Kein Kennwert der Schweizer Wirtschaft – ausser vielleicht der Euro-Franken Kurs – wird mit so viel Akribie und Hysterie analysiert und begleitet wie die Anzahl von Frauen in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen. Sinkt die Zahl bricht für sehr kurze Zeit Panik aus. Steigt die Zahl, klatschen Anzugträger und es wird verkündet: Das Langfrist-Ziel 30 Prozent bis 2022 ist in Reichweite! Der Ton der Debatte hat inzwischen etwas planwirtschaftliches.  

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Es ist dabei durchaus ein legitimes Ziel, diesen Kennwert zu beobachten, an den verschiedenen Stell- und Karriereschrauben zu drehen, damit die Zahl steigt. Viele Beratungsfirmen und HR-Dienstleister leben von diesem dekretierten 30 Prozent-Ziel. Die Förderung der Frauen gibt inzwischen vielen Männern und einigen Frauen neue Jobs.

Würden wir in die 50er zurückfallen?

Was würde aber passieren, wenn wir anerkennen würden, dass die Schweiz das 30 Prozent-Ziel nicht 2022 und wohl auch nicht 2032 erreichen wird? Dass sie es vielleicht gar nicht muss - ohne dass die Politik dann mit der Pflichtquote kommt? Würden Firmen dann aufhören, Frauen zu fördern? Frauen in Verwaltungsräte zu berufen? Rutschen wir ohne planwirtschaftliches Ziel automatisch zurück in die 50er Jahre?

Die «unsichtbare Hand» des Marktes bestraft Firmen jedenfalls nicht, wenn sie schwache Frauenquoten haben. Das 30 Prozent-Ziel mit der Perspektive 20-irgendwann soll vor allem politische Vorbereitungen zur gesetzlichen Quote paralysieren. Offenbar kostet es noch nichts oder zu wenig, dass die gut laufende Schweizer Wirtschaft die Behandlung von Frauen zu spüren bekommt.

Klassische Heuchler

Ich vermute: Viele Schweizer Firmen glauben nicht, dass sie mehr Frauen brauchen. Sie brauchen sie für das Image, um auf keinen schwarzen Listen zu landen. Die Frauenförderung passiert zum grossen Teil aufgrund eines erwünschten Gruppenverhaltens. Aber es gibt kaum innere Überzeugung, dieses Ziel um der Sache willen zu erreichen. Je grösser die Diversity-Sprechblase, desto eher trifft die Diagnose zu.

Einen neuen Höhepunkt in dieser Disziplin erreichte übrigens vor einigen Tagen Nestlé-Chef Mark Schneider, der ausser fürs HR einfach keine Frau für die Konzernleitung findet, selbst eine Frau aus dem Rennen um den CEO-Posten kickte und jetzt von neuen 30-Prozent Zielen bis 2022 träumt. Noch sind 180 der 200 Top-Manager der Firma Männer.

Helfen könnten nur Boykotte von Kundinnen und Kunden, Proteste von Bewerberinnen und Bewerbern, Drohungen von mächtigen Aktionären. Fehlende Frauen müssen teuer werden. Sie sind es aber nicht. Wir sprechen weiter von Quoten und Kennwerten. Mit Hysterie, Scheinheiligkeit und Akribie. Alle drei übrigens Eigenschaften von klassischen Heuchlern.

Stefan Mair
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