Ob Zahnputzbecher oder Gummistiefel: In der Kinderkrippe «Villa Tortuga» in Baden ist alles bunt, klein und steht hübsch aufgereiht in einem Regal. Bunt sind auch die Plastikkugeln im Bällebad, in dem jeden Tag 34 Kinder toben können – sofern sie nicht zu klein sind, denn in der Villa Tortuga werden Kinder bereits ab drei Monaten betreut, bis zum Kindergartenalter.

Auf den ersten Blick wirkt die Einrichtung wie eine ganz normale Kindertagesstätte. Es gibt jedoch eine Besonderheit: Die Eltern der Kinder arbeiten allesamt beim Energie- und Automatisierungstechnikanbieter ABB. Die Kinderkrippe ist eine von insgesamt 17 unternehmenseigenen Betreuungsangeboten, die sich meist in unmittelbarer Nähe zu den ABB-Standorten in der Schweiz befinden. Die Eltern bringen ihre Kinder morgens vor der Arbeit in die Kinderkrippe, legen die Meter zum nahe gelegenen Büro zurück und holen die Kleinen nach Feierabend wieder ab.

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Vorreiter ABB

ABB gilt hierzulande als herausragendes Beispiel für betriebliche Kinderbetreuung. Das Unternehmen – damals noch unter dem Namen BBC aktiv – eröffnete schon im Jahr 1966 die erste betriebseigene Kinderkrippe in Baden. «Hintergrund war die zunehmende Zahl italienischer Gastarbeiter, die in die Schweiz und auch zu ABB kamen», sagt Jeannette Good, Geschäftsführerin des Vereins ABB Kinderkrippen. «In der Regel wollten beide Elternteile arbeiten gehen», sagt Good. Das Unternehmen habe Verantwortung übernehmen und die Mitarbeiter entlasten wollen – und deshalb die erste firmeneigene Kinderkrippe gegründet.

Seit 1996 ist ABB Kinderkrippen ein eigenständiger Verein. Seitdem können auch externe Firmen als Vereinsmitglieder Betreuungsplätze für Mitarbeiterkinder buchen. Mitglieder bei ABB Kinderkrippen sind unter anderem die Grossbank Credit Suisse, der Industriekonzern Alstom und der Zementhersteller Holcim. Lange Zeit spielte das Thema betriebliche Kinderbetreuung fast keine Rolle in Schweizer Unternehmen, firmeneigene Krippen wie bei ABB waren die Ausnahme. Noch im Jahr 2007 zitierte die deutsche Tageszeitung «Die Welt» Astrid van der Haegen, Gründerin des Netzwerks «Wirtschaftsfrauen Schweiz», mit den Worten, firmeneigene Krippen widersprächen der Schweizer Mentalität. Das hat sich offenbar geändert.

«Zahl der Angebote ist gestiegen»

Genaue Zahlen zum Angebot betrieblicher Betreuungsangebote gebe es zwar nicht, sagt Talin Stoffel, Co-Geschäftsleiterin von kibesuisse – Verband Kinderbetreuung der Schweiz. «Aber mittlerweile erkennen immer mehr Unternehmen den Nutzen einer firmeneigenen Krippe, die Zahl der Angebote ist in den vergangenen zehn Jahren gestiegen.» Aus gutem Grund. Denn es kostet Unternehmen zwar Geld, Betreuungsstätten für die Kinder ihrer Mitarbeiter anzubieten. Letztendlich zahlt sich die Investition aber aus. Eine firmeneigene Kinderbetreuung bringt nicht nur Eltern handfeste Vorteile, sondern auch Unternehmen. Sie haben Experten zufolge einen klaren Wettbewerbsvorteil, wenn sie ihren Angestellten eine betriebliche Kinderbetreuung anbieten.

Etwa wenn es darum geht, neue Mitarbeiter anzuwerben. Der Fachkräftemangel gilt in den Personalabteilungen von Schweizer Unternehmen als eine der grössten Herausforderungen, zeigt eine Studie des Online-Stellenportals monster.ch. Und besonders junge und gut qualifizierte Arbeitnehmer achten bei der Wahl ihres künftigen Arbeitgebers verstärkt darauf, dass sie im neuen Job Familie und Beruf unter einen Hut bringen können. Bonusangebote wie ein Dienstwagen sind eher zweitrangig. «Ob eine Firma Kinderbetreuung anbietet oder nicht, kann bei der Stellensuche entscheidendes Kriterium sein», sagt Kibesuisse-Geschäftsleiterin Stoffel. Vor allem für Fachkräfte aus dem Ausland, etwa Skandinavien, sei es schon selbstverständlich, dass eine Firma Kinderbetreuung anbiete.

Externen Dienstleister angeheuert

Wer mit einem entsprechenden Angebot aufwarten kann, macht sich nicht nur für potenzielle Bewerber attraktiv, sondern bindet auch bereits beschäftigte Mitarbeiter. Sind die Kinder tagsüber versorgt und zudem noch ganz in der Nähe, bleiben Eltern gern im Betrieb.

Das hat auch die Allianz Suisse erkannt. Das Unternehmen hat für die firmeneigene Kinderkrippe einen externen Dienstleister angeheuert. Seit dem Umzug des Unternehmensstandorts nach Wallisellen im Jahr 2013 befindet sich die Krippe direkt im Bürogebäude der Allianz. «Die Kinder erhalten dort eine umfassende und professionelle Betreuung durch erfahrene Fachpersonen», sagt Claudia Ales, Personalleiterin der Allianz Suisse. Bei Mitarbeitern, die das Angebot nutzen, sorgt das tagsüber für ein gutes Gefühl – sie wissen ihre Kinder gut versorgt. «Sie standen der Idee von vornherein positiv gegenüber», sagt Ales. Das Angebot werde rege genutzt, die Warteliste für künftige Plätze sei gut gefüllt.

Imageförderung dank Betreuungsangebot

Nicht zuletzt ist ein Betreuungsangebot für Kinder im Bürogebäude oder in Standortnähe ein Positivfaktor für das Image eines Unternehmens. Edith Aa etwa, Integrations- und Familienprogramm-Managerin beim Werkzeughersteller Hilti in Liechtenstein, betont: «Wir wollen ein familienfreundlicher Arbeitgeber sein und unsere Mitarbeiter deshalb auch bei der Kinderbetreuung unterstützen.»

Schon seit dem Jahr 2008 gebe es am Standort in Liechtenstein Kooperationsverträge mit Kinderbetreuungseinrichtungen aus der Region. «Unsere Vision war aber immer eine firmeneigene Kindertagesstätte», sagt Aa. Von positiven Erfahrungen mit der Firmen-Krippe berichten unisono viele Konzerne. «Mitarbeiter sparen Zeit, weil sie morgens und nachmittags keine Umwege zur Kita fahren müssen», sagt Hilti-Managerin Aa. Zumal die langen Öffnungszeiten der Kinderkrippe – von morgens um 7 bis abends um 19 Uhr – viel Raum für flexible Arbeitszeiten lasse.