Eine gute Performance im Projektmanagement ist der essenzielle Baustein für nachhaltig erfolgreiche Unternehmen.» Stefan Grösser, Leiter der Forschungsgruppe «System Dynamics» an der Universität St. Gallen, ist überzeugt, dass es genügend Abhandlungen und Bücher über Projektmanagement gibt. Doch belegen Studien, dass die Hälfte aller Projekte nicht erfolgreich abgeschlossen wird; der finanzielle Schaden kann kaum beziffert werden. Doch wer gesteht dies schon ein? Wissenschaftlich bewiesene Ursachen sind mangelhafte Führungsqualitäten, schlechtes Konfliktmanagement und falscher Einsatz von Soft Skills.

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Hanspeter Knechtli von der Fachhochschule Nordwestschweiz hat dazu eine bemerkenswerte Untersuchung erstellt. Wie Grösser stellt er fest, dass es vor allem auch Veränderungen von Spezifikationen sind, welche zu Kostensteigerungen und Zeitüberschreitungen führen. Berücksichtigen die Projektmanagement-Systeme dieses Phänomen nicht hinlänglich? Nein, findet Grösser.

Er räumt ein, dass es zwar viele Lösungsmöglichkeiten für den Einbezug von kundenseitigen Veränderungen im Projektmanagement gibt. «Aber das wurde zu wenig berücksichtigt», kritisiert Grösser; er hat vor kurzem in den USA an einer Konferenz neue Beweise für die Effektivität der Methodik «Project Dynamics» bekommen.

Sekundäre Auswirkungen

Der Ansatz: Veränderungen der zu Beginn festgelegten Spezifikationen des Projekts durch den Kunden bewirken über die bestehenden hinaus auch sogenannte sekundäre, nachgelagerte Auswirkungen - «secondary impacts of changes». Darunter werden die Auswirkungen von Abänderungen der ursprünglichen Projektspezifikationen auf den weiteren Verlauf des Projekts bezeichnet. «Diese zu quantifizieren, war bisher kaum möglich, da dies ein dynamischer und komplexer Effekt ist», sagt Grösser.

Mitunter ist dies wahrscheinlich der Grund, wieso diese Auswirkungen bislang bei Kalkulationen nicht berücksichtigt wurden. «Die «secondary impacts of changes» werden von erfahrenen Projektmanagern bei Kalkulationen intuitiv durch Reservezeiten berücksichtigt», sagt Grösser. «Jedoch werden durch diese Massnahmen die tatsächlichen Prozesse nur angenähert. Eine explizite Abschätzung von Kosten- und Zeitveränderungen ist kaum möglich.» Hier dürften die wahren Gründe für die ungenügende Performance von vielen Projekten liegen. Aber wie lassen sich solche Auswirkungen erfassen?

Produktivitätseinbussen

Nehmen wir eine alltägliche Situation: Bereits eingebaute Aggregate müssen durch neue mit einer grösseren Leistung ersetzt werden. Dies bedeutet, dass bereits abgeschlossene Arbeiten wieder aufgenommen werden müssen. Erfolgt dies in einem grösseren Umfang, leisten die Projektmitarbeiter Überstunden, um den Zeitplan einhalten zu können. Die Motivation und die Arbeitsproduktivität der Projektmitarbeiter sinken. Um die Zeitziele erreichen zu können, müssen weitere Mitarbeiter eingestellt und geschult werden. Dadurch verlieren die bereits am Projekt beteiligten Mitarbeiter nochmals an Produktivität.

Fazit: Veränderungen von ursprünglichen Projektspezifikationen führen zu Produktivitätseinbussen, welche letztlich in höheren Kosten resultieren. Dem möchten Grösser und andere Mitglieder der internationalen System-Dynamics-Gesellschaft mit der Methodik «Project Dynamics» entgegenwirken. Die auf einer Simulation basierende Methodik bildet die solchen Prozessen innewohnende Dynamik ab. Allerdings hat Knechtli einen Einwand: Die Länge eines Projektes. Diese Methoden sind hilfreich, wenn die Verzögerungen ein gewisses Ausmass erreichen. Je kürzer die Projektphase, desto besser die Abschätzbarkeit. Je länger sie ist, desto wichtiger werden Ansätze à la Grösser.



NACHGEFRAGT

Stefan Grösser, Leiter der Forschungsgruppe «System Dynamics», Universität St. Gallen

«Ich sehe für Unternehmen in der Schweiz eine grosse Chance»

Projektmanagement bedeutet Verzögerungen, Budgetüberschreitungen und Ärger. Wieso brauchte es US-Amerikaner, die hier Abhilfe schaffen?

Stefan Grösser: Entscheidend ist eine nachvollziehbare Simulationsmethodik zur Erforschung komplexer, sozialer Sachverhalte. Diese Methodik wurde am Massachusetts Institute of Technology durch Jay W. Forrester entwickelt. Die aus der Ingenieurswissenschaft stammende Simulationsmethodik wurde konsequent auf die Erforschung der Dynamik von Projekten angewendet. In den USA waren günstige Voraussetzungen - etwa Forschungsressourcen, Wissenschafts- und Industrienetzwerke - vorhanden, damit sich diese Methodik entwickeln konnte. Interessant ist, dass sie Europa generell noch wenig durchdrungen hat. Ein wesentlicher Grund dafür ist die herrschende Praxis, sich an Mainstream-Methoden zu orientieren.

Wetten, jetzt kommt jedermann und sagt: «Das habe ich doch schon lange propagiert.»

Grösser: Der Sachverhalt der sekundären, nachgelagerten Auswirkungen ist ein Phänomen, welches erfahrenen Projektmanagern wohl bekannt ist. Jedem ist verständlich, dass man durch die erneute Bearbeitung von bereits abgeschlossenen Arbeitsphasen die sowieso knappe Ressource Zeit verbraucht und auf Dauer die Motivation darunter leiden kann. Oder freuen Sie sich, wenn Sie gerade vom Einkaufen kommen und gleich nochmal losgehen müssen, weil Sie etwas Wichtiges vergessen haben? Zudem wird die Arbeit nicht erledigt, welche Sie sich eigentlich vorgenommen haben; diese wird aufgeschoben, was Ihrer Motivation zusätzlich abträglich ist. Diese sekundären Auswirkungen sind für jeden intuitiv evident. Es geht somit nicht darum, deren Existenz zu beweisen. Die Schwierigkeit ist vielmehr, die Auswirkung dieser Effekte greifbar zu machen und zu berechnen. Mathematisch sind dafür nichtlineare Differenzialgleichungssysteme notwendig, deren Berechnung durch Standard-Tools des Projektmanagements nicht möglich ist. Ihr Benutzer bemerkt davon nichts; sie bietet eine anwenderfreundliche Visualisierung, um die Komplexität sinnvoll zu steuern.

Nun müssen Sie Unternehmen um Unternehmen von der Methodik überzeugen, wie weniger Geld und «Menschenmaterial verschleudert» wird.

Grösser: Es gibt mehrere Ansätze: Der erste ist im Rahmen der Erstausbildung an der Uni St. Gallen. Gemeinsam mit Markus Schwaninger bieten wir diese Inhalte für Studierende an. Dadurch erwirbt der Nachwuchs Kenntnisse, welche Unternehmen sinnvolle Dienste leisten können. Zudem können sich Unternehmen diese Kenntnisse im Rahmen von Fortbildungen aneignen. Schliesslich möchte ich die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit mit einem Schweizer Unternehmen wissenschaftlich untermauern. In den USA wird Project Dynamics mit grossem Erfolg angewandt. Ich sehe hier auch für Unternehmen in der Schweiz eine grosse Chance.