Der Schweizer Industrieverband hat zu einer Diskussionsrunde in Zürich geladen. Josef Ackermann sitzt auf dem Podium. Immer wieder fährt er einer Mitdiskutantin ungeduldig und heftig ins Wort. Als der eben erst angeheuerte Sprecher seinem Chef hinterher empfiehlt, seine intellektuelle Überlegenheit weniger deutlich zu zeigen, lässt sich der Chef der Deutschen Bank auf eine Diskussion ein. Dabei kommt heraus: «Die Argumentation der Frau hat ihn gelangweilt. Mit Langeweile kann er schlecht umgehen. Dann lassen Konzentration und Disziplin nach – und er macht Fehler.»

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So schildert Stefan Baron, bis vor wenigen Monaten Konzernsprecher der Deutschen Bank und einer der engsten Vertrauten Ackermanns, seine erste Auseinandersetzung mit Ackermann. Dem ehemaligen Chefredaktor der «Wirtschaftswoche» ist – trotz der bisweilen fehlenden Distanz – ein bemerkenswertes Buch gelungen über den wichtigsten Banker Deutschlands, einen der einflussreichsten der Welt. Zugleich liest sich das heute vorgestellte «Späte Reue» wie ein Krimi über die schwerste Finanzkrise seit den 1930er Jahren – bildhaft beschrieben von einem Insider. Doch die skizzierte Läuterung Ackermanns vom Saulus zum Paulus nimmt der Leser dem Autor an vielen Stellen des Buches nicht ab.

Ackermann – ein Tyrann?

Das liegt nicht nur daran, dass die nicht autorisierte Biografie nur wenige Wochen nach dem tragischen Freitod von Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier erscheint. Unweigerlich sucht der Leser bei der Lektüre Antworten auf die Frage: Wie dominant übte Ackermann seine Chefrolle aus? War er ein Tyrann gegenüber seinen Mitarbeitern? Schliesslich thematisierte Wauthier in einem Abschiedsbrief explizit sein Verhältnis zu Ackermann, der kurz nach dessen Suizid als Präsident der Zurich zurücktrat.

Und tatsächlich beschreibt Baron Ackermanns Führungsstil in einigen Passagen mit schmerzhafter Klarheit: «Aussenstehende erleben den intellektuell hochmütigen, den extrem fordernden, verschlossenen, abweisenden, ja kalten Josef Ackermann nur selten. Er weiss, dass ihm diese Seite bei anderen keine Sympathiepunkte einbringt», schreibt er.

«So manche persönliche Verletzung»

Bei der Deutschen Bank lässt sich Ackermann jeden Tag gegen 16 Uhr die wichtigsten aktuellen Kennziffern aus den einzelnen Geschäftsbereichen liefern. Entdeckt er eine Schwachstelle, greift er sofort zum Telefon, um direkt und notfalls auch hart gegenzusteuern, schreibt Baron. Zwar werde der Überbringer schlechter Nachrichten «nicht erschossen, aber gegrillt: Er muss die Gründe dafür plausibel machen können und tunlichst auch schon Lösungen parat haben, wie sich solche Nachrichten in Zukunft vermeiden lassen.»

Und: «Mit tödlicher Sicherheit» entdeckt Ackermann selbst die kleinsten Schwachstellen in einer Argumentation und dringt so lange auf Verbesserung, bis er alles perfekt findet. Das sind freilich Sätze, die nach dem Tod Wauthiers eine noch viel drastischere Tonalität bekommen. So beschreibt Baron auch, dass die zehnjährige Führung Ackermanns mit nahezu demselben Team «so manche persönliche Verletzung hinterliess.»

Unter Ackermann steigt die Deutsche Bank zum Global Player auf

Doch ohne diesen ausgeprägten Ehrgeiz Ackermanns stünde die Deutsche Bank heute wohl nicht als globaler Player da. Bereits drei Jahre nach seinem Amtsantritt steuert die Investmentabteilung 70 Prozent der Erträge bei. Der Löwenanteil davon stammt aus dem Wertpapierhandel. «Das zuvor international als behäbig und altmodisch betrachtete grösste deutsche Geldhaus wächst zu einer führenden Investmentbank angelsächsischer Prägung heran», schreibt Baron.

Genau dieser Kulturwandel führt jedoch dazu, dass die Deutschen mit Ackermann nie richtig warm werden. In der kleinen Schweiz ist man stolz auf die grossen Banken, doch «die Deutsche Bank ist den Deutschen fremd geworden». Im Gegensatz zu anderen globalen Unternehmen wie Siemens oder Mercedes ist der Kern der Deutschen Bank ins Ausland abgewandert: nach London und New York. «Dort ist die Küche, in Deutschland steht nur noch eine Theke.» Und diese Entfremdung macht die Menschen zwischen Flensburg und Konstanz besonders kritisch gegenüber der Bank, die den Namen ihres Landes trägt.

Chef und Mitarbeiter entfremden sich

Innerhalb des Instituts entfremden sich Chef und Mitarbeiter ebenfalls zunehmend. Wegen der ab 2007 einsetzenden Finanzkrise ist Ackermann ständig unterwegs – er jagt von einem Krisengipfel zum nächsten. Seine Meinung als Insider ist bei der deutschen Bundeskanzlerin und im Finanzministerium ebenso gefragt wie beim Internationalen Währungsfonds in Washington. «Manchmal weiss ich, wenn ich morgens im Hotel aufwache, nicht mehr, wo ich gerade bin», bekennt Ackermann einmal.

Das Buch ist am besten dort, wo Baron die Irrungen und Wirrungen der Finanzkrise beschreibt. Die aufreibenden Verhandlungen, die strategischen Scharmützel zwischen Politikern und Bankern. Bildhaft wie kaum ein Werk zuvor macht Barons Buch klar: Das globale Finanzsystem stand 2008 kurz vor dem Kollaps. Und Ackermann ist mittendrin: In der Krise «wird der Deutsche-Bank-Chef endgültig zum Grenzgänger zwischen Wirtschaft und Politik». Der Mann, der seinen Posten als Banker angetreten und in der Finanzkrise immer mehr politische Verantwortung übernommen hatte, entwickelt sich in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit im Kampf um die Rettung Griechenlands und des Euro immer mehr zum Staatsmann.

Ackermann hadert mit seiner Branche

Und er wird nachdenklicher, hadert mit seiner Branche: Wegen der moralischen Verfehlungen, der Gier nach immer mehr Rendite. Wiederholt zitiert Baron aus Reden Ackermanns, etwa von der Hauptversammlung der Bank 2007: «Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf der Bank aufs Spiel zu setzen.» Doch die Worte folgen unter dem Eindruck der Korruptionsaffäre bei Siemens. Oft wirkt Ackermann wie ein Getriebener, der lediglich auf bedrohliche Umstände von Aussen reagiert – und nicht wie einer, der sich aus sich selbst heraus wandelt.

Stutzig macht in diesem Zusammenhang eine Begebenheit in Südkorea, die Baron «als entscheidenden Schub in diesem Bewusstwerdungsprozess» Ackermanns beschreibt. Auf einem G20-Gipfel im November 2010 sitzt Ackermann beim Dinner am Haupttisch, als sich die Nachricht verbreitet, die Börse des Landes sei in den letzten Minuten des Handels abgestürzt. «Grund: ein Derivate-Geschäft der Deutschen Bank.» Ackermann sieht sich von seinen eigenen Leuten vor aller Welt blossgestellt, schreibt Baron.

«Better be lucky than smart»

Wusste der Chef der Deutschen Bank über zwei Jahre nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers wirklich nicht, dass sein Institut noch immer mit diesen Instrumenten operiert? Wo er doch immer perfekt informiert war – und selbst als Derivate-Spezialist aus der Schweiz nach Deutschland kam? Bisweilen wirkt Ackermann tatsächlich wie einer, der die Geister nicht mehr los wird, die er selbst rief. Da passt auch ein Motto Ackermanns, das er Journalisten in einer verschwiegenen Runde einmal offenbarte: «Better be lucky than smart.»

Die Reputation von Bankern hat in den vergangenen fünf Jahren stärker gelitten als die jedes anderen Berufsstandes. Man kann Ackermann die Entwicklung zum geläuterten und moralischeren Manager abnehmen. Gleichzeitig steht jedoch die Frage im Raum: Was tut ein cleverer Bankchef, wenn er von der Gesellschaft wegen seiner Geschäfte als Zocker beschimpft und sein Arbeitsplatz als Kasino verunglimpft wird? Antwort: Wohl so ziemlich alles, um dieses Image loszuwerden – egal, ob er sich innerlich wandelt oder nicht.  

25 Prozent Renditeziel bleibt unangetastet

Es passt ins Bild, dass die Deutsche Bank aus den umstrittenen Geschäften mit Agrarrohstoffen unter Ackermann erst Anfang 2012 ausstieg – nachdem der öffentliche Druck bereits so gross war, dass der Ruf nachhaltig zu leiden drohte. Das berüchtigte Renditeziel von 25 Prozent aufs eingesetzte Eigenkapital – das die Bank im Jahr 2006 mit 33 Prozent deutlich übertraf – gab Ackermann in seiner Amtszeit nicht mehr auf. Erst die neue Führung verabschiedete sich vor einem Jahr von dieser Massgabe.

Die Reue des Josef Ackermann kommt extrem spät. Noch heute – und wohl über Jahre hinaus – ist der neue Vorstand der Deutsche Bank in rechtliche Streitigkeiten verwickelt, die ihre Ursprünge in der Zeit Ackermanns haben. Er selbst muss der Münchner Staatsanwaltschaft im Zuge der seit zwei Jahren andauernden Ermittlungen im Fall Kirch wegen Prozessbetrugs noch Rede und Antwort stehen. Im schlimmsten Fall droht ihm womöglich eine Aklage wegen Meineids. Von Ackermanns nebulöser Rolle im Fall Wauthier ganz zu schweigen.

«Späte Reue. Josef Ackermann – eine Nahaufnahme.» Econ Verlag 2013. 304 Seiten.