Wenige Tage vor dem TV-Duell mit der Bundeskanzlerin hat SPD-Herausforderer Martin Schulz seine Strategie geändert. Bisher hatte der SPD-Chef zwar die Union attackiert, persönliche Angriffe gegen Angela Merkel aber eher vermieden. Mit Beginn der Wahlkampf-Grossveranstaltungen vor zehn Tagen hat sich dies geändert: Schulz streicht nun die «persönliche Verantwortung» Merkels dafür heraus, dass Forderungen der SPD in der Koalition nicht umgesetzt werden konnten. Im ARD-Sommerinterview am Sonntag nannte Schulz die Kanzlerin ausserdem «entrückt».

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Bei Meinungsforschern ist umstritten, wem eine solche persönliche Auseinandersetzung hilft - und wem sie schadet. Während Forsa-Chef Manfred Güllner von einem «absoluten Fehler» der SPD spricht, halten andere den geänderten Kurs für richtig.

Mobilisierenden Effekt

In der CDU gibt man sich zunächst einmal empört: «Der verzweifelt-aggressive Wahlkampf des Genossen Schulz zeigt, dass er sehr viel weiter von den Problemen der Menschen entfernt ist als Angela Merkel, die im Dialog Sicherheit und Wohlstand bewahren will», kritisierte der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, am Montag. CDU-Generalsekretär Peter Tauber betonte, er bekomme viele Rückmeldungen von Bürgern, die Schulz' Kritik nicht teilten: In der Union sieht man also einen mobilisierenden Effekt, weil sich nun auch diejenigen um die Kanzlerin scharten, die ansonsten vielleicht durchaus Anlass zu Beschwerden hätten.

Deshalb sieht auch Forsa-Chef Güllner persönliche Attacken als falsch an: «Schulz droht auch viele Wähler ausserhalb der Union zu treffen, die Merkel ebenfalls gut finden.» Neben einem harten Kern von Merkel-Hassern gebe es nämlich quer durch die Parteien auch Merkel-Fans. So wollten Umfragen zufolge ein Drittel der SPD-Wähler lieber Merkel als Schulz als Kanzlerin.

Forscher: Bevölkerung bei Merkel gespalten

Insa-Chef Hermann Binkert ist einer ganz anderen Meinung: «Ich finde die Strategie der SPD richtig», sagt er zu Reuters. «Denn die Bevölkerung ist in der Zustimmung zu Merkel durchaus gespalten.» Als Beleg führt er Insa-Umfragen an, nach denen bei einer offenen Frage weder Merkel noch Schulz eine Mehrheit unter den Befragten hätten. Das müsse ein Konkurrent ausnutzen.

Der sogenannte Schulz-Hype Anfang des Jahres sei durchaus mit einer Anti-Merkel-Stimmung zu erklären gewesen, sagt Binkert. Erstmals hätten potentielle Wähler damals das Gefühl gehabt, dass es ausserhalb der AfD eine Kraft gebe, die Merkel verhindern könnte. In der Folge seien die AfD-Werte in den Wahl-Umfragen gesunken, die der SPD aber gestiegen. In der Zwischenzeit seien etliche Wähler aber von der SPD zur AfD zurückgekehrt, weil sie eine erneute grosse Koalition unter Merkel wieder als möglich oder sogar als wahrscheinlich ansähen.

Binkert macht deshalb ein anderes Problem für die SPD aus: «Wenn man offen gegen Merkel schiesst, stellt sich die Frage, ob man vor der Wahl auch offen sagt, dass man sie auf keinen Fall zur Kanzlerin wählen wird.» Im Klartext: Die SPD müsste sich logischerweise als harte Anti-Merkel-Partei positionieren, um die Früchte einer schroffen Merkel-Kritik einfahren zu können. Das allerdings erhöht das Risiko, dass Merkel-Fans in anderen politischen Lagern dann verstärkt die Grünen oder die FDP wählen würden, also Parteien, die Merkel notfalls mittragen würden.

Zuspitzung vor dem TV-Duell

Vor dem TV-Duell am Sonntag, darin sind sich die Beobachter weitgehend einig, sind persönliche Zuspitzungen nur natürlich. Die Dramaturgie des einzigen direkten Aufeinandertreffens der beiden Kontrahenten geht nun einmal in Richtung eines persönlichen Kräftemessens. Dazu muss Schulz in der öffentlichen Wahrnehmung auf die gleiche Ebene wie die seit zwölf Jahren regierenden Merkel gehoben - oder die Kanzlerin heruntergezogen werden. Dazu passt eine Strategie der persönlichen Angriffe.

Die Union reagiert bisher gelassen. Man wolle Schulz gerade nicht den Gefallen tun, dass der Eindruck von gleicher Augenhöhe mit Merkel entstehe, heisst es. Deshalb hat die CDU-Vorsitzende auch nur ein einziges TV-Duell mit dem SPD-Chef zugesagt. Die Kanzlerin erwähnt Schulz in keiner Wahlkampfrede. Als sie im ZDF-Sommerinterview am Sonntag damit konfrontiert wird, dass sie seinen Namen noch gar nicht erwähnt habe, antwortet sie betont entspannt: «Noch hatten Sie mich gar nicht nach Martin Schulz gefragt. Ich nehme also gerne die beiden Worte in den Mund und freue mich auch auf das Fernsehduell.» Anschliessend präsentierte sie sich sofort wieder in ihrer staatstragenden Rolle.

(reuters/ccr)