Wenn es um Rezessionen geht, liegen selbst Superstars der Ökonomenzunft gerne mal so richtig falsch. So behauptete Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Lucas im Jahr 2003, die Wirtschaftswissenschaft hätte das Problem der Rezessionen mittlerweile gelöst. Die globale Finanzkrise von 2008 belehrte ihn eines Besseren.
Und der damalige Notenbankchef der USA, Ben Bernanke, verkündete noch im Mai 2007, das Platzen der Immobilienblase werde keine Auswirkungen auf die Wirtschaft oder das Finanzsystem haben. Einige Monate später musste Bernanke 700 Milliarden Dollar bereitstellen, um eine Kernschmelze der Finanzmärkte zu verhindern.
Diese Anekdoten sind zwar amüsant, aber für Anlegende keine guten Nachrichten. Und ein Konjunktureinbruch vergrössert die Anlagerisiken für Privatinvestoren und Privatinvestorinnen enorm. Wenn sogar die Experten mit den besten Informationen nicht fähig sind, grosse Verwerfungen zu erkennen, wird Privatanlegenden das vermutlich noch weniger gelingen.
Zurückzuführen ist das auf die sogenannte Kompartmentalisierung. Dieser Ausdruck bedeutet, dass eine Person eigentlich zusammengehörige Erscheinungen in einzelne, unverbunden nebeneinanderstehende Bereiche aufteilt.
«Es gilt: Nur Geld investieren, das man für einige Jahre nicht braucht.»
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Manche Anlegerinnen und Anleger trennen beispielsweise ihre Investmenttätigkeit gedanklich von anderen Lebensbereichen. Und damit geraten einige Grossrisiken aus dem Blick.
Was Privatinvestoren und Privatinvestorinnen beachten sollten:
1. Jenseits der eigenen Branche investieren
Ein grosses Risiko in einer Rezession ist der Verlust des Arbeitsplatzes, denn damit bricht in einer Krisenzeit das feste Einkommen weg. Besonders unglücklich für Privatanlegende, wenn dann auch ihr Portfolio noch unter Druck gerät. Zum einen gilt darum besonders angesichts einer angespannten Wirtschaftslage: nur Geld investieren, das man für einige Jahre nicht braucht.
Zum zweiten sollten Privatanlegende darauf achten, dass ihr Portfolio eine möglichst geringe Korrelation mit der Branche aufweist, in der sie tätig sind. Das erhöht die Chance, dass sich eine Flaute im eigenen Arbeitsbereich nicht auf die Rendite des eigenen Portfolios auswirkt.
Aus diesem Grund sollten beispielsweise Flugbegleiter keine Airline-Aktien halten und Architektinnen Aktien von Bauunternehmen meiden. Und auf keinen Fall sollten ein Investor in nennenswertem Ausmass Aktien des eigenen Unternehmens halten. Swissair-Angestellte wissen, warum.
2. Auf defensive Aktien setzen
Was können Anlegerinnen und Anleger sonst noch tun, um sich vor einer Rezession zu schützen? Instrumente wie Optionen, Short-ETF oder Futures sind vielen zu teuer oder zu kompliziert. Einfacher ist es, auf defensive Aktien zu setzen.
Die Idee dahinter ist einfach. Es gibt Unternehmen, deren Gewinne und Verluste stark vom Konjunkturzyklus abhängen. Entsprechend weisen die Aktienkurse tendenziell ebenfalls eine zyklische Performance auf. Firmen, deren Umsatz und Ertrag nicht so stark von der Konjunktur abhängt, reagieren hier weniger.
Die Aktien solcher Unternehmen sind sogenannte defensive Titel. Sie legen in einer Hausse vielleicht nicht so stark zu wie jene der Zykliker, dafür verlieren sie in der Baisse aber auch weniger.
Börsianerinnen und Börsianer bezeichnen defensive Aktien manchmal auch mit dem Begriff «Low-Beta-Aktien». Dabei ist das Beta eine Kennzahl, die Auskunft gibt über das Verhältnis der Kursentwicklung einer Aktie; ein Beta grösser als eins bedeutet, dass die Aktie stärker schwankt als der Gesamtmarkt, ein Beta kleiner als eins bedeutet, dass die Aktie weniger stark schwankt.
Aktien mit einem tiefen langfristigen Beta sollten also in einem Boom weniger stark zulegen als der Markt, dafür aber in einem Crash auch weniger verlieren. Und im Durchschnitt ist das so, sagt die Finanzmarktforschung. Zahlreiche Finanzportale stellen den Investoren und Investorinnen das Beta als Kennzahl zur Verfügung.
Aktien mit einem tiefen langfristigen Beta sind beispielsweise Titel aus der Lebensmittelbranche wie Emmi, Bell, Lindt & Sprüngli und Nestlé oder Stromversorger wie BKW und das Telekomunternehmen Swisscom.
Tendenziell ein hohes Beta haben dagegen Unternehmen der Reisebranche wie Lastminute.com, Automobilzulieferer wie Autoneum, aber auch Industriekonzerne wie Sulzer und OC Oerlikon oder Finanzunternehmen wie Vontobel.
Defensive Titel finden sich typischerweise zum Beispiel in der Pharmaindustrie, bei Unternehmen, welche für die Grundversorgung der Haushalte mit Elektrizität und Wasser zuständig sind, sowie unter Anbietern von nicht zyklischen Konsumgütern wie etwa Nahrungsmitteln.
Die Titel in diesen Branchen weisen in der Regel Einkommensströme auf, die gut prognostiziert werden können, weshalb die Bewertungsunsicherheiten relativ gesehen klein sind. Das führt zu Eigenschaften, die Obligationen ähneln. Weil sie auch oft gute Dividenden zahlen, nutzen manche Anleger und Anlegerinnen sie als Ersatz für Obligationen.
Der Vorteil defensiver Aktien ist allerdings auch ihr Nachteil. In Boomphasen, wenn der Risikoappetit der Marktteilnehmenden gross ist, suchen diese vor allem Titel von Unternehmen, die ein hohes Wachstum versprechen und über rasch expandierenden Bilanzen verfügen.
In solchen Phasen werden die defensiven Aktien hinter ihren zyklischen Gegenparts zurückbleiben. Zu diesen zählen etwa die Aktien von Finanzunternehmen, des Öl- und Gassektors, der Freizeit- und Reisebranche sowie von zyklischen Konsumgütern wie etwa Autos.
Die Finanzmarktforschung hat nun allerdings gezeigt, dass defensive Aktien nicht nur in einer Baisse besser abschneiden als zyklische Aktien, sondern auch, wenn längere Zeiträume betrachtet werden. Langfristig generieren defensive Titel Überrenditen. Die Gründe dafür sind nicht völlig klar, es dürften aber strukturelle Faktoren des Finanzsektors eine Rolle spielen.
Allerdings an dieser Stelle eine Warnung: Defensive Aktien zeigen ihre Qualität nur über lange Zeiträume. Es ist daher möglich, dass entsprechende Aktien über mehrere Jahre hinter zyklischen Aktien zurückbleiben. Das war beispielsweise in den letzten Jahren so.
So haben zyklische US-Aktien in den letzten zehn Jahren jährlich eine Rendite von 15 Prozent erzielt, gegenüber 10 Prozent bei defensiven Aktien. Selbst 2020, also im Jahr der Corona-Krise, haben zyklische Aktien um exorbitante 27 Prozent zugelegt. Demgegenüber haben defensive Aktien nur um 4 Prozent vorwärtsgemacht.
Im Jahr 2008, zur Zeit der letzten Finanzkrise, sah das Bild allerdings anders aus. Damals sind Zykliker um 45 Prozent eingebrochen, defensive Aktien haben 27 Prozent verloren.
«Auch mit defensiven Aktien wird der Portfoliowert zurückgehen.»
Wer sich für eine defensive Strategie entscheidet, muss sich also über die Vor- und Nachteile im Klaren sein. Erstens sollten Investorinnen und Investoren damit rechnen, in einer Baisse trotzdem eine Vermögenseinbusse zu erleiden. Auch mit defensiven Aktien wird der Portfoliowert zurückgehen, wenn auch weniger stark als der Gesamtmarkt.
Ausserdem müssen Anlegende damit rechnen, über längere Zeit eine schlechtere Performance zu erzielen als der Markt, falls eine Baisse ausbleibt. Es ist nicht leicht, das psychologisch auszuhalten.