Objekt. «Falls die Bodenpreise in einer Region sinken, wäre das auch eine gute Botschaft für den Wohnungsbau. Die Bautätigkeit könnte deswegen steigen, auch weil jetzt die Aussicht auf stabile Mieteinnahmen intakt ist», sagt Immobilienexperte Robert Weinert. Weinert wie auch Stefan Fahrländer sehen Vorteile im Ende des Immobilienbooms. «Die Preise waren total überhitzt. Jetzt kehren auf dem Markt wieder normale Verhältnisse ein, in denen die Immobilieninvestitionen zurückhaltend kalkuliert werden müssen», sagt Stefan Fahrländer.