Axel Lehmann als CS-Präsident – diese Wahl muss sich noch bewähren

Eigentlich hatte Axel Lehmann Ambitionen auf mehr. Eigentlich wollte er Chef der Zurich Insurance werden. Schliesslich hatte er als Europa-Chef doch einen tollen Job erledigt, als Nordamerika-Chef gar den Turnaround geschafft. Und überhaupt: Seit dem Studium in St. Gallen hatte er sich mit Versicherungen beschäftigt, zuerst bei der Swiss Life gearbeitet. Und schliesslich zwanzig Jahre bei der Zurich. Doch der Sprung auf den Chefstuhl blieb ihm verwehrt. Mario Greco, damals Generali-Chef, machte das Rennen als neuer Chef der Zurich Insurance. Die Nichtwahl war eine Niederlage für Lehmann, aber gleichwohl trieb es ihn nach oben. Schneller Aufstieg an die Spitze Nach ganz oben. Nach einem fünfjährigen Intermezzo beim Konkurrenten UBS wurde Axel Peter Lehmann, mittlerweile 62-jährig, gestern einstimmig zum Präsidenten der Credit Suisse gewählt. Ein Triumph sondergleichen, doch Lehmann wird kaum eine Miene verziehen. Dabei war er erst letzten Herbst zur Grossbank gestossen, von António Horta-Osório angelockt, der diesen Risikoexperten im Verwaltungsrat brauchte, und zwar dringend. Denn nach all den Pleiten rund um die Finanzvehikel Archegos und Greensill waren nun scharfe Rechner gefragt, die mit Milliardenrisiken umzugehen wissen und sich nicht von Wachstumszahlen blenden lassen. Und die Frontleute, die gerne Risiken auf Kosten anderer eingehen, überwachen können. Axel bringe tiefes Verständnis für Risikomanagement und Leadership mit, lobte Horta-Osório seine Neuakquisition im Verwaltungsrat letzten Herbst. Und freute sich, mit ihm künftig eng zusammenzuarbeiten. Dass exakte dieser Lehmann ein halbes Jahr später sein Nachfolger werden würde, hatte niemand gedacht. Der stille Schaffer Auch nicht Lehmann, der stille Schaffer und Experte für Risiken aller Art. Längst hatte sich der Intellektuelle aus Rüeggisberg bei Thun gut eingerichtet. Er war Verwaltungsrat bei der Credit Suisse, war designierter Präsident der Helvetia-Versicherung, dazu Präsident des Ausschusses am Institut für Versicherungswirtschaft sowie Titularprofessor in St. Gallen. All dies hätte ihm ein stattliches Einkommen von 1 Million Franken garantiert; nun dürfte das Salär locker um das Fünffache steigen. Allerdings auch seine Präsenz. Um sich etwas Luft zu verschaffen, heuerte er doch nicht – wie ursprünglich geplant – bei der Helvetia an. Aber bei seiner Alma Mater in der Ostschweiz, da will er weiter wirken. Allerdings scheint Lehmann – branchenunüblich – nicht geldgetrieben zu sein, jahrelang lebte er mit der Familie im wenig glamourösen Nürensdorf in der Anflugschneise des Flughafens Zürich. Erst später zog er in die Goldküstengemeinde Küsnacht, einen Steinwurf vom Domizil des Credit-Suisse-CEO Thomas Gottstein. Bestens vernetzt Er ist in der Finanzwelt bestens vernetzt, gerade in der Versicherungsbranche ist er fast mit allen auf Du, darunter mit Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig oder Helvetia-CEO Philipp Gmür. Nun wird er auch im internationalen Banking eine gewichtige Rolle spielen. Der promovierte Betriebswirt gilt als überaus besonnen, legt jedes Wort auf die Goldwaage. Schnelle oder harte Urteile sind nicht seine Sache. Da unterscheidet er sich vom temperamentvollen CS-CEO Thomas Gottstein, der mit seinen Ansichten selten hinter dem Berg hält und es vom amerikanisch geprägten Investmentbanking her gewohnt ist, Klartext zu reden. Die beiden CS-Chefs – Gottstein und Lehmann – werden bestens kooperieren. Denn im Gegensatz zu seinem Vorgänger Horta-Osório hat Lehmann keine Ambitionen, Gottstein nach 22 Jahren und 11 Funktionen bei der CS auch noch das Banking erklären zu müssen. Es wird eine klare Aufgabenteilung geben: Einer ist operativ, der andere strategisch unterwegs. Die Zeit des exekutiven Chairman ist gestern beendet worden. Ein guter Mix? Ob das ein guter Mix ist, wird sich weisen. Die Bank hat ganz vieles vor und steht unter Druck: Die Frontleute, besonders im Investmentbanking, sollen enger geführt werden. Zudem soll endlich eine robuste Risikokultur durchgesetzt werden. Und vor allem müssen Initiativen her: Solche, die Wachstum generieren. Und vor allem darf es nicht geschehen, dass die traditionell unternehmerische Firmenkultur der Credit Suisse überhandnimmt und am Schluss vor lauter Risikokontrolle untergeht. Wohin das führt, zeigte in der Vergangenheit die UBS, bestens geführt, optimiert, aber mit einem Hang ins Bürokratische. Kein Wunder ist Ralph Hamers, der Konzernchef aus den Niederlanden, aktuell daran, die Grossbank von ihrem historischen Ballast zu befreien und agiler und beweglicher zu machen. Die CS wiederum kommt genau von der anderen Seite: Sie soll etwas langweiliger werden, solider und berechenbarer. Aber nicht zu viel. Die Credit Suisse wirkt dynamischer Im Direktvergleich der zwei Grossbanken wirkte die Credit Suisse zuletzt dynamischer – und das ausgerechnet im Geschäft mit Schweizer Kleinkunden. Historisch überrascht das, war das früher doch eher die Stärke der aus Bankverein und Bankgesellschaft hervorgegangene UBS. Nach dem Beinahe-Kollaps infolge der Subprime-Krise setzte die UBS auf Retail-Swissness bis hin zum Wanderweg-Sponsoring. Zum grossen PR-Coup setzte die Credit Suisse vor rund zwei Jahren an. Nachdem es lange Spekulationen über eine «auf der grünen Wiese errichtete» Digitalbank gab – unter anderem nach Ankündigungen der Credit Suisse –, wurde im Herbst 2020 das Kontopaket CSX lanciert. Voll aufs Handy ausgerichtet, ohne fixe Kontogebühren, dazu ein mutiges Lifestyle-Marketing. Der CS gelang es, ihre Kleinkunden – unter anderem aus der stillgelegten Neuen Aargauer Bank – auf die Digitalschiene abzuschieben, und diesen Schritt gleichzeitig als Innovation zu verkaufen. Plötzlich sprachen alle nur noch über die Credit Suisse, und manch einer fragte sich: Was läuft eigentlich bei der UBS? Ermotti: Kein digitaler Banker Gute Frage, die auch Lehmann betrifft. Dass der frühere UBS-Chef Ermotti kein grosser Fan von Neobanken war und Krypto vom Teufel hielt, wusste jeder, der gelegentlich mit Managern der Grossbank sprach. Investitionen in eine hippe App waren für ihn herausgeschmissenes Geld. Innovative Ansätze wie eine in Grossbritannien lancierte Robo-Bank für die Affluent-Vermögensverwaltung wurden gestoppt. Geld verdiene man in der persönlichen Kundenberatung, war in der Ermotti-UBS stets das Credo. Lehmann gehörte auch zu diesem Zirkel; in seiner Zeit als UBS-Schweiz-Chef – von 2018 bis 2021 – passierte nicht allzu viel Weltbewegendes. Wie sehr das in der CS-Kultur künftig zu einem Konflikt werden könnte, muss sich zeigen. Klar ist aber auch, dass UBS-Chef drauf und dran ist, Verpasstes nachzuholen. Zuletzt machten Storys über Neulancierungen die Runde. In den USA beschloss die UBS, auch über den digitalen Kanal, näher ans Kleinkundengeschäft zu rücken. Ein Produkt wie CSX erwartet derzeit keiner aus der Küche der UBS. Vielmehr dürfte die Grossbank wohl an ihren bestehenden Lösungen schleifen und neue Anwendungen wie die Hypotheken-App key4 lancieren. Das neue Führungsduo Gottstein/Lehmann ist gewarnt.