Zölle von 39 Prozent auf Importe aus der Schweiz in die USA: Das war die schlimmstmögliche Überraschung, die uns Donald Trump zum Geburtstag der Schweiz am 1. August hätte bescheren können. Auch nach dem Wochenende sitzt der Schock in der Schweiz noch tief. Gleichzeitig treibt die Debatte dazu hierzulande seltsame Blüten.

Ins Schussfeld der Kritik ist unsere Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter geraten. Im Telefon, das sie noch am 30. Juli mit dem US-Präsidenten geführt hat, hätte sie schlecht verhandelt und Trump wie eine Oberlehrerin behandelt, wird etwa moniert. Für ein früheres Telefon mit Trump im April nach dem sogenannten «Liberation Day» wurde sie noch gefeiert. Einige meinten, ihrem Draht zum US-Präsidenten sei es zu verdanken gewesen, dass er gegenüber der Schweiz damals die anfänglich angedrohten 31 Prozent Zölle nicht angewandt hatte.

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Das Vorgehen von Karin Keller-Sutter war vorbildlich

Die damalige Berichterstattung und Erwartung dürfte jetzt der Bundespräsidentin zum Nachteil gereichen. Trump hat die weltweit angedrohten Höchstsätze damals nicht wegen Keller-Sutter ausgesetzt, sondern weil Entwicklungen an den Kapital- und Währungsmärkten einen Vertrauensverlust in den Dollar und in die US-Staatsanleihen und eine Finanzkrise befürchten liessen. Ein Zoll von 10 Prozent und eine Reihe weiterer länder- und sektorspezifischer höherer Sätze blieb auch damals bestehen.

Dank der Vorstellung, wir hätten einen besonderen Draht zu Donald Trump hat sich die Erwartung festgesetzt, wir Schweizer würden ohne grösseren Schaden davon kommen und bestimmt nicht schlechter als etwa die EU mit ihrem 15 Prozent-Aufschlag vor kurzem. Mit anderen Worten: Wir haben unterschätzt, wer Donald Trump ist und unseren eigenen Einfluss und Stand in der Weltpolitik überschätzt.

An dem Telefonat von Karin Keller-Sutter am Donnerstag war nichts falsch. Der Versuch war lobenswert und nötig angesichts des Anstehenden. Und alles, was sie gemäss verschiedenen Quellen gesagt hat, war richtig. Dass Trump ihre Argumente nicht goutiert oder verstanden hat, ist nicht ihr Fehler. Argumente für einen fairen und auf Regeln basierenden Freihandel zum Beispiel bleiben richtig -- die USA haben von der darauf basierenden Weltordnung nicht nur selbst profitiert, sie haben diese Ordnung erschaffen.

Und es ist auch wahr, dass es für die hohen Zölle keine vernünftige Grundlage gibt. Das von Trump wiederholt vorgebrachte Argument, Importüberschüsse der USA gegenüber einem Land wie der Schweiz seien ein Verlust für die Grossmacht und die USA werde dadurch betrogen, ist kompletter Unsinn. Mehr dazu hier

Kein Grund zur Selbstzerfleischung

Auch dass Trumps Sicht auf die Überschüsse der Schweiz nur den Güterhandel berücksichtigt, ist absurd. Bei den Dienstleistungen haben die USA gegenüber der Schweiz einen Überschuss. In der Trumpschen Logik werden wir also bei den Dienstleistungen von den Amerikanern betrogen, weil wir mehr iPhones und Leistungen der US-IT-Konzerne kaufen, als die Amerikaner Smartphones und IT-Leistungen aus der Schweiz. Der Vergleich zeigt die Absurdität dieser Argumentation.

Das Drama, das uns, der Weltwirtschaft und den Amerikanern droht, ist nicht die Folge von politischen Fehlern der Schweizer Politik, es gibt keinen Grund, uns hier selbst zu zerfleischen. Im Gegenteil, wir sollten uns angesichts des Wahns zusammenraufen. Schuld sind Entwicklungen, die Donald Trump an die Macht gebracht haben und die ihm die Macht geben, seine widersinnige, schädliche und wirre Handelspolitik durchzusetzen.

Auch einige Vorschläge, wie wir sie als Lösung bereits diskutieren, zeugen von der Widersinnigkeit der Situation. Das Paradebeispiel dafür sind die Goldexporte in die USA, die unsere Überschüsse statistisch aufblähen, aber mit unserer Wertschöpfung wenig zu tun haben. Die eigentlichen Lieferanten des Goldes sind etwa die Briten, das Gold wird bei uns nur umgegossen. Dennoch überlegen wir hier bereits, diesen Goldhandel zu unterbinden. Anders gesagt: Weil Trump die Statistik nicht versteht oder verstehen will, basteln wir an Anpassungen unserer Handelsströme.

Widersinnige «Handelsabkommen»

Widersinnig ist auch die Reaktion anderer Länder auf Trump. Die sogenannten bisher abgeschlossenen Abkommen etwa von Japan, Vietnam oder der EU zeugen noch von einer unglaublichen Nachgiebigkeit gegenüber dem US-Präsidenten. Trump führt diese Länder wie seine Beute vor. Sie hätten sich zu Zahlungen an die USA und Käufen aus den USA im Umfang von mehreren hundert Milliarden Dollar verpflichtet, um sich damit tiefere Zölle zu kaufen, so interpretieren die Amerikaner die Deals, die bisher noch nicht mehr als Absichtserklärungen sind.

Diese Zusagen sind teilweise wirtschaftlich unsinnig oder faktisch gar nicht umsetzbar. Trump hat diesen Ländern dennoch höhere Zölle auferlegt, als sie zuvor galten. Er, der behauptet, dass die USA von anderen ausgebeutet werden, beutet ohne Skrupel die militärischen, politischen und ideologischen Verbündeten der USA aus und lässt sie wie Idioten dastehen, die sich vor ihm in den Sand werfen.

Es gibt viele und gute Gründe zur Empörung. Doch Empörung bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns mit der realen Welt abfinden und dafür Strategien entwickeln und uns nicht von Phantastereien leiten lassen. Forderungen wie jene aus Teilen der Linken, dass wir uns wirtschaftlich subito von den USA abwenden sollen, gehören in diese Kategorie. Absatzmärkte und Wertschöpfungsketten können nicht über Nacht neu gebildet werden. Das wäre alleine angesichts der anhaltenden Unsicherheit noch nicht einmal empfehlenswert.

Die USA sind nicht Trump

Ohnehin sollten wir die Amerikaner nicht mit Trump gleichsetzen und nicht vergessen, dass es auch sie sind, die Opfer der Politik ihres Präsidenten sein werden: Sie werden höhere Preise zu berappen haben, ihre Auswahlmöglichkeiten werden eingeschränkt und die Eingriffe ihres Präsidenten in die Wirtschaft bedeuten, dass politisches Wohlverhalten und Mauscheleien auf Kosten von Wettbewerbs- und Innovationsgeist gehen. Wo unsere Unternehmen gute geschäftliche Beziehungen zu amerikanischen unterhalten, ist es umso wichtiger, diesen Beziehungen Sorge zu tragen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen zu suchen.

Für die Politik bleibt es ebenfalls wichtig und richtig, den Kontakt zur US-Regierung nicht abzubrechen und auch weiterhin unseren Standpunkt zu vertreten, alleine schon, weil wir die wirtschaftliche Logik und das Recht auf unserer Seite haben. Dass Trump seine Forderungen wieder mässigt, bleibt zudem ebenfalls möglich. Dafür aber auf Erpressungen einzugehen, sich demütigen zu lassen oder das Blaue vom Himmel zu versprechen, empfiehlt sich dagegen nicht. Denn Trump lernt daraus nur, dass er bei nächster Gelegenheit noch mehr herauspressen kann. Von Vereinbarungen, Zusagen und Regeln hat er sich bisher nie aufhalten lassen.

Wieder auf unsere Stärken besinnen

Am wichtigsten aber ist, dass wir uns in der Schweiz wieder auf unsere Stärken, auf die Bedeutung unseres wirtschaftlichen Potenzials und auf unsere Innovationskraft besinnen. Das schafft unseren Wohlstand.

Der CEO von MPS Micro Precision Systems brachte in einem Interview mit der Sonntagszeitung mit folgenden Worten auf den Punkt, worauf es auch in einer Zeit der Machtpolitik ankommt: «Das Erfolgsrezept heisst Ideen vor Stärke». Wir müssten uns eben jetzt einfach anstrengen, hat er ergänzt. Weitere Beispiele dafür sind Schweizer KMU, die in der Handelszeitung jüngst berichtet haben, wie sie mit dem für sie extrem herausfordernden Umfeld umgehen.

Das Bewusstsein für die Voraussetzungen unseres Wohlstands ist uns in jüngster Zeit etwas abhandengekommen. Angesichts der neuen Herausforderung ist ein Ruck durch die Gesellschaft jetzt erst recht nötig, um unseren Unternehmen den Weg von Hindernissen, unnötigen Kosten und Regulierungen freizuschaufeln, damit sie im jetzt noch garstigeren Umfeld dennoch gedeihen können – und damit wir als Wirtschaftsstandort.