Machen Sie sich manchmal Gedanken über einen persönlichen Plan B für Ihre berufliche Zukunft?
Daniel Kessler*: Das Thema steht nicht täglich auf meiner Agenda. Anfang des Jahres habe ich die neue Rolle als BCG-Schweiz-Chef übernommen. Ich bin gestartet mit einem längerfristigen Horizont, also mit Blick auf etwa fünf Jahre. Es gibt allerdings immer Momente im Leben, in denen man sich fragt, ob alles passt, mit Familie und zwei Kindern: Stimmt die Grosswetterlage? Ich würde sagen, sie stimmt bei mir im Moment.

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Wir fragen weniger mit Blick auf Ihr Familienleben, sondern vielmehr, ob es in Zeiten des digitalen Wandels überhaupt noch Unternehmensberater wie Sie braucht. Kluge Software und Robo-Advisor drängen immer stärker in Ihr Geschäft.
Das ist eine spannende These, aber das sehe ich fundamental anders. Ich glaube, dass es den Unternehmensberater mit Fleisch und Blut auch in 20 oder 30 Jahren noch geben wird. Etwas ganz Wesentliches, was wir mit Kunden erfahren, ist die menschliche Zusammenarbeit, die Zusammenarbeit in Teams. Das kann eine Maschine nie ersetzen. Klar sind neue Technologien auch für uns wichtig, etwa grosse Datenmengen zu analysieren und zu verstehen. Aber das ist nur Mittel zum Zweck. Es geht darum, die Daten zu interpretieren, Schlüsse daraus zu ziehen und Managemententscheide zu treffen.

Ist es nicht gefährlich zu sagen, dass in den nächsten Jahrzehnten alles so bleiben wird wie jetzt? Es sind schon ganz andere Branchen unter die Räder gekommen.
Der digitale Wandel wird auf jeden Fall einen Einfluss haben auf unser Geschäft, insbesondere in Bezug auf Fähigkeiten, die wir als Firma und unsere Leute haben müssen. Doch Strategien zu entwickeln und Entscheidungen vorzubereiten, ist und bleibt eine Managementaufgabe. Und dafür braucht es weiter Berater.

BCG bietet in Deutschland schon eine App an, mit der Manager strategische Szenarien durchspielen können. Die Technik ersetzt zunehmend den Berater.
Wir haben in der Schweiz auch Tools, mit denen wir spieltheoretisch Sachen entwickeln und Szenarien durchspielen. Es gibt Schweizer Kunden von uns, die solche Gåaming-Apps genutzt haben.

Wie reagieren Ihre Kunden auf solche Tech-Spiele?
Ich habe die Anwendung im Rahmen eines Strategieüberprüfungsprozesses erlebt. Die Teilnehmer des Managementworkshops fanden das spannend. Sicher ist: Wir gehen immer mehr weg von Papier und Folien. Eine Spiel-App kann helfen, einen strategischen Dialog zu unterstützen. Es geht weniger darum, dass die App den Führungskräften die Entscheidungen abnimmt oder den Berater ersetzt.

Neue Apps sind das eine. Doch was ist mit grossen Datenmengen? Google kann perfekt Daten analysieren und Ergebnisse liefern. Wie wollen Sie da mithalten?
Wir haben Teams, die spezialisiert sind für Big Data. Ausserdem arbeiten wir bei gewissen Projekten mit Partnern zusammen. Datenanalyse ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit geworden.

Daten können auch helfen, Unternehmensberater und ihre Leistungen zu vergleichen. Fürchten Sie ein Comparis für Berater?
Es gibt schon einzelne Metaberater, die diese Dienstleistung anbieten, nur nicht online. Sie helfen bei der Auswahl der Berater und vergleichen die Qualität. Aber wir sind kein Business-to-Consumer-Geschäft wie bei einer Autoversicherung. Aus meiner Sicht werden solche Vergleichsportale in Zukunft keine Bedeutung haben für die Beratungsbranche.

Mehr Preistransparenz würde der Beraterbranche nicht schaden.
Das Geschäft ist schon transparenter geworden, weil Kunden von verschiedenen Anbietern Beratungen einkaufen und daher wissen, welchen Preis sie für die Beratung zahlen. Zudem tauschen sich auf Kundenseite die CEO über ihre Erfahrungen mit Beratungsunternehmen aus. Da sind es dann insbesondere auch Qualität der Beratung und geschaffener Wert, die entscheidend sind.

Derweil haben auch die Wirtschaftsprüfer ihren Strategieberatungsbereich deutlich aufgerüstet. Müssen Sie sich sorgen?
Es stimmt, dass die Wirtschaftsprüfer in diesem Bereich investiert haben. Zum grossen Teil machen sie aber andere Projekte. Trotzdem nehmen wir die Wirtschaftsprüfer als Wettbewerber ernst. Es steht ausser Frage, dass die Anforderungen im Beraterbusiness gestiegen sind. Die Kunden sind anspruchsvoller geworden. Wir haben reagiert und nachgerüstet. Das betrifft auch Themen wie das Managen von verschiedenen Kulturen in komplexen Organisationen, unterschiedliche regulatorische Bedingungen und eben auch die Digitalisierung.

Wie läuft das Geschäft im Schweizer Beratermarkt? Wo besteht am meisten Beratungsbedarf?
Wir haben ein sehr gutes Jahr 2015 nach einem schon guten Jahr 2014. Unser Wachstum ist breit abgestützt, und wir können ein zweistelliges Umsatzwachstum in der Schweiz erzielen. Es gibt nicht nur eine hohe Nachfrage nach Beratungsdienstleistungen in der Finanzbranche, wo Regulierung ein grosses Thema ist. In vielen Branchen verändern sich Geschäftsmodelle, es findet Transformation statt. In der Industrie hat der Frankenschock Fragen auf die Agenda gebracht und sie abermals drängender gemacht.

Das klingt so, als ob Sie vor allem mit Aufträgen von klassischen Branchen zu tun haben. Mit Startups haben Sie nie zu tun?
Im eigentlichen Beratungsgeschäft haben wir wenig mit Startups zu tun. Wenn diese Firmen allerdings wachsen und Finanzierungsrunden hinter sich haben, wenn es bei ihnen um erweiterte Strukturen und Strategien geht, dann kommen wir zum Zug. Zum Beispiel im Fintech-Sektor.

Wann kommt die Konsolidierung im Schweizer Fintech-Sektor?
Ich weiss nicht, ob es eine Konsolidierung im Fintech-Sektor gibt. Manche werden überleben, manche verschwinden.

Das ist doch eine Konsolidierung.
Es mag sicherlich im Bereich Wealth Management und bei den Robo-Advisor viele spannende Projekte geben. Ich gehe aber nicht davon aus, dass in 20 Jahren ein Robo-Advisor einen grossen Anteil an der Verwaltung von vermögenden Privatkunden hat.

Die Banken müssen sich also keine Sorgen vor der neuen Konkurrenz machen?
Grosse Banken müssen sich sicherlich mit den neuen Technologien auseinandersetzen und sich fragen, was für ihr Geschäftsmodell relevant ist. Aber eine kleine Fintech-Boutique wird nicht den Bankenmarkt dominieren.

Das haben führende Hotelanbieter auch gesagt, bevor Airbnb kam. Und genauso redeten die Taxianbieter, bevor Uber ihnen die Kunden abjagte.
Es mag im klassischen Retail-Banking solche Veränderungen geben, ebenso im Mikropay-Sektor: Dort gibt es plötzlich Apple Pay, und Schweizer Anbieter müssen mit einer eigenen Lösung dagegenhalten. Wenn es allerdings um das Verhältnis von Business-to-Consumer geht, dürften kleinere Anbieter tatsächlich eine grössere Rolle spielen.

Sie haben gute Einblicke in viele Unternehmen. Wie ist die ökonomische Lage der Schweiz?
Es gibt einen beschleunigten Strukturwandel in der Schweiz, angetrieben durch den Frankenschock. Das ist für viele Firmen eine schmerzhafte Entwicklung. Ich glaube aber, dass wir mit Blick auf die kommenden drei bis fünf Jahre für die Schweiz optimistisch sein können und den Strukturwandel erfolgreich bewältigen werden.

Wo muss die Schweiz nachbessern?
Es gibt vor allem politische Themen, die wichtig sind. Es ist weiterhin unklar, wie die Rahmenbedingungen sein werden, damit Firmen ausländische Talente anlocken können, die es hierzulande nicht oder nicht in genügendem Ausmass gibt. Auch das Verhältnis zu Europa ganz allgemein muss geklärt werden.

Sie sind mittlerweile Chef von 250 Mitarbeitern in der Schweiz. Auf dem Kununu-Jobportal gibt es Bewertungen über BCG als Arbeitgeber – interessiert Sie, was Ihre Ex-Mitarbeiter dort verbreiten?
Mir fehlt die Zeit, diese Kommentare zu lesen. Lieber unterhalte ich mich mit den Kollegen im Büro und kläre Fragen. Natürlich rede ich auch mit denjenigen, die unsere Firma verlassen haben, um direktes Feedback zu bekommen.

Sie sind noch keine 40 Jahre alt. Wie leben Sie den digitalen Wandel, und wie stellen Sie Ihre Work-Life-Balance sicher? Schalten Sie ihr Smartphone am Wochenende aus?
Ich bin telefonisch immer erreichbar, auch am Wochenende. Aber ich nutze das Smartphone in einem überschaubaren Mass, indem ich am Wochenende in der Regel keine E-Mails lese und beantworte. Davon versuche ich mich bewusst zu distanzieren.

 

* Daniel Kessler, Leiter Boston Consulting Group Schweiz, hat an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Er arbeitet seit zwölf Jahren bei BCG und war unter anderem im New Yorker Büro stationiert. Kesslers Schwerpunkt liegt bei Beratungen im Finanzsektor. Er ist Fachmann für den Bereich Wealth Management.

 

Stefan Mair
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