Es ist pure Euphorie, die an der Deutschen Börse derzeit herrscht: Der Dax klettert und klettert. Am Mittwochmorgen durchbrach der Aktienindex der grössten deutschen Unternehmen am Mittwochmorgen die Schallmauer von 18'000 Punkten. Donnnerstag folge der nächste Rekord mit 18'039 Punkten, am Freitag legte der Dax eine kleine Verschnaufpause ein und schloss leicht unter 18'000 Punkten. 

Auf den ersten Blick verwundert diese Rekordjagd beim Dax, denn der Wirtschaft in Deutschland geht es aktuell nicht sehr gut: Die Konsumentenstimmung ist mit –29,6 Punkten im Februar so tief wie schon lange nicht mehr und auch die Arbeitslosenquote stieg in unserem Nachbarland von Januar auf Februar um 6,1 Prozent.

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Warum geht es Deutschland wirtschaftlich nicht gut?

«Die deutsche Wirtschaft ist in eine Rezession geraten», sagt Sergio Rossi, Professor für Makroökonomie und Geldpolitik an der Universität Freiburg. Die deutsche Wirtschaft schrumpft. Im vergangenen Jahr sank das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent. In der Schweiz stieg das BIP im gleichen Zeitraum um 1,3 Prozent.

Grund dafür ist eine Verkettung von Ereignissen seit Corona: Nach dem Virus kämpfte Deutschland mit steigenden Preisen wegen des Krieges in der Ukraine. Viele Güter, die Deutschland importiert, wurden schlagartig teurer. Zudem erhöhte die Europäische Zentralbank schrittweise den Leitzins, der heute bei 4,5 Prozent liegt. Das hat Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise und den Immobilienmarkt. Nicht zuletzt steigt der Druck auf die Konsumenten, vieles wird teurer und viele deutsche Unternehmen schnallten in den vergangenen Monaten den Gürtel enger. Es kam zu Massenentlassungen.

«Die Finanzmärkte reagieren in der Regel gegensätzlich zu der sogenannten Realwirtschaft», sagt Sergio Rossi, Professor für Makroökonomie und Geldpolitik an der Universität Fribourg.

«Die Finanzmärkte reagieren in der Regel gegensätzlich zu der sogenannten Realwirtschaft», sagt Sergio Rossi, Professor für Makroökonomie und Geldpolitik an der Universität Fribourg.

Quelle: Maurizio Solari/Université de Fribourg

Gleichzeitig ist der DAX auf einem Höhenflug, wie geht das?

«Die Finanzmärkte reagieren in der Regel gegensätzlich zu der sogenannten Realwirtschaft», sagt Rossi. Geht es einem Land wirtschaftlich nicht gut, kann es zu einem Anstieg an der Börse kommen. Denn dann sehen einige Akteure an der Börse Potenzial für grosse Gewinne: Mehr Dividende. Sie kaufen zu.

Zusätzlich treibt die Hoffnung auf sinkende Zinsen alle Märkte. Das Kapital würde wieder günstiger werden, die Kaufkraft wieder steigen und damit auch die Gewinnausschüttungen. Die US-Indizes wie der Dow Jones, der Tech-Index Nasdaq oder der S&P 500 kratzen zeitweise an Rekordständen.

Aber wieso performt der DAX besser als der SMI?

Seit Jahresanfang hat der DAX die Nase vorn. Der Aktienindex der 40 grössten deutschen Unternehmen legte in den letzten drei Monaten rund 8 Prozent zu. Der Aktienindex der 20 grössten Schweizer Unternehmen, der SMI, verzeichnete in der gleichen Zeitspanne ein Plus von rund 4,5 Prozent.

An der Schweizer Börse sind Schwergewichte wie Nestlé, Roche und Novartis kotiert. Diese Unternehmen sind weniger zinsabhängig als andere. Der DAX hingegen ist ein Performance-Index– das heisst, er berücksichtigt die Dividenden. Das kann sich im Laufe der Zeit anhäufen.

Es muss aber nicht sein, dass es jetzt so weitergeht, sagt Rossi. Wenn an der Deutschen Börse wegen der schlechten Wirtschaftslage massiv verkauft wird, könnte sich das Blatt wieder wenden.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der kriselnden Wirtschaft Deutschlands und dem DAX-Höhenflug?

Ja. «Verschiedene Finanzinstitute kaufen Aktien und Anteile von Unternehmen, wenn diese einen Stellenabbau ankündigen, weil sie davon ausgehen, dass dies den Gesamtgewinn steigert», so Rossi. Aber auch Unternehmen, die aus finanziellen Gründen ihre eigenen Aktien zurückkaufen, erhöhen kurzfristig ihr Vermögen – und damit steigen auch die Börsenkurse. «Die Aktienkurse sind also stark an die Leistung der jeweiligen Unternehmen gekoppelt.»

Olivia Ruffiner
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