Ein Haifischbecken war die City of London schon immer. Menschen, die oft kränkeln, haben im Finanzzentrum der britischen Hauptstadt seit jeher einen schweren Stand. Doch mittlerweile weht der Wind dort so stark, dass auch abgebrühte Banker zunehmend darunter leiden - körperlich wie seelisch. Ständige Angst um den Job, brutaler Erfolgsdruck, steigende Arbeitsbelastung, das schlechte Image, hohes Selbstmordrisiko - für viele ist der Beruf vor allem Quelle von immensem Stress.

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«Das Problem hat seit der Finanzkrise eine neue Dimension», sagt Jagdev Kenth, Risikoexperte beim Finanzberater Willis Towers Watson. Einst waren City-Banker angesehene Mitglieder der Gesellschaft, die viel Geld verdienten und lebenslange Karrieren vor sich hatten. Heute sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung in erster Linie Übriggebliebene einer skandalgebeutelten Branche, die nach Gier-Exzessen und kriminellen Eskapaden am Abgrund stand und Milliarden an Steuergeldern verschlang. «Diejenigen, die immer noch einen Job haben, werden verteufelt», konstatiert Kenth. «Die meisten hatten nichts zu tun mit den Skandalen. Sie arbeiten länger, sie machen zwei bis drei Jobs auf einmal - und das unter grösserem Druck. So geht das nicht weiter.»

72 Prozent denken über Jobwechseln nach

Ist das nur Jammern von Topverdienern auf hohem Niveau? Oder sehen viele Banker wirklich eine Schmerzgrenze erreicht? Umfragen sprechen eine klare Sprache. Laut einer Erhebung der Gewerkschaft Unite klagen fast drei Viertel der Bankbeschäftigten über Stress im Beruf. Dieser führe zu Angstattacken, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Depressionen. Rund zwei Drittel der Befragten - zum grossen Teil Mitarbeiter der Branchengrössen Lloyds, Royal Bank of Scotland, HSBC und TSB - nannten eine höhere Arbeitsbelastung als Grund. 72 Prozent gaben an, über einen Jobwechsel nachzudenken. «Stress bei der Arbeit ist ein sehr ernstes und ein zunehmendes Problem», sagt Unite-Vertreter Dominic Hook.

Nicht nur überforderte Filialangestellte und bonusversessene Investmentbanker müssen dem Tribut zollen, sondern auch Top-Manager. Für Aufsehen sorgte etwa 2011 der Fall von Lloyds-Chef Antonio Horta-Osorio, der sich wegen Schlafentzug und Erschöpfungszuständen eine zweimonatige Auszeit nahm. Zwei Jahre später war es der Barclays -Spitzenbanker Hector Sants, der nach Stresssymptomen die Notbremse zog.

Höhere Selbstmordrate

In der Finanzbranche sind die Risiken offenbar besonders hoch. Für die Beschäftigten ist die Gefahr stressbedingter Erkrankungen um 44 Prozent höher als in den anderen Wirtschaftszweigen in Grossbritannien, wie Statistiken zeigen. Daher nehmen Finanzunternehmen auch mehr Geld in die Hand, um sich gegen krankheitsbedingte Ausfälle zu versichern. Der Versicherungskonzern MetLife stellt eine steigende Nachfrage nach entsprechenden Produkten fest. Diese würden in Grossbritannien von 12 bis 13 Prozent der Unternehmen genutzt, erläutert MetLife-Experte Tom Gaynor. «Im Banksektor liegt diese Zahl nahe 100 Prozent.»

Einen weiteren Beleg für die Stressrisiken der Banker liefert die Selbstmordstatistik. Demnach lag die Suizidrate in der City in den vergangenen Jahren stets höher als in allen anderen Londoner Bezirken.

Yoga für Händler

Was tun die Banken gegen diesen Trend - ausser Versicherungen gegen Geschäftsausfälle abzuschliessen? Dem britischen Branchenverband zufolge hat der Schutz des physischen und psychischen Wohlbefindens der Beschäftigen «Top-Priorität». Zur Vorsorge gibt es in den Geldhäusern unter anderem spezielle Berater, Erste-Hilfe-Kurse für seelische Krisen und Yoga-Sitzungen für Börsenhändler. Die Banken kümmerten sich um das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter in einem Masse, wie es vor zehn Jahren noch nicht üblich gewesen sei, sagt Paul Barrett von der gemeinnützigen Hilfsorganisation Bank Workers Charity.

Doch ob dies ausreicht, um das Klima in der City nachhaltig zu verbessern, ist fraglich. «Die Leute fühlen sich überfordert von dem gewaltigen Wandel in diesem Geschäft und in ihren Karrieren», sagt der Psychiater Paul McLaren. Die krisengebeutelten Banken haben in den vergangenen Jahren Zehntausende von Arbeitsplätzen abgebaut. Sollte sich die Weltwirtschaft weiter eintrüben, droht die nächste Entlassungswelle. Das könnte den Stress noch erhöhen. «Das Problem ist, dass wir in einer Branche arbeiten, in der immer nur gekürzt wird», sagt ein arbeitsuchender Banker, der in seiner langjährigen Karriere bereits mehrere Male entlassen wurde. Seinen Namen will er nicht öffentlich machen - aus Angst vor negativen Konsequenzen.

(reuters/cfr/chb)