Auf Sonja Z. können sich die Kollegen immer verlassen: Schafft jemand aus dem Team seine Aufgaben nicht, dann übernimmt sie die noch schnell mit. Wird jemand krank und muss ersetzt werden, dann lässt sie sich vom Chef nicht lange bitten. Das wird schon gehen, denkt sie, immer noch irgendein Zeitfenster vor Augen. Dafür wird sie von den Kollegen gemocht, und der Chef geniesst das Gefühl, immer noch jemanden in petto zu haben, wenn es mal brennt.

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Doch wer ständig zu viel arbeitet, der wird sich irgendwann verzetteln und Fehler machen. Und die Verantwortung dafür wird Frau Z. in dem Moment niemand abnehmen. Auch das Lob für ihren zusätzlichen Arbeitseinsatz bleibt irgendwann aus: Chef und Kollegen haben sich daran gewöhnt und halten ihn längst für selbstverständlich. Sie wird zum Müllschlucker ihrer Abteilung.

Oft reine Kompensation

Oft wird mangelndes Selbstwertgefühl damit kompensiert, dass man anderen die Arbeit abnimmt und sich ständig zu viel aufhalsen lässt. Wer für andere mitschuftet, der sonnt sich im Gefühl, er werde gebraucht. Aber auch wer besonders hohe Ansprüche an sich selbst stellt, meint, er müsse dem Druck von zu viel Arbeit standhalten können.

«Vor allem wer neu in eine Firma kommt, wird zunächst überlastet. Kollegen und Vorgesetzte nehmen ihn ins Visier: Wie viel Arbeit kann man ihm aufbürden, bis er murrt?», sagt Klaus Merg, Buchautor und Managementtrainer.

Natürlich will der Neue nicht als Faulpelz abgestempelt werden. «Das ist zunächst nachvollziehbar», sagt Merg, um es jedoch gleich wieder zu relativieren: Irgendwann muss er Nein sagen. «Wer Nein sagt, der macht sich und seine Arbeit wertvoller und gewinnt mehr Respekt von den anderen.»

Doch gibt es seit ein paar Jahren immer mehr Fälle, in denen der Betroffene scheinbar gar nicht die Wahl hat, ein Zuviel an Arbeit ablehnen zu können. Früher waren vor allem Manager von einem stressigen Arbeitstag geplagt, heute trifft es alle: Vom Abteilungsleiter bis zur Teamassistentin. Es ist der Dreiklang aus Shareholder Value, Gewinnabschöpfung und Arbeitszeitverdichtung, der das Arbeitspensum in vielen Unternehmen vorgibt: Die Betriebe streichen Stellen und besetzen sie anschliessend nicht wieder neu. Die Mitarbeitenden dürfen das ausbaden: Was an unerledigten Aufgaben übrig bleibt, wird auf die restlichen Arbeitnehmer verteilt.

«Hier hilft es oft, sich im Team abzusprechen, die Arbeit entsprechend den Neigungen zu verteilen und sich gegenseitig zu ergänzen», empfiehlt Karriereberater Merg.

Wo früher noch ein Experte sass, hält heute ein Generalist die Stellung. «Das trauen wir Ihnen auch noch zu», heisst es dann aus der Teppichetage. Zunächst fühlt sich der Angesprochene noch geschmeichelt. Doch längst sind die Menschen es gewohnt, dass der Chef auch nach 22 Uhr noch Wind macht und an den Wochenenden Mails versendet mit Anweisungen, was noch zu tun ist. Gerne mit dem Zusatz versehen «a.s.a.p.» - as soon as possible.

Entschleunigen Sie

Schon mit dem ersten Schritt ins Büro beginnt der Wettlauf mit der Zeit. E-Mails. Termine, Papiere, Post, Anrufe. Auf dem Schreibtisch stapelt sich die Arbeit. Vorgesetzte, aber auch Kollegen und Kunden möchten Ihnen suggerieren, dass alles sofort fällig sei und Sie verlieren den Überblick. Der Zeitmanagement-Experte, Trainer und Bestsellerautor Lothar Seiwert plädiert nicht für das schnelle Abarbeiten des grossen Haufens, sondern für das Gegenteil: «Entschleunigung», innehalten. Ganz nach dem Motto «Wenn du es eilig hast, dann gehe langsam». Nicht nur Disziplin und Fleiss bringen einen weiter, sondern auch der Mut zur Musse. Wer sein Tempo drossle, der arbeite am Ende nicht langsamer, sondern effektiver. Der Tag hat nun einmal nur 24 Stunden. Auch wer nach Personalkürzungen zusätzliche Arbeiten übernehmen müsse, der könne nicht mehr arbeiten, sondern lediglich anders.

Der Coach empfiehlt, lediglich 60% seiner Arbeitszeit mit konkreten Aufgaben zu verplanen. Der Rest fülle sich ohnehin mit unvorhergesehenen Ereignissen. Wenn am Abend die Hälfte liegen bleibt, kommt nur der Frust.

Doch wie geht man vor? Zeit-Guru Seiwert unterscheidet verschiedene Kategorien der Dringlichkeit. Stufe A: Reklamationen von Kunden, Maschinenausfälle, eilige Angebote. Das sind Dinge, die sofort erledigt werden müssen. Angelegenheiten der Stufe B sind wichtig, haben aber in der Regel keinen Termindruck. Ein Vortrag soll ausgearbeitet werden, Deadline in drei Wochen. Oft werden solche Arbeiten zur Seite gelegt, im Bewusstsein, man habe ja noch genügend Zeit. Zwei Tage vor dem Termin kommt schliesslich die Hektik und das sichere Wissen darüber, dass die Arbeit eigentlich kaum noch gut zu schaffen ist. Hier gilt es, sich früh genug darum zu kümmern, noch bevor der Stress drückt.

Delegieren oder bündeln

Ganz anders die C-Aufgaben. Sie sind möglicherweise dringend, müssen aber nicht unbedingt von Ihnen selbst erledigt werden: Anfragen nach Informationen, Meetings, E-Mails. Delegieren Sie diese Aufgaben, und was Sie selbst erledigen müssen, sollten Sie in Arbeitspakete bündeln: Morgens eine Stunde E-Mails lesen und beantworten, mittags Telefonate am Stück führen. Aufgaben, die Sie irgendwann einmal bearbeiten wollen, gehören gleich in den Papierkorb. «Vermeiden Sie es, Stapel zu bilden», empfiehlt Seiwert und predigt den Mut zum Wegwerfen.

Am Ende geht der Trend nicht dahin, immer mehr Aktivitäten in immer kürzere Zeiträume zu packen, sondern seine Zeit mit Leben zu füllen. «Zeitmanagement ist out, ganzheitliche Lebensgestaltung ist angesagt», predigt der Heidelberger Time-Management-Spezialist. Der Trend kommt aus den USA, wo sich die Wirtschaft schon viel länger mit Burn-out-Syndrom und Überlastungen am Arbeitsplatz auseinandersetzt. Am Ende gehe es schliesslich um Prioritäten: «Natürlich ist es nicht dringend, am Wochenende mit den Kindern zu spielen, doch ist es wichtig. Denn wenn sie erst einmal gross sind, ist es dafür zu spät.»

Wenn alle diese Strategien nicht helfen, die Arbeitsflut zu bewältigen, dann ist ein Gespräch mit dem Vorgesetzten unausweichlich. «Auch in vermeintlich aussichtslosen Situationen sollte ein Mitarbeiter den Mut entwickeln, Nein zu sagen. Denn wer nicht klagt, wird weiterhin mit Arbeit überschüttet», sagt Karriereberater Klaus Merg.

Es wird nicht leicht fallen, sich gegen zu viel Arbeit zu wehren. Doch Neinsagen kann man üben. «Machen Sie sich für die nächste Woche eine Vorgabe», empfiehlt der Karrieretrainer, «beginnen Sie mit zwei Nein pro Woche.»