MICRO MOBILITY . Warum nicht das Produkt, das man verkaufen möchte, zuerst verschenken? Das dachte sich Hans-Peter Bolliger, CEO der seinerzeit mit dem Microscooter berühmt gewordenen Micro Mobility Systems AG, vor zwei Jahren. Und er startete eine Marketingoffensive mit einem fast vergessenen Dreirad, die jetzt reiche Früchte trägt.

Sieben Jahre sind es her, seit der Microscooter zum grössten zweirädrigen Schweizer Verkaufserfolg wurde. Das schnittige Trottinett im Hightech-Look spülte dem Erfinder Wim Ouboter und seinem Geschäftspartner Hans-Peter Bolliger bzw. der für die Innovation verantwortlichen Micro Mobility Systems AG in Küsnacht ZH über 100 Mio Fr. in die Kassen. Doch nach sechs Monaten war der unglaubliche Höhenflug bereits vorbei. Mehr als 500 Nachahmer überschwemmten den Markt mit Billigkopien, in denen der Microscooter geradezu unterging. Beim Original, von dem auf dem Hype täglich 80000 Stück produziert worden waren, war die Luft draussen, und der Umsatz sackte 2001 auf 3 Mio Fr. ab. Es wurde stiller um Ouboter und Konsorten, obwohl sie weiterkämpften und mit anderen Produkten versuchten, den einmaligen Verkaufserfolg zu wiederholen. Vergeblich!

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Dreirad aus dem Schlaf geweckt

Jetzt aber melden sie sich nach sieben mageren Jahren wieder zurück. Ihr Mini Micro, ein Dreirad für 2- bis 5-Jährige, ist in England eben zum Spielzeug des Jahres 2007 gewählt worden. Der Erfolg stellte sich aber diesmal nicht von heute auf morgen ein. Das Mini Micro, bei dem sich im Gegensatz zu traditionellen Dreirädern zwei Räder vorn und eines hinten befinden, ist nämlich fast so alt wie der Microscooter. Aber verkaufsmässig dümpelte es, obwohl es bereits Kleinkindern Surfgefühle zu vermitteln mag, zuerst nur vor sich hin. «Wir hatten einfach keine Zeit, den Markt für das Mini Micro seriös zu bearbeiten», erinnert sich Bolliger. Als Beiprodukt zum Miniscooter geriet das Dreirad zudem in die falschen Kanäle. Denn es war kein Sportgerät, sondern ein Spielzeug. Das verlangte eigentlich nach einer speziellen Distribution. Deshalb bot es Bolliger 2004 bei Franz Carl Weber und Manor an. Doch beim Versuch, das Dreirad auch international über die Grossen in der Spielzeugbranche, etwa Mattel oder Toys’R’Us zu lancieren, stiess Bolliger auf taube Ohren. Aus der Not geboren und ganz aus dem Bauch heraus startete er nun eine Übung mit dem Ziel, den Markt für das Mini Micro direkt über das Produkt zu schaffen. Der Chef agierte dabei ohne Strategiepapier. Er zog auch keine Agentur mit dem entsprechenden Guru bei. Bolliger verliess sich auf sein Gespür und seine Erfahrung bezüglich all dessen, was eben nicht funktionieren kann. Er beauftragte zwei vom Mini Micro begeisterte Mütter, zusammen mit ihren Kindern 500 Stück des Dreirades gratis im Bekanntenkreis zu verteilen. Nicht irgendwo, sondern im Londoner Nobelquartier Kensington. «Ich entschied mich für diese Stadt, weil sie immer wieder die Trends setzt und über ihren Besucherstrom aus der ganzen Welt einen grossen Multiplikatoreffekt versprach.» Die Rechnung mit dem Mother-to-Mother-Konzept in einer Weltstadt ging auf. Die Schenkaktion weckte die Bedürfnisse. Die beiden Mütter verkauften daraufhin in drei Monaten über die Türschwelle 1000 Mini Micros. In einem nächsten Schritt wurden über einen Online-Shop ein paar tausend weitere in London abgesetzt. Weil auch Kinder von Prominenten damit durch den Hyde Park kurvten, war das moderne Dreirad plötzlich Stadtgespräch.

Hoffen auf den Schneeballeffekt

Jetzt klopften bei Bolliger all jene an, die ihm ein Jahr vorher noch einen Korb gegeben hatten. Alle Händler wollten das Spielzeug, das nun Kultstatus hatte, in ihrem Sortiment haben. Bolliger pickte sich, obwohl das Dreirad umgerechnet nur Fr. 59.90 kostet, die edelsten Anbieter heraus: Harrod’s, Early Learning Center, John Levis – keine Discounter also, sondern klangvolle Namen in der Welt von teurem und pädagogisch wertvollem Spielzeug. In diesem Jahr wurden allein in London schon über 100000 Mini Micros verkauft. «Das nun zum britischen Spielzeug des Jahres gewählte Dreirad ist im Stadtbild fast so präsent wie die berühmten Londoner Taxis», witzelt Bolliger.Er ist jetzt damit beschäftigt, das Londoner Modell auf andere Städte auszudehnen und hofft auf den globalen Schneeballeffekt. Das Mini Micro ist inzwischen in New York, Moskau, Stockholm, Dubai, Mailand, Madrid, Barcelona, Sydney, Wellington und Lyon lanciert worden: Wie schon in London nicht mit teuren Werbespots, sondern mit ein paar hundert verschenkten Dreirädern.Jedes Mini Micro weckt offenbar den Hunger nach hundert weiteren. «Die Kleinen, die es bei anderen Kindern sehen, bestürmen ihre Mütter und sagen: ‹Das will ich auch›», beobachtet Bolliger. Das Ergebnis: Die Wachstumskurve bei der Firma zeigt wieder steil nach oben. 2007 werden weltweit über 200000 Mini Micros über die Ladentische gehen. Und in deren Sog verkaufen sich auch die bekannten Miniscooter plötzlich wieder viel besser.

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