Ausatmen. Vor allem das soll man tun, wenn man ein Arket-Geschäft betritt. Und dann soll man ankommen, den Ehemann, die Kinder, das iPhone und vor allem sich selbst wieder aufladen. Arket, das ist ein neues Geschäftsmodell der H&M-Gruppe, das Ende August in der Londoner Regent Street zum ersten Mal seine Türen öffnete und parallel seinen Onlinehandel in 18 Ländern startete. Neben der Stammmarke und den Labels & Other Stories, Cheap Monday, COS, Monki und Weekday, ist es das siebte Konzept, das der schwedischen Konzern vorstellt, er beschreibt es als «modernen Marktplatz für Frauen, Männer und Kinder».

Ausser Kleidung wird es auch Produkte fürs Heim, Spielzeug und Lebensmittel sowie ein Café geben. Der Name lässt rein phonetisch bereits eine Assoziation mit Markt zu, bedeutet übersetzt aber schlicht «Blatt Papier».

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Alles unter einem Dach vereint

Im übertragenen Sinn wird die Marke als ein solches verstanden. Als ein Neuanfang, der dort ansetzt, wo die anderen Konzepte aufhören. Zumindest im mittleren Preissegment ist das Vorbild der exklusiven Conceptstores wie Dover Street Market, Uzwei in Hamburg oder The Store vom Soho House noch nicht angekommen – also das Prinzip, viele unterschiedliche Marken, Produkte und Dienstleistungen unter einem Dach zu vereinen.

Auch wenn man auf Anhieb meinen möchte, dass mit den übrigen sechs Marken wirklich jede erdenkliche Zielgruppe abgedeckt sein könnte – von Cool Kids, über Normcore-Anhänger, Schnäppchenjäger, Familien, Individualisten und Nadelstreifenträger – so ist man in der Stockholmer Zentrale davon überzeugt, dass es einen Bedarf gibt für einen neuen Ansatz, der sich vor allem durch die angesagten Codes Nachhaltigkeit und Entschleunigung auszeichnet. Von wo sonst sollte eine solche Idee kommen, wenn nicht aus einer Stadt, die den Titel «European Green Capital» trägt, in der die Busse mit Biogas fahren und in der sich die Bewohner ihren Lachs für das Abendessen aus sauberen Kanälen fangen.

Reaktion auf ein Bedürfnis

Doch es sei weniger eine Idee, mit der man eine neue Zielgruppe verführen wolle, als eine Reaktion auf ein Bedürfnis – ja, eine Forderung des modernen Kunden, der keine Lust mehr habe auf trendgetriebenes Einkaufen, eiliges Konsumieren und in Verruf geratene Fast Fashion. «Der stationäre Handel muss sich wandeln», sagt Ulrika Bernhardtz, die Kreativchefin der Marke, die seit Januar 2015 an dem Konzept tüftelt. «Wir müssen überlegen, wie der Store von morgen aussehen könnte. Warum geht man noch in ein Geschäft, wenn man alles auch online kaufen kann?» Die Kunden hätten heute weniger Zeit: «Und für die, die zum Shoppen bleibt, braucht es ein Erlebnis, etwas Schönes.»

Mit einem sorgfältig zusammengestellten Sortiment will man die Klientel überzeugen. Aus jeder Kategorie des Lebens will man ein perfektes Produkt anbieten – vom Olivenöl bis zur Unterhose. Auch an den Onlinefiltern wurde gefeilt, sodass es einfacher sei, das zu finden, wonach man sucht.

Code aus mehreren Ziffern

Jedes Produkt hat einen Code, der sich aus mehreren Ziffern zusammensetzt: Die ID ist nach den Abteilungen aufgeschlüsselt – ein Damenpullover aus recyceltem Kaschmir etwa ist unter der Nummer 222045-087R zu finden. Dabei steht «2» für Damen, «22» für die Kategorie Strick, «045» für das Produkt, «087» für das Material, in diesem Fall Kaschmir, und «R» für recycelt. Wenn man den Code im Onlineshop eingibt, dann findet man das Produkt und solche, die dazu passen. Fraglich ist nur, wie man sich als Nichtinsider solche Codes überhaupt merken soll?

Viele sogenannte Key Products soll es länger geben als nur eine Saison, man strebe ein deutlich langsameres Tempo an. «Wir müssen mehr Zeit in die Entwicklung von wirklich guten Dingen stecken. Weniger Auswahl ist am Ende mehr», so Bernhardtz. «Und wir fragten uns: Wieso sind simple, gut gemachte Dinge oft so wahnsinnig teuer? Wir glauben, mit unserem Wissen und der Struktur der Firma werden wir in der Lage sein, selbst hochwertige Produkte herzustellen.» Zu günstigeren Preisen als üblich, versteht sich.

Das Wichtigste aber sei, ein Produkt zu entwickeln, das qualitativ und vom Design her mehr als eine Saison überdauere und vor allem, dass es interessant bleibe. Gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit ist es besonders schlimm, wenn das Produkt keiner kauft. Denn es muss ja am Ende der Saison Ware entsorgt werden.

Klassiker neu inspiriert

Man schaute sich also in Archiven um, suchte nach den Klassikern, die zu allen Zeiten gefragt sind: ein Trenchcoat zum Beispiel, ein Armeemantel, eine gute Jeans, das perfekte weiße T-Shirt. «Es ging uns aber nicht darum, eine Kopie von einer Kopie herzustellen – die Vintage-Stücke waren immer nur Ausgangspunkt für neue Designs», sagt Bernhardtz. Viele der Damenteile seien ursprünglich Männerteile, die neu interpretiert wurden. Indem man andere Materialien verwendete oder feminine Elemente wie Plissee, Raffungen oder Spitze addierte.

In anderen Kategorien schien es unsinnig, etwas Neues aus einem Produkt zu machen. Wie ein Paar Converse Chucks etwa, Steiff-Kuscheltiere oder die Pfeffermühle von Peugeot. Insgesamt 50 Fremdmarken habe man deshalb ins Sortiment integriert, die meisten in Homewear, Accessoires, Schreibwaren und Spielzeug. In der Zukunft soll es weitere Kooperationen geben.

Zusammenarbeit spiele aber vor allem hinter den Kulissen eine Rolle. «Wir glauben, dass unsere Kunden unsere Produkte lieben, länger tragen und immer wieder auf sie zurückgreifen werden», so Bernhardtz. Aber Nachhaltigkeit setze schon davor ein: Materialien würden recycelt, Abfall aus den Produktionen wiederverwendet, neue Techniken und Textilien mit den Zulieferern entwickelt. «Und wir müssen darüber nachdenken, wie wir dem Kunden mehr Transparenz bieten können.» Ein erster Schritt ist getan: Ein jedes Arket-Produkt gibt Auskunft darüber, in welcher Fabrik es hergestellt wurde.

Wettertauglich und praktisch

80 Prozent werden in Asien produziert, 20 Prozent in Europa. Auch das Design sei international, skandinavisch sei einzig die Idee von Funktion, alles soll wettertauglich und praktisch sein. Der «casual friday» ist der neue Alltag. Darauf setzen die Schweden mit ihrer «everyday uniform» und dem unkomplizierten Stil. «Der Typ Kunde, den wir ansprechen wollen, hat oft Kinder. Aber eben keine Nannys. Und die Kinder müssen sich ebenfalls willkommen fühlen», erklärt die Kreativdirektorin.

Preislich bewege man sich oberhalb von H&M-Preisen, ein Herrenhemd kann zwischen 39 Euro und 119 Euro kosten – dann sei es aber aus schwerem Flanellstoff. Das könnte auch den Deutschen, die allgemein Wert auf Qualität und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis legen, durchaus gefallen. Schon bisher ist Deutschland für die H&M-Gruppe der stärkste Markt.

Aber gefällt es auch den sogenannten Millennials? Der heranwachsenden Zielgruppe, die sich von niemandem vorschreiben lassen will, was sie kaufen oder mögen soll? Die Preise und Qualitäten online vergleicht? «Mein Mann ist 50, unser Sohn ist 17, beide werden etwas bei Arket finden», schätzt Frau Bernhardtz. Man fokussiere sich nicht auf ein bestimmtes Alter. Wer weiss denn schon, wohin die Millennials zum Beispiel sich entwickeln. «Das Einzige, das wir wissen, ist, dass wir uns auf wirklich gute Produkte konzentrieren müssen.»

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