Der 30-jährige Käufer der kleinen Firma war IT-fasziniert. Er besorgte als Erstes eine neue Branchen-Software und sass dann monatelang jeden Tag stundenlang am Computer, um die Software seiner Firma akribisch auf Vordermann zu bringen. Es fehlte ihm allerdings die Zeit, sich um das Geschäft und um seine Kunden zu kümmern – vor allem, um neue Kunden zu finden. Die Situation verschärfte sich so sehr, dass er nach zehn Monaten Konkurs anmelden musste.

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Mangelhafte Kundenpflege gehört zu einem der grössten Fehler, die kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) begehen und die schnell zum Ende des Geschäfts führen können. Jeden Monat scheitern viele Unternehmer, weil sie Fehler machen und Risiken falsch einschätzen. Die Gefahren im Geschäft sind vielfältig. Die Kundenstruktur ist zu einseitig, die Finanzierung wacklig, das Personalmanagement unreflektiert, das Marketing unprofessionell und die Strategie mangelhaft.

Die «Handelszeitung» startet mit dieser Ausgabe die Serie «Die Risiken der KMU». Sie zeigt, worauf Geschäftsführer von KMU besonders achten müssen, um erfolgreich zu bleiben.

Firmeninhaber tun sich bei Aus- und Weiterbildung schwer

Der Blick in die Welt der KMU zeigt, dass es den Chefs selten an fachlicher Expertise oder operativem Engagement mangelt. Doch viele reflektieren ihre Arbeitssituation kaum und nehmen ihre Risiken zu wenig wahr. Übereinstimmend raten KMU-Experten den Geschäftsführern, sich systematisch auf die firmenspezifischen Stärken zu besinnen, ihre individuellen Strategien festzulegen und sich so permanent zu verbessern.

Doch gerade bei der Aus- und Weiterbildung tun sich viele Firmeninhaber schwer, sagt der KMU-Experte Hans Blatter aus dem bernischen Ammerzwil. Der Autor des Handbuchs «Cockpit KMU – zielorientiert und wirksam führen» berät kleinere und mittlere Unternehmen und stösst immer wieder auf dieselben Schwachstellen. Meist seien die Chefs «hervorragende Fachleute, aber sie haben zu wenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse».

Den Älteren fehle oft eine fundierte Ausbildung und den Jungen die Erfahrungen in Bereichen wie Finanzen, Marketing und Organisation. Zwar gebe es eine grosse Palette an geeigneten Kursen, doch «die KMU-Chefs haben keine Zeit und kneifen zu oft in der Weiterbildung, denn viele Handwerker halten das bloss für graue Theorie», sagt Blatter. «Sie engagieren sich lieber für die Erledigung ihrer täglichen Aufträge und sind sich dabei zu wenig bewusst, dass sie mit einem zielgerichteten Vorgehen dasselbe erreichen, dabei aber mehr Geld verdienen könnten.»

Auch KMU-Mentor und Strategiecoach Urs Prantl aus Fislisbach AG nennt die extreme Verhaftung im Tagesgeschäft als grosses Übel. «Viele KMU sind permanent auf Tauchstation», sagt er. Und das meist über Jahre hinweg. Natürlich erwarten die Kunden, dass ihre Aufträge bestmöglich erledigt werden, doch darf dies die Inhaber nicht dazu verleiten, wichtige Strategiefragen ständig hinauszuschieben. Dies geschehe jedoch häufig. «Die meisten KMU haben keine klaren Unternehmensziele und wissen damit nicht, wohin sie sich und ihren Markt eigentlich entwickeln wollen – von einer echten, inspirierenden Vision ganz zu schweigen», sagt Prantl. Daher verzetteln sie sich.

Wahl der Kunden

Stattdessen müssten sie sich klar werden, für die Lösung welcher Probleme sie besser geeignet sind als ihre Konkurrenten und daraus eine Strategie entwickeln, die ihnen ein hohes Mass an Alleinstellung verleiht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität sei zwingend, sagt auch Beni Stocker aus Kriens, Inhaber der Stocker AG und Mitglied im Kompetenz-Pool kmu-experten.net. «Hier sehe ich nach wie vor ein grosses Nachholpotenzial in allen Branchen.» Hanspeter Käppeli, Strategieberater und ebenfalls im KMU-Kompetenzpool, sagt: «Eine zentrale Schwachstelle von vielen KMU ist das Ignorieren ihrer zentralen Stärken.»

Als entscheidend für jedes Unternehmen nennt Blatter folgende Frage: «Was wollen wir besser machen als unsere Mitbewerber?» Wie in der Leichtathletik reiche es schon, eine Nasenlänge schneller oder besser als alle anderen zu sein, und wie im Sport gebe es nur einen Sieger.

Als zentralen strategischen Entscheid nennen die Experten die Wahl der Kunden. Unklug ist es, sich einseitig auf einen grossen Kunden zu stützen, die Zielgruppe vage oder viel zu breit zu definieren und keine klare Marktbearbeitungsstrategie zu entwickeln. Häufig wird laut Prantl das Produktangebot vergrössert, in der irrigen Annahme, dies generiere mehr Umsatz. Oder ein KMU erklärt «alle Personen über 50» zu seinen Kunden – die begrenzten Kräfte werden mit der Giesskanne verteilt und entfalten kaum mehr Wirkung. Die Zielgruppe werde in fast allen Fällen viel zu gross gewählt.

Aber auch das Gegenteil kann gefährlich werden: Die Beschränkung auf einen Kunden. So stützte sich beispielsweise die traditionsreiche Gerberei Max Gimmel AG aus Arbon zu stark auf einen Hauptkunden, Lantal Textiles in Langenthal. Nach deren Wechsel zu anderen Lieferanten musste die letzte grosse Schweizer Gerberei Ende 2012 aufgeben. Derartige Klumpenrisiken bei wichtigen strategischen Partnern wie Kunden, Mitarbeitern oder Lieferanten sieht Urs Prantl als häufige Schwäche.

Fehlen die Neukunden gänzlich, werden meist die Anstrengungen im Marketing intensiviert, was jedoch die Ursache für das Ausbleiben neuer Interessenten nicht behebt. Zudem werde der Dienst an Kunden umso schneller vernachlässigt, je rascher eine Firma wachse, sagen Hans Hässig und Roland Stoff, Inhaber von Unternehmenskultur-Controlling Hässig & Stoff in Dielsdorf.

Kernkompetenzen unklar

Die Experten für Unternehmenskultur halten es für wichtig, dass eine Firma die eigenen Werte – wie etwa «gesund», «frisch» oder «sozial engagiert» – kennt und diese klar kommuniziert. Problematisch sei es, wenn eine Firma keine authentischen Werte habe oder diese in Auftritt und Sprache unpräzise umsetze. «Wir benutzen Schlagworte und Anglizismen, ohne deren genaue Bedeutung zu kennen», sagt Hässig. «Was hat eine «rappende lovely Kuh» von Emmi mit Gesundheit zu tun?», fragt er. Derlei Schlagworte schafften Missverständnisse.

Werte, also Versprechen und Handlungen, müssten für die Kunden überprüfbar sein, die eigenen Werte dürften nicht verwässert oder verraten werden, fordert Hässig. Dies sei zum Beispiel bei der Bank Clariden Leu geschehen. Sie musste bei der Teilintegration in die Credit Suisse deren Werte übernehmen, obwohl sie eine gänzlich andere Ausrichtung gehabt hatte.

Zudem sind laut Experten in manchen kleineren Unternehmen die Kernkompetenzen unklar, die Innovationsprozesse zufällig, Führungskräfte wenig vorbildlich, Schritte zur Nachfolgeplanung ungenügend. In «Tausenden Fällen» erschwert laut Urs Prantl die Eigentümerstruktur, die sich an einer oder an wenigen Personen orientiert, die Nachfolge erheblich. Und sie befördert Personen aufgrund von Beziehungen statt Kompetenzen an die Spitze.

Dezentrale Entscheidungen

Als Beispiel einer missglückten Nachfolge nennt Blatter die einstige Bieler Druckereifirma Farbendruck Weber, die aufgrund fehlender familieninterner Lösungen zum Spielball von Investoren wurde. Dadurch geriet sie im schwierigen konjunkturellen Umfeld ins Schlingern und musste aufgeben.

Im Finanzbereich lauern die Gefahren in unprofessionellem Umgang mit Preisen, fehlerhaften Investitionen in Maschinen, Lager oder Liegenschaften und in ungenügendem Eigenkapital. Sehr häufig sei das Finanzcontrolling «auch bei ganz simplen Dingen wie einer vorausschauenden Liquiditätsplanung mangelhaft», sagt Prantl.

Viele Fehler, viele Ursachen? «Jedes ernsthafte Problem, das in einer Firma auftaucht, ist auf ein Führungsproblem zurückzuführen», sagt Hans Blatter. Auch für Hässig und Stoff ist klar, dass der Führungsbereich vom mittleren bis zum oberen Kader besonders anfällig ist. Das liege daran, dass niemand kontrolliere, ob die internen und externen Regelungen auch eingehalten würden. Oft wirkt ein Inhaber in Personalunion als Geschäftsführer, Produktionsleiter, Personalchef, Leiter Kalkulation und Sachbearbeitung sowie Verkäufer. Dies mag machbar sein in einem sehr kleinen Unternehmen, wo der Inhaber durch sein Verhalten die Strategie verkörpert.

Grössere Gebilde funktionieren jedoch anders. In diesen wissen die Mitarbeitenden in ihren Spezialgebieten besser Bescheid als der Chef. «Deshalb sollten viele tägliche Entscheidungen dezentral und dort gefällt werden, wo die Sachkompetenz vorhanden ist, und möglichst nahe beim Kunden», sagt Blatter. Vielfach wird jedoch laut Prantl die Führungsstruktur samt Kompetenzen in wachsenden KMU nicht angepasst. Nach wie vor gehe jede Entscheidung über den Tisch des Inhabers, was diesen schliesslich zum Verhinderer von Wachstum machen könne.

Bedürfnis, grössere Firmen nachzuahmen

Wenn Firmen schnell wachsen, entsteht laut Hans Hässig und Roland Stoff irgendwann das Bedürfnis, grössere Firmen nachzuahmen – und damit auch unbewusst deren Fehler. So führen sie etwa Leistungslohn und Zertifizierung ein. Die Mitarbeiterbindung findet nur noch über Personalreglemente statt und diffuse Leitbilder werden kopiert, deren Machbarkeit niemand überprüfen kann. In diesen Wachstumsphasen sind Firmen laut Hässig besonders anfällig.

Neben jenen, denen derlei Risiken zum Verhängnis werden, gibt es aber auch zahlreiche Beispiele von KMU, die vieles richtig gemacht haben und daher sehr erfolgreich sind. Dazu gehört etwa das schweizweit älteste Familienunternehmen, die Düngemittelfirma Hauert in Suberg BE. Das 1663 gegründete Unternehmen war anfänglich eine Gerberei und sattelte über die Jahrhunderte mehrmals um, da es sich den Bedürfnissen der Märkte anpasste. In der jüngeren Firmengeschichte haben Mitarbeiter innovative ökologische Verfahrenstechniken für Düngemittel entwickelt. «Diese Firma hat sich gleich mehrmals neu erfunden», sagt Blatter.

Dazu könnten sich heute auch andere Kleinfirmen gezwungen sehen. Der wachsende Druck der Konkurrenten helfe den KMU, Fehler zu vermeiden, sagt Strategieberater Käppeli. «Wettbewerbsdruck und engere Gewinnmargen lassen weniger Spielraum und halten viele KMU davon ab, Fehler zu begehen.»

312000 KMU in der Schweiz: Furcht vor EU-Schuldenkrise

Grösse
Zu den kleinen und mittleren Unternehmen zählen Firmen mit bis zu 250 Mitarbeitern. Je nach Grösse ist zu unterscheiden zwischen Mikrounternehmen mit bis zu 9 Mitarbeitern, kleinen Unternehmen mit 10 bis 49 Mitarbeitern und mittleren Unternehmen mit 50 bis 250 Mitarbeitern. In der Schweiz gibt es laut der Betriebszählung 2008 des Bundesamts für Statistik rund 312000 KMU. Sie machen über 99 Prozent aller Betriebe aus und beschäftigen 67 Prozent der Arbeitnehmer. 87 Prozent aller KMU sind Mikrounternehmen, 10 Prozent kleine und 2 Prozent mittlere Unternehmen.

Unterstützung
Der Bund unterstützt KMU mit verschiedenen Massnahmen. Das KMU-Forum ist eine ausserparlamentarische Expertenkommission, die sich für die Interessen der KMU einsetzt. Die Kommission für Technologie und Innovation KTI fördert die Innovationstätigkeit von KMU und die Zusammenarbeit mit der Hochschulforschung. Der Schweizerische KMU-Verband unterstützt kleine und mittlere Unternehmen. Die lokalen und regionalen Gewerbevereine ermöglichen den KMU, sich zu vernetzen, gegenseitig E rfahrungen auszutauschen, Vorzeigeunternehmen zu besichtigen und von anderen zu lernen. Die Organisation Adlatus berät KMU mit erfahrenen Führungskräften.

Weiterbildung
Die Aus- und Weiterbildungsangebote für KMU sind vielfältig. Das SIU (Schweizerisches Institut für Unternehmerschulung) und andere Institutionen führen ein breites Kursangebot. Die Klubschule Migros bietet für angehende Firmenchefs und Abteilungsleiter ihren Lehrgang KMU-Kompakt an und arbeitet dabei mit Adlatus.

Konjunktur
Gemäss dem KMU-Barometer von Ernst & Young 2013 bewerten neun von zehn KMU die aktuelle Geschäftslage positiv. 59 Prozent gehen davon aus, dass die Wirtschaftslage unverändert bleiben wird. Allerdings sinkt der Anteil der KMU, die zusätzliche Mitarbeitende einstellen wollen, von 24 auf 16 Prozent, und etwas mehr Unternehmen bauen Personal ab (9 statt wie bisher 6 Prozent). Als grösste Konjunkturrisiken bezeichnen die Unternehmen die hohen Energie- und Rohstoffpreise. 70 Prozent der KMU gehen davon aus, dass der schlimmste Teil der EU-Schuldenkrise noch bevorsteht. 40 Prozent der KMU erleiden Umsatzeinbussen infolge der Schuldenkrise.

Fokus, Strategie und Visionen: Die falschen Überzeugungen

Manche Geschäftsführer gehen nach Ansicht von KMU-Experten von Annahmen aus, die irreführend sind und zu unerfreulichen Konsequenzen für die Firmen führen können. Die falschen Überzeugungen betreffen verschiedene Bereiche:

Ziel
«Oberstes Ziel eines Unternehmens ist die Gewinnmaximierung» – diese Haltung wird nach Ansicht von Strategiecoach Urs Prantl von vielen KMU-Unternehmern kritiklos übernommen. Deswegen stellten sie sich jedoch für Kunden völlig uninteressant auf. Vielmehr müsse der Fokus auf dem Kundennutzen liegen. Gewinn sei dann eine Folge des Kundennutzens, so Prantl.

Strategie
Ebenfalls stark verbreitet ist die Annahme, dass es genügt, ein gefragtes Produkt auf den Markt zu bringen. «Strategie ist nur etwas für grosse Unternehmen. KMU brauchen das nicht, die müssen einfach nur gute Arbeit leisten.» Diesem Irrtum sitzen laut Urs Prantl viele KMU auf. Damit werde verkannt, dass auch ein KMU nur überleben kann, wenn es ihm gelingt, für seine Leistung eine stabile Nachfrage zu generieren. Dies sei jedoch ausschliesslich eine Frage der richtigen Strategie.

Angebot
Manche Unternehmen können ihre Versprechen bezüglich Qualität und Dienstleistung auf Dauer nicht einhalten und kompensieren dies mit Quantität, indem sie etwa um jeden Preis expandieren. Dabei vertreten sie laut Unternehmensberater Hans Hässig die Meinung: «Quantität statt Qualität schafft nachhaltige Präsenz auf dem Markt.» Die Verbreiterung des Angebots sei häufig zu beobachten, sagt Urs Prantl. Zur Risikoabsicherung und Ankurbelung des Umsatzes werde das Angebot oft schleichend erweitert. Wer jedoch mehr anbietet, macht nicht zwingend mehr Umsatz. Vielmehr wird die Profilierung geschwächt und die Firmen leiden unter hohem Konkurrenz-, Preis- und Margendruck.

Visionen
Zahlreiche Geschäftsführer halten es für unnötig, grundsätzliche Visionen zu erarbeiten. «Ziele und Visionen braucht es im KMU nicht», glauben sie. Ihre Mitarbeiter seien schliesslich genug nahe bei den Kunden, um zu wissen, was zu tun sei. Doch häufig dringen die Ziele, Wünsche und Vorstellungen des Unternehmers nicht bis zu den Mitarbeitern durch. Dadurch können Missverständnisse entstehen.

Einsatz
In vielen KMU wird grosser Wert auf harte Arbeit gelegt. «Erfolg hat, wer härter und länger arbeitet» – dieser Glaubenssatz ist laut Prantl fest verankert. Doch der Output des unternehmerischen Tuns habe viel mehr mit dem richtigen Einsatz der Kräfte als mit der Intensität des Einsatzes zu tun.

Mitarbeiterbindung
Häufig werde die propagierte Familienfreundlichkeit in Firmen gar nicht gelebt, bemängeln KMU-Experten. Die persönliche Wertschätzung von Vorgesetzten lasse zu wünschen übrig. Dahinter steckt laut Berater Roland Stoff die Haltung: «Mitarbeiterbindung ist Charaktersache des Mitarbeitenden.» Dabei müsste die Führung gerade in KMU ihren Angestellten Weiterbildungen und Aufstiegsmöglichkeiten bieten, um mit den Angeboten von Grossunternehmen mithalten zu können.