Zurückhaltend abseits des Scheinwerferlichts steht Jörg Reinhardt am liebsten. Das wird ihm bei Novartis kaum gelingen. Mit seiner Wahl zum neuen Präsidenten des Basler Pharmakonzerns wartet schwere Aufräumarbeit auf den 56-Jährigen. Vom Präsidenten und einstigen Konzernchef Daniel Vasella bei der Wahl des Nachfolgers auf dem Chefsessel 2010 übergangen, wanderte er enttäuscht zum Bayer-Konzern ab. Nun hat er als neuer Chefaufseher die Chance, einen Strich unter Abfindungen und Abzockergetöse zu ziehen (siehe auch Artikel «Geben und nehmen»). Reinhardt sei bei all seinem bescheidenen Auftreten ein tougher Manager, sagen Vertraute. Nun muss sich zeigen, ob der neue Präsident auch für einen echten Neuanfang der Novartis-Kultur hart genug ist.

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Immerhin war Reinhardt fast sein Berufsleben lang Teil des Novartis-Zirkels, seit seinem Start 1981 bei Sandoz – heute Generikatochter des Konzerns. «Für mich ist er ein exzellenter Soldat, der jetzt die Chance hat, bei Novartis mit Vasellas Geschichte aufzuräumen und das Unternehmen umzukrempeln», sagt ein enger Konzernkenner, der das Management von nah kennt. Immerhin scheut Reinhardt keinen Konflikt, auch bei Bayer entmachtete er Manager. Und für Novartis plant er bereits: etwa enger verbundene Sparten, was Vasella stets blockierte.

Die Gefährten

Jörg Reinhardt verliess Novartis im Unfrieden. Doch enge Bande sind dem deutschen Manager dank seiner besonnenen Art in der Schweiz geblieben. Novartis-Pharmachef David Epstein ist er seit Jahren verbunden. Die beiden Pharmakologen verstehen einander beim Gedankenaustausch über die Medikamentenforschung. Schon bei der Generikatochter Sandoz trafen sie zusammen – Reinhardts erster Karrierestation. Nah ist der Rückkehrer auch Thomas Wellauer, der heute das operative Geschäft der Swiss Re leitet. Der einstige Novartis-Topmanager hatte den Konzern mit dem Abgang von Reinhardt ebenfalls verlassen. In den neunziger Jahren hatten beide Effizienzprogramme für Sandoz entwickelt. Raymund Breu, einst Novartis-CFO und ebenfalls aus der Sandoz-Truppe, setzte früh Hoffnung in den damals noch jungen Reinhardt. Als der die Führung der Impfstoffsparte bei Novartis übernahm, merkte Breu an, Reinhardt stehe nun im Rampenlicht für das General Management. Heute kontrolliert Breu Swiss Re und Nobel Biocare. In der Schweizer Industrie steht auch Lonza-Präsident Rolf Soiron an Reinhardts Seite. Gegen den Widerstand des Novartis-Rivalen Roche verteidigt Soiron dessen Posten als Verwaltungsrat von Lonza, den Reinhardt behalten will. Auch im Aufsichtsgremium von Novartis hat er Vertraute. Eigentümervertreter Pierre Landolt zählt dazu und Vizepräsident Ulrich Lehner. Beide halten auf Reinhardt grosse Stücke und wollten ihn zurück.

Die Gegenspieler

Ein Telefonat spricht Bände. «Ich fragte ihn, ob er noch schlechte Gefühle mir gegenüber hätte», sagte Novartis-Präsident Daniel Vasella über seinen Anruf bei Reinhardt mit dem Ziel, ihn zum Nachfolger zu machen. «Da schwieg er zunächst – was auch eine Antwort war.» Reinhardts Schmach war gross. 2008 hatte ihn Vasella auf den eigens kreierten Posten des COO gehoben, dann liess er ihn fallen. Statt Reinhardt übernahm Joe Jimenez 2010 das Amt des Konzernchefs von Vasella. Reinhardt ging frustriert zu Bayer. Ob Reinhardt Jimenez wieder vertrauen kann, wird sich zeigen. Immerhin hat auch Reinhardt andere verdrängt. Etwa Thomas Ebeling, heute Chef von ProSiebenSat.1, der sich als Kronprinz bei Novartis sah, als Reinhardt COO wurde. Beide waren sich schon zuvor nie grün. Genauso bremste Reinhardts damaliger Aufstieg auch Novartis’ Impfstoffchef Andrin Oswald. Er steht derzeit durch interne Kritik unter Druck, weil die Impfstoffsparte zu schwach ist. Auch als neuer Chef der HealthCare-Sparte von Bayer machte sich Reinhardt Feinde: Mit seiner Ankunft 2010 wurde die Rolle von Bayers Pharmachef Andreas Fibig gestutzt. Er musste fortan an Reinhardt berichten.

Die Pharma-Connection

In der Branche hat sich Reinhardt mit seiner Fachkenntnis einen Namen gemacht. Sein engster Vertrauter in der Medizinentwicklung ist der Arzt und Novartis-Forschungschef Mark Fishman. Genauso tauschte sich Reinhardt stets gern mit Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel aus, der seit 1999 im Novartis-VR sitzt und bis 2008 an der Zürcher Universität als Professor das Institut für experimentelle Immunologie leitete. Andreas Rummelt begleitete Reinhardt lange in seiner Zeit bei Sandoz. Der CEO von InterPharmaLink in Basel ist Reinhardt ein fundierter Berater. MorphoSys-CEO Simon Moroney schwärmte von seinem einstigen Kontrolleur Reinhardt in höchsten Tönen.

Die Karriere

Der Abschied schmerzt Marijn Dekkers. Bayers Verwaltungsratspräsident lobte den scheidenden Reinhardt über alles. Tatsächlich hat er Bayers Pharmapipeline als Chef von HealthCare seit 2010 kräftig aufgefüllt und der Sparte einen Schub gegeben. Richtig heimisch habe er sich aber nie gefühlt, zu wenig Einfluss auf den Bayer-Konzern habe es für Reinhardt gegeben, sagen Vertraute. Er ist es gewohnt, stetig aufzusteigen und die Geschicke der Unternehmen mitzusteuern. Nach dem Studium der Pharmazie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und der Promotion startete Reinhardt 1982 bei Sandoz und stieg unter Sandoz-Patriarch Marc Moret, der 2006 verstarb, in Forschung und Entwicklung auf, bis er 1994 Entwicklungschef der Sandoz Pharma AG wurde, die mit Ciba-Geigy zu Novartis fusionierte. Wichtiger Wegbereiter war ihm bei Sandoz der einstige Forschungsleiter Manfred Karobath. Reinhardt wechselte zu Novartis, wo er zum Jahrtausendwechsel Forschungschef wurde und dann das Impfgeschäft aufbaute und führte. 2008 ernannte Präsident und CEO Daniel Vasella ihn zum Novartis-COO, doch die höheren Weihen des Chefpostens blieben ihm noch versagt.

Die Familie

Die Nähe der Schweiz spürt Jörg Reinhardt seit Jahren. Südlich von Freiburg lebt er mit seiner Ehefrau Sigrid in Ehrenkirchen. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern geniesst das Familienleben. Zumal auch zu Hause der fachliche Austausch kaum zu kurz kommen kann. Sigrid Reinhardt kann mitreden, sie ist Pharmazeutin und führt in Bad Krozingen nahe dem eigenen Wohnort die Paracelsus Apotheke. So es sich die beiden zeitlich erlauben können, gehen sie gern in die Natur – zur Freude ihres Jack-Russell-Terriers – oder reisen gleich ins Tessiner Ferienhaus und spazieren entlang des Lago Maggiore. Vermisst Reinhardt doch einmal die Turbulenz des Geschäftslebens, setzt er sich gern ans Steuer schneller Autos.