«Wir sind überzeugt von Ethereum»

In welche Kryptowährungen investieren Sie derzeit? Désirée Velleuer: Wir konzentrieren uns auf die fünfzig liquidesten Token ohne die Stablecoins. Letztere bieten wenig Potenzial für Gewinne, denn sie sollen ja möglichst stabil notieren. Wo ist der Fokus bei Investitionen? Velleuer: Zuerst Liquidität, weil wir alle Anlagen im Fonds innerhalb von zwei Tagen verkaufen können wollen. Wir mögen Token mit Cashflow, weil wir die bewerten und einen fairen Preis berechnen können. Das heisst, Sie berechnen den heutigenWert von künftigen Zahlungen an die Token-Besitzerinnen und -Besitzer. Aber nicht alle Token haben Cashflow. Bitcoin, als prominentestes Beispiel, hat keine. Velleuer: Ja, im Moment ist Bitcoin der einzige Token im Fonds ohne Cashflow. Désirée Velleuer (36) hat an der Universität St. Gallen Banking und Finance studiert. Bevor sie ihre eigene Firma gründete, war sie Fondsmanagerin bei der Credit Suisse und beim Vermögensverwalter GAM. Dort hat auch ihr Geschäftspartner Reto Stiffler (49) als Fondsmanager gearbeitet. Noch vorher war er bei der Bank Julius Bär als Portfolio Risk Manager. Stiffler hat Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg studiert und hält das AZEK-Diplom, eine Schweizer Finanzanalystenausbildung. Wie bewerten Sie Bitcoin? Velleuer: Das ist viel schwieriger, als Token mit Cashflow zu bewerten. Für Bitcoin haben wir ein eigenes Bewertungsmodell entwickelt. Wie muss ich mir das vorstellen? Velleuer: Es funktioniert ähnlich wie Bewertungsmodelle für Gold. Das heisst, dass zum Beispiel das allgemeine Zinsniveau eine Rolle spielt. Velleuer: Ja, vor allem die um Inflation bereinigten Realzinsen. Im Unterschied zu Goldmodellen ist auch eine S-Kurve der Adaption im Modell eingebaut. Wie bei allen neuen Technologien ist die Zunahme der Nutzer und Nutzerinnen am Anfang langsam, beschleunigt sich und flacht dann wieder ab, weil Sättigungseffekte auftreten. Und welchen Wert haben Sie so für Bitcoin berechnet? Velleuer: Den fairen Wert von Bitcoin sehen wir derzeit bei rund 60'000 Dollar. Wir gewichten Bitcoin gegenwärtig im Fonds weniger stark, als es seinem Marktgewicht entsprechen würde. Ein viel beachtetes Bewertungsmodell für Bitcoin, Bitcoin Stock-to-Flow, hat das Kursziel bei 100'000 Dollar auf Ende Jahr. Reto Stiffler: Deswegen gehen wir davon aus, dass grosses Enttäuschungspotenzial besteht und der Wert dieses Jahr nicht mehr erreicht wird. Wir rechnen damit, dass Bitcoin irgendwann im nächsten Jahr unseren fairen Wert überschiessen und auf 100'000 Dollar steigen könnte. Wie aktiv ist der Fonds? Velleuer: Zwei bis drei Trades werden pro Woche getätigt. Aber es werden nicht immer neue Token gekauft, sondern es wird meist nur die Gewichtung der Token im Portfolio geändert. Welche Token sind die frischesten Positionen im Fonds? Velleuer: Ether, Axie und Sushi Swap sind die frischesten. Stiffler: Dabei ist Axie der letzte wichtige Token, der neu dazugekommen ist. Der Kurs von Axie hat sich dieses Jahr schon verhundertfacht. Stiffler: Ja, aber Axie war Anfang Jahr noch ein Startup – und der Kurs war am Boden. Der Token ist noch immer relativ günstig. Wieso? Stiffler: Dem Axie-Projekt stehen immerhin 3 Milliarden Dollar zur Verfügung, mit denen neue Games entwickelt werden können. Woher kommt das Geld? Stiffler: «Axie» ist ein Spiel, bei dem verschiedene Transaktionen stattfinden, wovon ein Anteil von 4,25 Prozent in den Fonds fliessen. Um beim Spiel mitzumachen, braucht man drei Axies, die man von anderen Spielenden kaufen kann. Und von dieser Kauftransaktion gehen 4,25 Prozent in den Fonds. Stiffler: Ja. Derzeit werden 80 Prozent des Fonds in Axie-Token gehalten und 20 Prozent in Ether. Was habe ich von dem Fonds, wenn ich Axies habe? Stiffler: Das Geld könnte dereinst an die Axies-Besitzerinnen und -Besitzer verteilt werden. Es gibt auch schon Forderungen, dass 5 Prozent der Erträge jeweils ausbezahlt werden sollen. Darauf basierend würde die Dividendenrendite von Axie 13 Prozent betragen – deutlich mehr als bei Aktien üblich. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Axie würde bei 5 liegen. Letzteres ist sehr tief – weniger als ein Drittel der Bewertung von Aktien. Welche Token wurden jüngst noch neu in den Fonds aufgenommen? Velleuer: Wir denken, dass wir in der zweiten Phase des Bullenmarktes der Kryptowährungen sind. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Token, die schon im Fonds sind, kaufen derzeit kaum neue. Enjin ist ein Token, bei dem wir zugekauft haben. Wieso? Stiffler: Die Enjin-Blockchain ist für Softwareentwickler, die Spiele programmieren. Man kann damit einfach Avatare generieren. Diese können einfach von einem Spiel in ein anderes verschoben werden. Läuft das auf der Ethereum-Blockchain? Stiffler: Früher ja, aber es gab wegen des Erfolges von Ethereum grosse Probleme. Die Transaktionen wurden teuer, weil Ether teurer wurde. Stiffler: Ja, und langsam wurden die Transaktionen auch, weil die Ethereum-Blockchain so stark genutzt wurde. Jetzt hat Enjin eine eigene Blockchain, die Jumpnet heisst. Und sobald ein Platz bei der Blockchain Polkadot ersteigert wird, kommt eine sophistiziertere Version mit dem Namen Efinity raus. Polkadot hält der Fonds übrigens auch. Weil Transaktionen auf Ethereum teuer und langsam wurden, hatten neue Blockchains Aufwind, die günstiger und schneller sind, etwa Solana, deren Kurs sich dieses Jahr verhundertfacht hat. Stiffler: Solana haben wir verpasst, da wir uns auf bereits etablierte Plattformen konzentrieren. Solana hat viel Vorschusslorbeeren erhalten. Wie meinen Sie das? Stiffler: Solana könnte im nächsten Bärenmarkt 80 oder 90 Prozent des Wertes wieder verlieren, so denken wir aufgrund unserer Bewertung. Dies scheint extrem, aber ist bei anderen Blockchains wie EOS oder Cardano auch schon geschehen. Wieso? Stiffler: Solana ist viel günstiger, aber die verdienen damit auch viel weniger als bei Ethereum. Solana generiert momentan 70 Millionen Dollar Gebühren pro Jahr. Ethereum generiert 70 Millionen Dollar pro Tag. Bei Ethereum müssen pro Transaktion bis zu 60 Dollar bezahlt werden, und für eine Smart-Contract-Ausführung sogar bis zu 500 Dollar. Das ist viel Geld pro Transaktion. Stiffler: Es sind sehr viele grosse Transaktionen, wo dann 60 Dollar in Relation zur Transaktionsgrösse nicht mehr so viel sind. Es gibt auch noch Algorand. Dieser Blockchain wird auch viel zugetraut. Stiffler: Algorand hat nur noch wenig Zeit, um sich durchzusetzen. Ab dem ersten Quartal 2022 wirds eng. Weil dann Verbesserungen der Ethereum-Blockchain anstehen. Stiffler: Proof of Stake soll dann eingeführt werden. Ein neuer Mechanismus, wie die Blockchain bearbeitet wird. Stiffler: Dann wird Ethereum günstiger und die Gebühren gehen nicht mehr an Miner, die Rechenkapazität für die Blockchain bereitstellen, sondern an Token-Besitzer und -Besitzerinnen. Was für eine Dividendenrendite lässt sich daraus für jene berechnen, die Ether besitzen? Stiffler: Wir rechnen mit einer Dividendenrendite von 7 Prozent bei Ethereum. Also viel mehr als bei manchem Tech-Konzern. Zum Vergleich: Das Unternehmen Microsoft bietet nicht einmal ein ganzes Prozent Dividendenrendite, wächst aber weniger schnell als Ethereum. Darum sind Sie auch gross in Ethereum investiert. Velleuer: Wir sind überzeugt von Ethereum. Es ist die grösste Position im Fonds. Daneben sind Axie und Sushi Swap die grössten Positionen. Alle Blockchains zusammen sind schon mehrere tausend Milliarden Franken wert. Aber es gibt kaum reale Anwendungen, die funktionieren. Velleuer: Es gibt schon Anwendungen, die funktionieren. Das Potenzial ist riesig.Besser als Bitcoin Désirée Velleuer und Reto Stiffler sind im Jahr 2018 mit ihrem Fonds gestartet (Swissrex Crypto: ISIN VGG860211058). In den ersten beiden Jahren verloren Anlegende damit über einen Viertel ihrer Investition. Dann kam die grosse Wende: Im Jahr 2020 gewannen Anlegende über 300 Prozent und im laufenden Jahre gleich nochmals. Investoren, die von Anfang an dabei waren, bereuen es nicht, denn sie konnten ihren Einsatz verdreizehnfachen. Das ist deutlich mehr, als in der gleichen Zeit mit einem Investment in Bitcoin möglich gewesen wäre, wo eine Verachtfachung resultierte. Besonders an der Performance des Fonds ist, dass im Frühling dieses Jahres rechtzeitig das Risiko gesenkt wurde, bevor die Kurse von Bitcoin und anderen Kryptowährungen gefallen sind. Velleuer und Stiffler können mit dem Fonds auf sinkende Kurse wetten, bis zu 20 Prozent short gehen. Im Fonds sind 170 Millionen Franken investiert. Sehr viel grösser soll der Fonds gemäss den beiden Gründern auch nicht mehr werden. Sie wollen klein und agil bleiben. Anlegerinnen und Anleger müssen mindestens 100'000 Franken investieren. Für solche, die über 1 Million Franken investieren, kostet der Fonds 1 Prozent jährliche Verwaltungsgebühr und 10 Prozent vom Gewinn, für kleinere Investoren sind die Gebühren doppelt so hoch. In den Fonds investieren bisher vor allem Family Offices, die Geld für reiche Familien verwalten. Zum Beispiel? Velleuer: Kürzlich transferierte der Fonds 18 Millionen Dollar von Antigua in die Schweiz, zu seiner Depotbank. Wir wollten das nicht über die Blockchain tun, weil dort nur eine Ziffer der Zieladresse falsch sein muss, und schon ist das Geld für immer weg. Also haben Sie den klassischen Weg gewählt: mit einer IBAN über Swift. Velleuer: Ja, das Geld war tagelang nicht auffindbar. Die Banken wussten nicht, wo es ist. Es stellte sich heraus, dass bei einer Zwischenbank ein relevanter Mitarbeiter vor seiner Ferienabwesenheit seinen Stellvertreter falsch instruiert hatte. Nach drei Wochen erst kam das Geld an. Und dies ist kein Einzelfall bei internationalen Transaktionen. Immerhin war es noch da. Velleuer: Das nächste Mal haben wir eine ähnliche Transaktion über die Blockchain gemacht, hatten die Zieladresse aber bereits vorher hinterlegt, damit da keine Fehler passieren können. Und? Velleuer: In einer Stunde war das Geld bei der Schweizer Depotbank. Bei internationalen Zahlungen wird das eingesetzt? Velleuer: Fremdarbeiter, die etwa von den USA nach Mexiko mit dem alten System überweisen, mussten teilweise 20 Prozent des Lohnes als Gebühren dafür aufwenden. Auf der Blockchain geht das viel schneller und günstiger. Dann müsste es nur noch breit eingesetzt werden. Stiffler: Wird es in einigen Ländern. In El Salvador haben alle, die eine Blockchain-Wallet haben, 30 Dollar erhalten. Bitcoin ist dort offizielles Zahlungsmittel. El Salvador ist jetzt nicht die wichtigste Wirtschaftsnation. Stiffler: Das Handelsvolumen im dezentralen Finanzsystem nimmt zu. Es wird das Banksystem effizienter machen. Dort wird derzeit viel Geld abgezwackt. Lässt sich das an einem Beispiel illustrieren? Stiffler: Auf der Blockchain Uniswap, einem dezentralen Handelsplatz für Token, werden schon ähnliche Volumen generiert wie an der US-Technologiebörse Nasdaq.