Im Sommer wird Tamar Hächler (28) ihren Bachelor of Arts in Design in der Tasche haben. Nach sechs Semestern an der Zürcher Hochschule der Künste, wo sie sich aktuell noch im Bereich audiovisuelle Medien ausbildet, wird sie demnächst den freien Markt der Kreativwirtschaft betreten. Etwas, das Tamar – Freunde nennen sie Tamy – keine Angst macht. Immerhin konnte sie schon während des Studiums Praktika als Online-Redaktorin beim jungen Kulturradio Virus und im Marketing des Social-TV-Senders Joiz absolvieren. Daneben stand sie hinter der Bar des ehemaligen Rockmusik-Clubs Abart und ist regelmässig in Sachen Produktion, Administration und Konzeption bei der Filmproduktionsfirma Signorellfilms im Einsatz: «Wer wirklich will, findet in Zürich einen Job», ist die junge Frau überzeugt.

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Zürich ist trendbewusster als andere Schweizer Städte in den Gebieten Mode, Medien und Musik. Im Laufe der Jahre sei in diesen Bereichen eine Szene entstanden, die ebenso faszinierend wie überblickbar sei, sagt Tamy, die vor acht Jahren aus der Agglomerationsgemeinde Effretikon zugezogen ist: «Zürich ist eine einzigartige City.»

Die Statements der jungen Zürcherin dürften Corine Mauch freuen. Immerhin wird die Zürcher Stadtpräsidentin nicht müde, sich für die Belange der Kreativwirtschaft einzusetzen. Ein Bereich, der wachsen sollte, nicht zuletzt auch, um das Serbeln der Bankenlandschaft zu kompensieren. Beim Städte-Ranking 2013, das für BILANZ zum fünften Mal vom Beratungsunternehmen Wüest & Partner erhoben wird, hat Mauch sogar gleich mehrfachen Grund zur Freude: Ihre Stadt gewinnt nicht nur im Gesamtranking aller Städte, sondern auch in der neu eingeführten Zielgruppe der «First Movers», der 20- bis 29-Jährigen. Mauch weiss, was eine Schweizer City bieten muss, um junge Leute, die von zu Hause ausziehen, happy zu machen: «Dazu braucht eine Stadt gute Ausbildungsstätten wie Universitäten, Fachhochschulen und Unternehmen, die spannende Lehrstellen anbieten. Ferner einen Arbeitsmarkt mit interessanten Jobs, ein ausgebautes Kinderbetreuungsangebot für junge Familien und ein breites und qualitativ hochstehendes Kultur- und Freizeitangebot.» Die Stadtpräsidentin gibt sich punkto Twen-Appeal selbstbewusst: «Zürich verfügt über all dies, und wir investieren kontinuierlich in diese Qualitäten.»

Tamar Hächler findet das nachvollziehbar: «Kommt in etwa hin, was Frau Mauch sagt», meint die Jung-Zürcherin, die an ihrer Stadt «den Dorfcharakter der Quartiere und das Nebeneinander von Grünflächen und geballter Urbanität im Westen der Stadt» schätzt. Zu verbessern gäbe es aber schon noch einiges, findet die Bachelor-Studentin: «Bei den Themen günstiger Wohnraum und städtische Kulturunterstützung könnte mehr gehen.» Und manchmal wiehere der Amtsschimmel zu laut: «Die Behörden könnten unkomplizierter sein und mehr Lebensfreude zulassen. Kaum stellt sich ein Musiker an einer Strasse auf, werden Beschwerden laut oder taucht die Polizei in kürzester Zeit auf.» Aber im Gesamturteil überwiegt das Positive klar: «Wer will, findet in Zürich jeden Tag etwas Neues und Spannendes – eine facettenreiche Stadt, die mich immer wieder aufs Neue überrascht.»

Stabile Spitze. Hinter Zürich – 2013 City-Leader im Haupttableau sowie bei den Zielgruppen Familien und First Movers – haben sich die Nummern zwei bis fünf des Vorjahres behaupten können im aktuellen Städte-Ranking der BILANZ. Zug, Bern, Luzern und Winterthur sind neben der grössten Schweizer Stadt sichere Werte punkto urbaner Lebensqualität hierzulande. Diesjähriger Aufsteiger in den Top Ten ist Basel, wo man bezüglich Kaufkraft zulegen und so in einem der harten Kriterien stärker punkten konnte. Als Absteiger des Jahres sticht das aargauische Spreitenbach ins Auge, das um 26 Ränge auf Position 101 zurückfiel. Auffällig war hier ein Rückschritt im Kriterium Arbeitsmarkt, was gemäss Wüest-&-Partner-Consultant Isabel Häberling «auf die aktuelle Arbeitslosenquote, die Anzahl der Vollzeitäquivalente und die Erreichbarkeit dieser Vollzeitstellen per öV und Individualverkehr» zurückzuführen ist.

Was die Zürcherin Tamar Hächler moniert – die städtische Zurückhaltung bei der Unterstützung alternativer Kulturformen und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum –, ist auch in Luzern ein Thema: «Die Stadt sollte sich auf kultureller Ebene nicht nur auf Prestigeobjekte wie das KKL und den zur Diskussion stehenden Neubau des Luzerner Theaters konzentrieren», sagt Janina Fazekas (30). Zahlbarer Wohn- und Arbeitsraum fürs kreative Milieu sei ebenfalls ein Thema. Aber ansonsten ist die Quartierarbeiterin äusserst zufrieden mit Luzern: Übersichtlichkeit, verkehrstechnische Erschliessung, kurze Wege aufs Land und in die Berge, kulturelles und gastronomisches Angebot – alles top in der Leuchtenstadt. Ihr Lebenspartner Michael Kunz (35) ergänzt: «Luzern hat sich in den letzten Jahren punkto Urbanität stark entwickelt und konnte sich trotzdem das Ländliche bewahren.» Kunz ist Marketingleiter einer Softwarefirma und kommt beruflich in der ganzen Schweiz herum. Aus Luzern möchte er nicht weg.

Fazekas und Kunz gehören zur Kategorie der «City-Dinks» («double income, no kids»), 30- bis 40-jährige Doppelverdiener ohne Kinder, die der Sturm-und-Drang-Phase schon etwas entwachsen sind. Auch diese Kategorie wurde 2013 erstmals für das Städte-Ranking der BILANZ separat erhoben; die Zentralschweizer Metropole ging dabei als Siegerin hervor. «Luzern», sagt Isabel Häberling von Wüest & Partner, «punktet stark mit dem zweiten Rang beim Kriterium Arbeitsmarkt, rangiert in zehn der elf Themen besser als der Durchschnitt und hat auch beim Thema Bevölkerung und Wohnen aufgeholt.»

Luzern holt auf. Was Janina Fazekas und Michael Kunz an ihrer Stadt schätzen, deckt sich in hohem Masse mit den Lebensqualitätsvorstellungen von Stefan Roth, der seit letztem September Stadtpräsident von Luzern ist: «Ein vielfältiges Wohnangebot, Naherholungsgebiete, attraktive Quartiere und ein innovatives, breites Kulturleben.» Wie die Zürcher Stadtpräsidentin geht auch ihr Luzerner Kollege Stefan Roth selbstbewusst zur Sache. «Die Luzerner», sagt er, «mögen lange als verschlafen und genügsam gegolten haben, aber hier hat die Stadt stark aufgeholt. Sympathisch waren wir schon immer.»

Im Gegensatz zu Zürich, das sich oft schwertut, grosse Projekte wie ein Kongresszentrum oder ein neues Fussballstadion politisch durchzubringen, geht das in Luzern erfolgreicher: «Ich weiss, dass uns Frau Mauch darum ein wenig beneidet», sagt CVP-Mitglied Roth. Die Luzerner hätten einen guten Zugang zur politischen Arbeit der Exekutive. So etwa stimmte die dortige Stadtbevölkerung den Projekten Fussballarena, Ausbau Bahninfrastruktur und Messeplatz auf Anhieb zu. Worum Roth Corine Mauch beneidet: «Zürich hat punkto Finanzkraft und Stadtentwicklung ganz andere Möglichkeiten als wir. Man kann dort Brachen für die Kreativwirtschaft nutzbar machen, Neues neben Altem entstehen lassen, und man hat generell mehr Raum für Wohnen, Wirtschaft sowie Wissen.»

Auch wenn sich gegenüber 2009, als Wüest & Partner erstmals für BILANZ ein Schweizer Städte-Ranking erhob, einiges bei den Kriterien und Erhebungsmethoden verändert hat, so fällt doch auf, dass Zürich, Zug und Luzern schon damals in den Top Five standen. Im Fünf-Jahres-Vergleich zeigt sich zudem die Urbanisierung des Landes. Rechnete man 2009 gesamtschweizerisch noch mit 129 Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern, so sind es 2013 schon 143. Exakt gezählt wären es aktuell sogar deren 144; Glarus Nord figuriert aufgrund seiner ländlichen Prägung aber nicht in der Städteliste der BILANZ.

Karriere-Städte. Was weiter auffällt: Genfer Satellitenstädte wie Chêne-Bougeries, Thônex und Onex – 2009 noch auf den Plätzen 96, 114 und 126 klassiert – haben Städtekarriere gemacht. Alle drei verbesserten sich auch von 2012 auf 2013 noch einmal im zweistelligen Bereich und rangieren nun auf den Positionen 63 (Chêne-Bougeries), 96 (Thônex) und 98 (Onex). «Diese Gemeinden sind steuerlich attraktiver geworden oder haben sich mindestens gut gehalten», erklärt Isabel Häberling, «und sie profitieren von grundsätzlichen Verhältnisverschiebungen.» Wenn einige Städte in ihrer Entwicklung stehen bleiben, andere sich aber in einzelnen Themen auch nur geringfügig verbessern, wirkt sich das rasch im urbanen Beauty Contest aus.

Definitiv aus dem Mittelmass konnte sich Bern befreien. Die Bundesstadt hat seit 2009 einen grossen Sprung gemacht. Das Kleinräumige von Bern, der gut ausgebaute öffentliche Verkehr und die stärkere Gewichtung der Erreichbarkeit, kombiniert mit dem ab 2011 neuen Kriterium der Einkaufsinfrastruktur, haben die Mutzen von Rang 43 (2009) auf 3 (2012) gehievt, eine Position, welche die Stadt dieses Jahr halten konnte.

Wenig Veränderung gab es 2013 am Schluss der Rangliste. Steffisburg BE und Le Locle NE haben die Plätze getauscht. Die Gemeinde Val-de-Travers bleibt auf dem letzten Platz. Steffisburg, Le Locle, Val-de-Travers sind schöne Gemeinden. Aber es mangelt bei den harten Kriterien: «Mittel- und langfristig müssten es diese Gemeinden schaffen, Unternehmen anzusiedeln, Jobs zu schaffen oder eine bessere Verkehrsanbindung zu erhalten», sagt Patrick Schnorf, Immobilienexperte bei Wüest & Partner (siehe Interview).

Am Thema der besseren Mobilität werde gearbeitet, versichert Jean-Nat Karakash, verantwortlicher Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen in Val-de-Travers. Zwar schickte der Kanton Neuenburg letztes Jahr an der Urne eine Mobilitätsvorlage bachab. Trotzdem müsse und werde sich etwas tun, so Karakash: «Die Ablehnung des Transrun, einer schnellen Bahnverbindung zwischen Neuenburg und La Chaux-de-Fonds, stellt den ganzen Kanton Neuenburg vor Schwierigkeiten bezüglich der Anschlüsse ans schweizerische und europäische Schienennetz. Im Val-de-Travers, das mit dem Transrun nicht direkt erschlossen worden wäre, wollen wir nun die regionalen Bahn- und Zugverbindungen weiter verbessern.» Auch auf der Steuerseite sei etwas geschehen: «Unser Ziel ist es, mehr Leute nach Val-de-Travers zu locken. Seit 2009 haben wir die Gemeindesteuern um sieben Prozent gesenkt, auch der Kanton verfolgt eine Tiefsteuerpolitik.» Sehr dynamisch habe sich das bisher nicht ausgewirkt, sagt Karakash: «Die Bevölkerung hat letztes Jahr bei 11 000 Einwohnern um bloss 20 Personen zugenommen. Unser Ziel ist es, dass die Einwohnerzahl jährlich um ein Prozent wächst. Heute bremsen uns die fehlenden Wohnungen. Doch die Situation wird sich ändern. In den kommenden Jahren sollen mehrere grössere Immobilienprojekte realisiert werden.»

Mehr Arbeitsplätze. Optimismus verbreitet der Wirtschafts- und Finanzpolitiker auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation: «Heute finden sich im Val-de-Travers 5000 Arbeitsplätze. Das sind 500 mehr als noch vor vier Jahren. Es wird künftig mehr Pendler geben, die ins Val-de-Travers zur Arbeit kommen, als Einwohner, die auswärtig arbeiten.»

Wie sich das im Beauty Contest der Schweizer Städte auswirkt, werden die nächsten Rankings zeigen. Vielleicht wird sich bis dann auch in Luzern eine Änderung ergeben haben. «Ich kann mir vorstellen, später eine Familie zu gründen», sagt Janina Fazekas. In ihrem Fall würde aber nicht der für viele Schweizer Jungeltern typische Auszug aus der City folgen, sagt die Luzernerin bestimmt: «Ich würde unbedingt in der Stadt wohnen bleiben, da ich glaube, dass die Infrastruktur bezüglich externer Kinderbetreuung in einer Gemeinde auf dem Land draussen eher schlechter ist als in der Stadt.»

Andreas Güntert
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